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Die Autoren

 

Prof. Dr. Simone Kauffeld hat den Lehrstuhl für Arbeit-, Organisations- und Sozialpsychologie an der TU Braunschweig inne. In Forschung und Praxis leistet sie Beiträge zu den Themen Kompetenz, Teams und Führung, Karriere und Coaching sowie der Gestaltung von Veränderungsprozessen in Organisationen.

 

Dr. Hilko Paulsen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und Sozialpsychologie an der TU Braunschweig und forscht u. a. zu den Themen Kompetenzmanagement und -entwicklung in Organisationen sowie Stimmungen in Gruppen.

Simone Kauffeld & Hilko Frederik Klaas Paulsen

Kompetenzmanagement in Unternehmen

Kompetenzen beschreiben, messen, entwickeln und nutzen

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-030197-9

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-030198-6

epub:   ISBN 978-3-17-030199-3

mobi:   ISBN 978-3-17-030200-6

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Vorwort zur Buchreihe

 

 

 

Ökonomische, technologische und gesellschaftliche Entwicklungen tragen dazu bei, dass unsere Arbeitswelt sich in einem stetigen Veränderungsprozess befindet. Dies hat Auswirkungen auf das Erleben und Verhalten des einzelnen arbeitenden Menschen genauso wie auf gesamte Organisationen und größere wirtschaftliche Zusammenhänge.

Die vorliegende Buchreihe soll einen fundierten Einblick in verschiedene Forschungs- und Anwendungsfelder innerhalb der Arbeits-, Organisations-, Personal- und Wirtschaftspsychologie geben – einem der wichtigsten Bereiche der angewandten Psychologie. Aktuelle, praxisrelevante und an wichtigen Trends orientierten Themen werden vorgestellt und die Reihe dabei sukzessive um neue Bände erweitert.

Die Reihe richtet sich vor allem an Studierende der (Wirtschafts-)Psychologie und sich weiterbildende Personen. Durch die fachübergreifende Bedeutung sind die Inhalte der Bücher jedoch auch für Studierende angrenzender Bereiche, wie z. B. der Wirtschaft, Soziologie und Pädagogik von hoher Relevanz. Als besonders interessierte Zielgruppe können bereits erwerbstätige Personen aus dem Personalbereich (z. B. Coaches, Beraterinnen und Berater, Personalentwicklerinnen und Personalentwickler) identifiziert werden, die sich in einem Aufbaustudium weiterbilden. Die konsequente Verbindung von Theorie und Praxis bietet darüber hinaus Führungskräften die Möglichkeit, sich wissenschaftlich fundiert mit praxisrelevanten Themen wie z. B. Kompetenzmanagement in Unternehmen, Coaching, Change Management oder Gesundheit im Arbeitskontext auseinanderzusetzen.

 

Simone Kauffeld

Braunschweig, Oktober 2017

 

Vorwort

 

 

 

Die Reihe startet u. a. mit dem vorliegenden Buch zum Kompetenzmanagement. Warum das? Der Kompetenzbegriff hat seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts einen Aufwind sondergleichen erlebt. Wird der Mensch im Arbeitskontext betrachtet, geht es um seine Ressourcen, seine Kompetenzen. Im Rahmen großer, vom BMBF über die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Weiterbildungsforschung e. V. geförderte Projekte, durfte ich von Anfang an dabei sein und das interdisziplinär angelegte Feld an einigen Stellen mitgestalten.

Das Thema ist praxisrelevanter denn je und es sind praktikable Lösungen gefragt. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, stehen insbesondere kleine und mittlere Unternehmen vor der Herausforderung, geeignete, z. T. hochspezialisierte Fachkräfte zu gewinnen, in ihrer Entwicklung zu fördern und zu binden. Doch wie stellen Unternehmen sicher, dass Mitarbeitende über sowohl gegenwärtig als auch zukünftig relevante Kompetenzen verfügen? Ein an der Unternehmensstrategie ausgerichtetes Kompetenzmanagement stellt einen Lösungsansatz dar, das verschiedene Prozesse vom Personalmarketing, der Personalauswahl über die Personal- und Kompetenzentwicklung bis hin zur Laufbahngestaltung integriert.

Ziel des Buches zum Kompetenzmanagement ist es, aus dem bisherigen Forschungsstand zum Kompetenzmanagement und Forschungsbefunden aus verwandten Themenbereichen (z. B. Training und Transfer, arbeitsintegriertes Lernen) Handlungsempfehlungen für ein auch in klein- und mittelständischen Unternehmen praktikables Kompetenzmanagement zu geben. In der Praxis tätige Personalerinnen und Personaler können Impulse erhalten wie sie in Unternehmen Kompetenzmanagement gestalten und umsetzen können. Konkrete Fallbeispiele veranschaulichen dabei die Anwendung in der Praxis (z. B. einer im durch das BMBF geförderten Projekt »Integrierte Kompetenzentwicklung im Handwerk« entwickelten webbasierten Kompetenzdiagnose). Das Buch stellt zu Beginn die Bedeutung eines Kompetenzmanagements dar, indem es wichtige Impulse und Treiber aufgreift, die für die Einführung eines systematischen Kompetenzmanagements sprechen, und den Nutzen des Kompetenzmanagements für die Unternehmenspraxis beschreibt (image Kap. 1). Es liefert ein Prozessmodell, wie Praktikerinnen und Praktiker vorgehen können, wenn sie ein Kompetenzmanagementsystem implementieren wollen (image Kap. 2) und geht nachfolgend vertiefend darauf ein, wie ein Kompetenzmanagementsystem ausgestaltet werden kann: Wie können Kompetenzmodelle erarbeitet und Kompetenzen gemessen und erfasst werden? (image Kap. 3) Wie können webbasierte und IT-gestützte Diagnoseinstrumente eingesetzt werden? (image Kap. 4) Was ist bei der Gestaltung von kompetenzbasierten Trainings zu beachten? (image Kap. 5) Wie kann Kompetenzentwicklung in den Prozess der Arbeit integriert werden? (image Kap. 6) Wie können im Arbeitsleben erworbene Kompetenzen dokumentiert und anerkannt werden? (image Kap. 7) Wie können Kompetenzmanagement und Laufbahngestaltung verknüpft werden? (image Kap. 8) Das Buch schließt mit einem Ausblick über die Zukunft des Kompetenzmanagements v. a. in kleinen und mittleren Unternehmen (image Kap. 10).

Das Thema Kompetenzmanagement wird im Buch vor dem Hintergrund aktueller Forschungsbefunde betrachtet. Die Forschungsbefunde aus anderen Bereichen wie z. B. Training und Transfer, oder arbeitsintegriertes Lernen werden in die Ausführungen integriert, um dadurch in der Praxis tätigen Personalerinnen und Personalern sowie Beraterinnen und Beratern neue Impulse zu geben, wie sie ein Kompetenzmanagement – gerade in kleinen und mittleren Unternehmen – gestalten und umsetzen können. Handlungsempfehlungen mit einem starken Anwendungsfokus werden abgeleitet.

 

Simone Kauffeld und Hilko Paulsen

Braunschweig, Oktober 2017

 

Inhalt

 

 

  1. 1 Relevanz des Kompetenzmanagements
  2. 1.1 Kompetenzen als wertvolle Ressource
  3. 1.2 Kompetenzanforderungen durch moderne Arbeitswelten
  4. 1.3 Kompetenzmanagement: Kompetenzentwicklung planen, durchführen und kontrollieren
  5. 1.4 Kompetenzmanagement in dynamischen Arbeitswelten
  6. 1.5 Fazit
  7. 2 Entwicklung und Implementierung von Kompetenzmanagementsystemen
  8. 2.1 Der klassische Ansatz: Kompetenzmanagement als Top-Down-Entwicklung
  9. 2.2 Entwicklung und Implementierung von klassischen Kompetenzmanagementsystemen
  10. 2.3 Agile Kompetenzmanagementsysteme für moderne Arbeitswelten
  11. 2.4 Vorgehen bei der Implementierung eines Kompetenzmanagements
  12. 2.5 Fazit
  13. 3 Kompetenzmodelle nutzen, adaptieren und entwickeln
  14. 3.1 Merkmale von Kompetenzmodellen
  15. 3.1.1 Kompetenzverständnis
  16. 3.1.2 Dimensionen von Kompetenzanforderungen
  17. 3.2 Beispiele übergreifender generischer Kompetenzmodelle
  18. 3.2.1 Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen
  19. 3.2.2 Kompetenzatlas
  20. 3.2.3 Die Great Eight
  21. 3.3 Kompetenzmodelle entwickeln
  22. 3.3.1 Vorüberlegungen zur Kompetenzmodellstruktur
  23. 3.3.2 Datenerhebung
  24. 3.3.3 Kompetenzmodelle strukturieren
  25. 3.3.4 Kommunikative Validierung
  26. 3.3.5 Festlegung von Sollbereichen
  27. 3.3.6 Aufbereiten und Visualisieren
  28. 3.3.7 Nutzung und Verbreitung
  29. 3.4 Fazit
  30. 4 Kompetenzmessung
  31. 4.1 Anforderungen an Verfahren der Kompetenzmessung
  32. 4.1.1 Kompetenzverständnis als Grundlage
  33. 4.1.2 Psychometrische Gütekriterien
  34. 4.1.3 Praktikabilität
  35. 4.2 Verfahren der Kompetenzmessung
  36. 4.2.1 Befragung und Beurteilung
  37. 4.2.2 Beobachtung im natürlichen Setting
  38. 4.2.3 Beobachtungen im künstlichen Setting: Simulationsorientierte Verfahren
  39. 4.3 Fazit
  40. 5 IT-gestützte Instrumente des Kompetenzmanagements
  41. 5.1 Nutzen und Potenziale von IT-basierten Instrumenten des Kompetenzmanagements
  42. 5.2 Anforderungen an IT-gestützte Instrumente im agilen Kompetenzmanagement
  43. 5.3 Fazit
  44. 6 Kompetenzen entwickeln
  45. 6.1 Kompetenzentwicklung durch formales Lernen
  46. 6.2 Kompetenzentwicklung durch non-formales Lernen
  47. 6.2.1 Arbeitsgestaltung: Job rotation, job enlargement und job enrichment
  48. 6.2.2 Soziales Lernen: von anderen lernen
  49. 6.3 Kompetenzentwicklung durch informelles Lernen
  50. 6.4 Fazit
  51. 7 Dokumentation und Anerkennung von im Arbeitsleben erworbener Kompetenzen
  52. 7.1 Nutzen der Anerkennung
  53. 7.2 Formen der Anerkennung
  54. 7.2.1 Anerkennung als Sichtbarmachen durch Dokumentation
  55. 7.2.2 Anerkennung beim Arbeitgeber
  56. 7.2.3 Anerkennung auf dem Arbeitsmarkt
  57. 7.2.4 Anerkennung im formellen Bildungssystem
  58. 7.3 Fazit
  59. 8 Zukunft des Kompetenzmanagements
  60. 8.1 Kompetenzmanagement in vernetzten und digitalisierten Welten
  61. 8.2 Kompetenzmanagement und Gesundheit
  62. 8.3 Fazit
  63. 9 Literaturverzeichnis
  64. Stichwortverzeichnis

 

1          Relevanz des Kompetenzmanagements

 

 

Die Online-Druckerei »Druckfrisch«, ein mittelständisches Unternehmen, steht trotz guter Auftragslage vor einigen Herausforderungen. Die Druckbranche entwickelt sich mit rasantem Tempo. Neue Technologien ermöglichen es, Druckprodukte schneller, effizienter und darüber hinaus individualisiert anzubieten. Digitale Lösungen ermöglichen zudem, vom Kundenkontakt bis zur Bestellabwicklung viele Prozesse zu automatisieren. »Druckfrisch« startete einen Strategieprozess mit dem Ergebnis, das zukünftig individualisierte und an Kundenbedürfnissen orientierte neue Produkte angeboten werden sollen. Damit dies von Erfolg gekröhnt ist, benötigt »Druckfrisch« kompetente Beschäftigte, die auf diese Herausforderungen vorbereitet sind. Noch ist dem Unternehmen unklar, wie dies gelingen kann und deshalb holt es sich eine Beratung ins Haus. Diese empfiehlt, ein Kompetenzmanagement im Unternehmen zu implementieren. Die Geschäftsführung wirkt interessiert und möchte mehr erfahren.

Was verbirgt sich hinter dem Begriff »Kompetenzmanagement«? Ein Kompetenzmanagement beschreibt einen systematischen Ansatz um Kompetenzen aufzubauen. Systematik erhält dies durch eine strategische Relevanz: Es werden die Kompetenzen aufgebaut, die strategisch relevant sind. Nun stellt sich die Frage, was Kompetenzen sind. Der Begriff »Kompetenz« ist in aller Munde, häufig ist im Alltag die Rede von Kompetenzen als Zuständigkeit – so werden Kompetenzen manches Mal z. B. überschritten. Dies ist mit dem Begriff hier nicht gemeint. Einen besseren Zugang erhalten wir, wenn wir uns in die Rolle einer Kundin oder eines Kunden hineinversetzen. Ansprechpersonen am Telefon oder in einem Beratungschat nehmen wir öfter als kompetent oder inkompetent war – unabhängig davon, ob die Person über eine formelle Ausbildung verfügt. Kompetenz zeigt sich in der Bewältigung konkreter Arbeitsanforderungen. Diese besteht beispielsweise darin Kundinnen und Kunden erfolgreich zu beraten. Gelingt dies, war das Handeln kompetent. Dies setzt entsprechende Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissensbestände voraus. Kompetentes Verhalten ist zudem nicht auf einzelne Personen beschränkt, sondern umfasst auch Teams oder ganze Organisationen (image Kasten 1).

Kasten 1: Definition Kompetenz

Berufliche Handlungskompetenz umfasst alle Fähigkeiten, Fertigkeiten und Wissensbestände, die eine Person, ein Team oder eine Organisation bei der Bewältigung konkreter sowie vertrauter als auch neuartiger Arbeitsaufgaben handlungs- und reaktionsfähig machen und sich in der erfolgreichen Bewältigung konkreter Arbeitsanforderungen zeigen (vgl. Kauffeld, 2006).

Wichtig ist der Bezug zur erfolgreichen Handlung: Um kompetent zu sein, reicht es also beispielsweise nicht aus, dass ein Energie- und Gebäudeelektroniker im Kundendienst, der eine Waschmaschine reparieren soll, weiß, welche typischen Fehler auftreten können und wie man diese dann theoretisch behebt. Er muss erst einmal herausfinden, welcher Fehler im konkreten Fall vorliegt. Hierzu wendet er Methoden der systematischen Fehleranalyse an und holt sich auch Informationen beim Kunden ein. Bei besonders komplizierten Problemen schaltet er möglicherweise einen spezialisierten Kollegen ein, damit eine Lösung gefunden und die Anforderung erfolgreich bewältigt werden kann. Kompetenzen sind also eng an die erfolgreiche Problembewältigung und damit an die Arbeitsleistung geknüpft. Kompetenzen lassen sich so auch von Qualifikationen abgrenzen (image Kasten 2).

Kasten 2: Abgrenzung Kompetenz vs. Qualifikation

Kompetenzen zeigen sich nicht nur in der erfolgreichen Bewältigung von Arbeitsanforderungen, sondern werden vor allem in der Auseinandersetzung mit konkreten beruflichen Anforderungen erworben. Kompetenzen können auch in nicht geplanten und unstrukturierten Situationen und Lernprozessen aufgebaut werden. Sie lassen sich damit von Qualifikationen abgrenzen. Qualifikationen sind in der Regel an Zertifikate oder Zeugnisse gebunden, wurden in einem klar umschriebenen Curriculum in zumeist strukturierten und formalen Lernsettings erworben und sind stark am Input orientiert. Sie hängen maßgeblich von den Inhalten ab, die in das Curriculum eingehen. Kompetenzen orientieren sich hingegen am Output von Lernprozessen. Kompetenzen abstrahieren also vom Erwerb. Ob Beschäftigte über Kompetenzen verfügen, hängt nicht davon ab, ob sie Lehrgänge oder Weiterbildungen besucht haben. Beschäftigte können Kompetenzen auch im Prozess der Arbeit erwerben (Kauffeld, 2006).

Qualifikationen können, müssen jedoch nicht zu Kompetenzen führen. Im Alltag erleben wir dies oft als Unterschied zwischen »Theorie« und »Praxis«. Wer sich beispielsweise durch Fachbücher Wissen aneignet, muss dies in Verbindung mit Anwendungsmöglichkeiten bringen. Wissen kann ebenfalls von Kompetenzen abgrenzt werden: Erst die Anwendung des Wissens und die Motivation, das Wissen anzuwenden, führt zu Handeln. Ist das Handeln erfolgreich, d. h. konkrete Aufgaben werden bewältigt, dann handelt es sich um eine Kompetenz. Die Unterscheidung verdeutlicht North (2002) in der »Wissenstreppe«, welche die Beziehung Information, Wissen und Kompetenz darstellt (image Abb. 1 und image Kasten 3).

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Abb. 1: Beziehung zwischen Information, Wissen, Handeln und Kompetenz in Anlehnung an North (2002)

Kasten 3: Abgrenzung Kompetenz und Wissen

Kompetenz ist mehr als Wissen. Erst die Anwendung des Wissens und die Motivation das Wissen anzuwenden führt zu Handeln. Ist das Handeln erfolgreich, d. h. werden konkrete Aufgaben bewältigt, dann handelt es sich um eine Kompetenz. Die Unterscheidung verdeutlicht North (2002), der die Beziehung von Informationen zu Kompetenz treppenförmig darstellt. Informationen werden durch Vernetzung mit Erfahrungen und dem Kontext, also einer persönlichen Anbindung, zu Wissen. Wissen ergibt zusammen mit einem Anwendungsbezug das Können. Können und Wollen führen schließlich zum Handeln. Das erfolgreiche Handeln entspricht nun der Kompetenz (weitere Erläuterung der einzelnen Stufen image Tab. 1).

Tab. 1: Stufen der Wissenstreppe und Beschreibung dieser

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Der Unterschied zwischen Wissen und Kompetenz zeigt zweierlei:

1.  Wissen ist eine Voraussetzung für Kompetenz.

2.  Wissen alleine reicht nicht aus.

Auch in Wissensgesellschaften ist Wissen zwar von großer Bedeutung, jedoch nicht hinreichend für Kompetenzen. Kompetenzen sind hingegen in der Wissensgesellschaft zu einer der erfolgskritischsten Ressource für Organisationen geworden. Sie ermöglichen, dass Wissen in Arbeitsprozesse eingebracht wird. Das Wissen der Beschäftigten und ihre Fähigkeit dieses einzubringen, werden als ein zentraler Wettbewerbsvorteil für Unternehmen gesehen (Ployhart, Nyberg, Reilly & Maltarich, 2014). Diese Annahmen werden durch empirische Untersuchungen unterstützt. Metaanalysen konnten zeigen, dass Fähigkeiten und Wissen der Beschäftigten in einem Zusammenhang mit dem organisationalen Erfolg stehen (Crook, Todd, Combs, Woehr & Ketchen, 2011; Unger, Rauch, Frese & Rosenbusch, 2011) und dass der Verlust von Beschäftigten, z. B. durch Kündigung, in einem negativen Zusammenhang zum Unternehmenserfolg stehen (Hancock, Allen, Bosco, McDaniel & Pierce, 2013).

1.1       Kompetenzen als wertvolle Ressource

Kompetenzen gelten aus mehreren Gründen als wertvolle Ressource, die letztendlich zum Unternehmenserfolg beiträgt (Kauffeld, 2006).

•  Kompetenzen sind eine knappe Ressource, weil sie sich nicht kurzfristig aufbauen lassen, sondern über einen längeren Zeitraum hinweg entwickelt werden müssen.

•  Kompetenzen sind wertvoll, weil sie sich – so die Annahme – in einer höheren Produkt- und Dienstleistungsqualität und letzendlich auch im Unternehmenserfolg niederschlagen.

•  Kompetenzen müssen kontinuierlich entwickelt werden. Neues Wissen muss angeeignet werden, altes Wissen muss mit neuem Wissen vernetzt und in neue Handlungskontexte eingebracht werden.

•  Neben generellen Kompetenzen entwickeln Beschäftigte spezifische Kompetenzen. In vielen Unternehmen sind die Kompetenzen eng an die Arbeitsprozesse gebunden. Dadurch sind Kompetenzen beschränkt imitierbar – mit der Folge, dass der Aufwand zum Aufbau von spezifischen Kompetenzen steigt.

•  Kompetenzen sind auch nicht ohne Weiteres zu übertragen. Auch wenn Individuen bereits in der Lage sind, Wissen auf andere Anwendungskontexte zu transferieren und so ins Handeln zu kommen, sind die spezifischen Gegebenheiten andere. Erfolgreiches Handeln ist nicht garantiert und bedarf Übung.

•  Die oben genannten Faktoren tragen dazu bei, dass Kompetenzen nur eingeschränkt substituierbar sind. Selbst wenn Unternehmen wollen: Kompetenzen können nicht beliebig eingekauft werden, weil es oft nicht die spezifischen Kompetenzen auf dem Markt gibt.

Der Begriff »Kompetenz« ist kein neuer Begriff. Er hat eine längere Geschichte und gewann in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts auch im deutschsprachigen Raum Aufwind (image Kasten 4). Die Fähigkeit und Bereitschaft, unter unsicheren Bedingungen zu handeln, wurde als zentrales Merkmal von Kompetenzen angesehen (Erpenbeck & Heyse, 1999). Von besonderer Bedeutung für den Aufschwung der Kompetenzforschung in Deutschland ist der Transformationsprozess nach der Wiedervereinigung anzusehen. Viele Qualifizierungsmaßnahmen gingen an den beruflichen Anforderungen vorbei. Aufgrund schneller technologischer Veränderungen schlussfolgerten Staudt und Kriegsmann (1999) beispielsweise, dass Weiterbildungen chronisch verspätet kommen. Das bedeutet, wenn Weiterbildungen auf Trends reagieren, sind längst andere Trends aktuell. Der Fokus galt nun stärker den Anforderungen in konkreten beruflichen Situationen und dem Lernen im Prozess der Arbeit. Während früher Anwendung und Qualifzierung bei vertretbarer Effizienz getrennt waren, führen kurzlebige Prozesse dazu, dass Qualifikationszeiten länger werden, die Effizienz senken und eine stärkere Verbindung zwischen Qualifikation und Anwendung zur Vision wird (Baitsch, 1998; image Abb. 2)

Diese Themen sind immer noch aktuell. Kompetenzen sowie deren systematischer Aufbau im Sinne eines Kompetenzmanagements bleiben also auch gegenwärtig von Relevanz. Gleichzeitig stellen moderne Arbeitswelten neue Herausforderungen an das Kompetenzmanagement.

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Abb. 2: Verbindung von Qualifikation und Anwendung in Anlehnung an Baitsch (1998)

Kasten 4: Kleine Geschichte der Kompetenzforschung

Das Kompetenzmanagement und die ihm zugrundeliegende Forschung haben ihre Wurzeln in verschiedenen Strömungen, die zum Teil in einander fließen. Kompetenzen wurden zum einen aus individueller Sicht konzeptualisiert und zum anderen aus Perspektive der Organisation.

 

Kompetenzen aus individueller Sicht

«Testing for competence rather than for intelligence« lautete eine Publikation von David C. McClelland (McClelland, 1973), mit der spätestens die Kompetenzforschung in der Psychologie begann. McClelland ging davon aus, dass tätigkeitsspezifische und verhaltensbezogene Anforderungen besser geeignet sind um berufliche Leistung vorherzusagen, als klassische Intelligenztests. Er forderte daher, dass berufliche Eignungstests auf Basis von Tätigkeitsanalysen entwickelt werden müssten. Für McClelland repräsentierten Kompetenzen sowohl tätigkeitsspezifische als auch verhaltensbezogene Konstrukte, die sich in wenig strukturierten Situationen zeigen, in denen der Einzelne einen hohen Entscheidungs- und Handlungsspielraum hat. Zudem betrachtete er sie als veränderlich. Weiteren Aufschwung erhielt die Kompetenzforschung durch die Entwicklung von Kompetenzmodellen für Führungskräfte (Boyatzis, 1982).

Im deutschsprachigen Raum erlebte die Kompetenzdiskussion in den 1990er Jahren Aufschwung. Die Fähigkeit und Bereitschaft, selbstorganisiert unter unsicheren Bedingungen zu handeln, wurde als zentrales Merkmal von Kompetenzen angesehen (Erpenbeck & Heyse, 1999). Von besonderer Bedeutung für den Aufschwung der Kompetenzforschung in Deutschland ist der Transformationsprozess nach der Wiedervereinigung gewesen. Viele Qualifizierungsmaßnahmen gingen an den beruflichen Anforderungen vorbei. Der Fokus wurde so auf Kompetenzen statt auf Qualifikationen gelenkt. Eine Vielzahl von Forschungsprojekten wurde eingebettet in größeren, durch die Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung e. V. koordinierten Forschungsprogrammen. Deren Ergebnisse wurden in Sammelbänden publiziert (z. B. Arbeitsgemeinschaft Qualifikations-Entwicklungs-Management [QUEM], 1996, 1997, 1998, 1999).

 

Kompetenzen aus betriebswirtschaftlicher Perspektive

In der Betriebswirtschaft erhielten Kompetenzen im Zuge eines ressourcenbasierten Ansatzes – im englischen ressource based view (Barney, 1991) – Aufmerksamkeit. Der Ansatz geht davon aus, dass der Wettbewerbsvor- oder nachteil eines Unternehmens von der Qualität und Ausstattung seiner Ressourcen abhängig ist (Schreyögg & Eberl, 2015). Neben finanziellen oder technologischen Ressourcen zählen dazu auch Humanressourcen. Die Ressourcen, die nun einen Wettbewerbsvorteil versprechen und ein Alleinstellungsmerkmal des Unternehmens sind, wurden von Prahalad und Hamel (1990) als Kernkompetenz des Unternehmens bezeichnet. Die Kernkompetenz ist eng an die Unternehmensstrategie geknüpft, schafft Anpassungsfähigkeit und stärkt letztendlich die Wettbewerbsfähigkeit.

 

Kompetenzmanagement als Integration beider Perspektiven

Im Ansatz des betrieblichen Kompetenzmanagements (Athey & Orth, 1999; Audenaert, Vanderstraeten, Buyens & Desmidt, 2014; Gangani, McLean & Braden, 2006) laufen beide Strömungen zusammen. Einen wesentlichen Impuls für das betriebliche Kompetenzmanagement gab die Veröffentlichung von Spencer und Spencer (»Competence at work«, 1993), in der Beispiele für die aus einer Unternehmensstrategie abgeleiteten Kompetenzmodelle und deren Nutzen für Personalinstrumente aufgezeigt wurden. Im deutschsprachigen Raum wurde 2013 vom BMBF der Förderschwerpunkt »Betriebliches Kompetenzmanagement im demografischen Wandel« initiiert, in dem mehrere Projektverbände aus Wissenschaft und Praxis neue Lösungen des Kompetenzmanagements entwickeln und erarbeiten. Erste Ergebnisse wurden in einer Buchreihe (Kauffeld, Truschkat, Knackstedt, 2018) mit mehreren Sammelbänden (z. B. Ahrens & Molzberger, 2018; Bornewasser, 2018; Bullinger-Hoffmann, 2018; Hasebrook, Zinn & Schletz, 2018; Janneck & Hoppe, 2018; Kauffeld & Frerichs, 2018) publiziert.

 

Kompetenz in den Bildungswissenschaften

Der Begriff Kompetenz ist auch Gegenstand der Bildungswissenschaften gewesen. Früh wurde Kompetenzentwicklung als ein Erziehungsziel ausgegeben, das zur Mündigkeit führen soll, wobei die Entwicklung von Selbst-, Sach- und Methoden- sowie Sozialkompetenzen unterschieden wurde (Roth, 1971). Zu Selbstkompetenzen zählen demnach z. B. persönlich-charakterliche Fähigkeiten wie die des moralischen Urteilens, zu Sach- und Methodenkompetenzen kognitive Leistungsfähigkeiten und zu Sozialkompetenzen kooperative Fähigkeiten. Im weiteren Verlauf wurden in den Bildungswissenschaften Kompetenzen als kontextspezifische kognitive Vorausaussetzungen aufgefasst (Weinert, 1999). So wurde der Fokus nicht auf allgemeine Voraussetzungen wie die der Intelligenz gelegt, sondern auf spezifische kognitive Fähigkeiten und Fertigkeiten gerichtet (z. B. Lese- und Hörverstehen in Fremdsprachen). Groß angelegte Studien wie PISA erfassen vor allem diese Art von Kompetenzen. In einem Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) wurden in mehreren Projekten Modelle und Methoden zur Beschreibung und Erfassung dieser kontextspezifischen kognitiven Leistungsdispositionen entwickelt, die vor allem Lernergebnisse von Bildungsprozessen widerspiegeln (Fleischer, Koeppen, Kenk, Klieme & Leutner, 2013; Klieme & Leutner, 2006). In diesem Zuge wurde in den Bildungswissenschaften der Kompetenzbegriff jedoch stark auf diese kontextspezifische kognitive Fähigkeit reduziert und beispielsweise motivationale Aspekte weitgehend vernachlässigt (vgl. Schaper, 2012).

1.2       Kompetenzanforderungen durch moderne Arbeitswelten

Die Arbeitswelt ist im stetigen Wandel. Nichts ist so verlässlich wie die Veränderung (Kraiger, 2014). Arbeitsinhalte, Arbeitsorte und Arbeitsweisen ändern sich – Ursache sind veränderte Rahmenbedingungen. Gegenwärtig ist die Rede von VUKA-Welten (Ameln & Wimmer, 2016; Bennett & Lemoine, 2014; Mack, Khare, Krämer & Burgartz, 2016). Das Akronym steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambivalenz (image Kasten 5).

Kasten 5: VUKA – moderne Arbeitswelten: volatil, unsicher, komplex und ambivalent

Moderne Arbeitswelten werden anhand der vier Eigenschaften Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität beschrieben, abgekürzt (VUKA).

•  Volatilität beschreibt starke, oft ungeplante Veränderungen in kurzer Zeit. Bekannt ist der Begriff von den Finanzmärkten, in denen er Schwankungen beschreibt. Eine hohe Dynamik mit sprunghaften Veränderungen weitet sich nun jedoch auch außerhalb der Finanzmärkte aus. Auch private und berufliche Lebenswelten sind durch sprunghafte Veränderungen betroffen.

•  Unsicherheit beschreibt eine geringere Vorhersagbarkeit in privaten und beruflichen Lebenswelten. Prognosen treten oft nicht ein. Selbst dann, wenn Optionen und Möglichkeiten bekannt sind, ist oft unklar, welche genau eintreten werden.

•  Komplexität bezeichnet eine stärkere Vernetzung von einzelnen Komponenten, die miteinander interagieren. Das Zusammenspiel ist dabei oft nicht so leicht zu durchschauen. Bei technischen Systemen führt eine Veränderung in einem Parameter schnell zur Veränderung des gesamten Systems. In sozialen Systemen entsteht Komplexität durch das Zusammenwirken verschiedener Akteure.

•  Ambiguität beschreibt die Mehrdeutigkeit moderner Welten. Informationen sind oft nicht eindeutig. Oft gibt es zudem widersprüchliche Anforderungen, die in einem Spannungsverhältnis stehen.

Für die VUKA-Welten gibt es verschiedene Treiber, die zusammenspielen (Ameln & Wimmer, 2016):

•  Digitalisierung: Schon seit der Jahrtausendwende gibt es mehr digitale Daten (z. B. Dateien auf einem Computer) als analoge Daten (z. B. Daten in Aktenordnern; Hilbert & Lopez, 2011). Moderne Technologien ermöglichen den Austausch von Informationen über neue Medien. Vernetzt werden so nicht nur Menschen mit Menschen, sondern auch verschiedene Maschinen und Prozesse in der Wertschöpfungskette. Die Industrie 4.0 beschreibt das Internet der Dinge, in dem beispielsweise Produktionsmaschinen vernetzt sind und sich durch smarte Algorithmen selbst steuern (Kagermann, Wahlster & Helbig, 2013).

•  Automatisierung: Eng verbunden mit der Digitalisierung ist die zunehmende Automatisierung. Eine steigende Automatisierung in Produktionsprozessen ist eine wesentliche Entwicklung der letzten Jahre (Spath, 2013). Steigende Rechnerleistungen ermöglichen es, Aufgabenroutinen schnell und vor allem fehlerfrei zu erledigen. Eine Automatisierung im Kleinen ist das Erstellen von Serienbriefen. Im Großen laufen viele Produktionsprozesse, wie beispielsweise die Chipproduktion, mit einer hohen Automationsstufe ab. Der Mensch greift nur noch dann ein, wenn es Abweichungen gibt.

•  Individualisierung: War früher die Produktion mit einer Standardisierung verbunden, in der gleichartige Serienprodukte statt Einzelstücke gefertigt wurden, so ist heute eine stärkere Individualisierung gewünscht und umsetzbar. Die Produktion ermöglicht auch bei hoher Automatisierung die Berücksichtigung individueller Besonderheiten (Kagermann et al., 2013). Bereits jetzt werden Neuwagen oft in hochgradig individualisierten Ausstattungsvarianten gefertigt. Während heute Erwachsene weitgehend unabhängig von ihrem Gewicht die gleiche Anzahl an Tabletten einnehmen, wird künftig angestrebt, Medikamente in ihrer Dosis individuell abzustimmen.

•  Demografische Wandel: Der demografische Wandel wurde im öffentlichen Diskurs fast von der Digitalisierung verdrängt. Die Auswirkungen sind allerdings bereits jetzt in vielen Sektoren in Form von einem Fachkräfteengpass und alternden Belegschaften zu spüren. Früher galt die Aufmerksamkeit vor allem den besten Beschäftigten – die Rede war von einem war for talents (Michaels, Handfield-Jones & Axelrod, 2001). Heute sind insbesondere kleine und mittlere Unternehmen mehr denn je gezwungen, auch für Personengruppen attraktiv zu werden, die sie bislang vernachlässigt haben. In den technischen Handwerksgewerken sind dies beispielsweise Frauen oder Migranten und Migrantinnen. Eine weitere Strategie ist es, vorhandene Reserven und Potenziale auszuschöpfen und z. B. An- und Ungelernte zu qualifizieren und weiterzuentwickeln (Loebe & Severing, 2012). Aufbauend auf im Arbeitsleben erworbenen Kompetenzen, erfolgen aufgabenspezifische Schulungen, Nachqualifizierungen oder eine externe Prüfung. Bei Letzterer haben Beschäftigte, die längere Zeit ohne Ausbildung in einem Beruf tätig sind, die Möglichkeit die Prüfung zum Berufsabschluss, also z. B. eine Gesellenprüfung abzulegen. Diese Maßnahmen sind eng an die Anerkennung von im Arbeitsleben erworbenen Kompetenzen geknüpft (Mobach & Neumann, 2018).

•  Veränderte Berufsbilder und -biografien: Aufgrund der Dynamik in der Arbeitswelt ändern sich auch Berufsbiografien (Kauffeld & Spurk, 2018). Bereits früh wurde betont, dass Beschäftigte seltener ihr Arbeitsleben in einer Organisation verbringen, sondern öfter den Arbeitgeber wechseln (Hall, 1996, 2002). Dies geht zudem häufig damit einher, dass Laufbahnen nicht einem klassischen Aufstieg auf der »Karriereleiter« entsprechen, sondern auch das Einarbeiten in neue Themen erfordern. Durch andere Treiber wie die Digitalisierung ist zudem zu erwarten, dass sich auch innerhalb eines Berufsbildes die Tätigkeiten verschieben (Helmrich et al., 2016). Verwaltungsmitarbeitende müssen beispielsweise weniger Formulare eingeben und auswerten, sondern stärker Entscheidungen treffen und Prozesse steuern.

Mit diesen Veränderungen gehen veränderte Kompetenzanforderungen für Organisationen und Beschäftigte einher. Organisationen sind gut beraten in die Kompetenzentwicklung ihrer Beschäftigten zu investieren und diese zu fördern, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Beschäftigte müssen hingegen ihre Kompetenzen entwickeln, um ihre Beschäftigungsfähigkeit in der Zukunft zu sichern. Der Ansatz des Kompetenzmanagements verbindet beide Perspektiven. Er zielt darauf ab, die Kompetenzentwicklung systematisch zu planen, durchzuführen und zu kontrollieren (Grote, Kauffeld, Denison, Billich-Knapp & Frieling, 2012).

1.3       Kompetenzmanagement: Kompetenzentwicklung planen, durchführen und kontrollieren

Ein Kompetenzmanagement beschreibt einen systematischen Zugang zur Kompetenzentwicklung. Kompetenzentwicklung kann auch zufällig stattfinden und tut dies häufig auch. Sie jedoch komplett dem Zufall zu überlassen, birgt die Gefahr, dass zukünftig benötigte Kompetenzen nicht rechtzeitig aufgebaut worden sind.

Zentral im Ansatz des Kompetenzmanagements ist eine Verknüpfung mit der Organisationsstrategie. Aus dieser Strategie leiten sich die relevanten gegenwärtigen und zukünftigen Anforderungen, die an Beschäftigte gestellt werden ab. Systematisiert werden sie in einem Kompetenzmodell (image Kasten 6). Im Kompetenzmanagement ist das Kompetenzmodell Ausgangspunkt der systematischen Kompetenzentwicklung. Es bestimmt welche Kompetenzen vorhanden sein sollten und bei Bedarf entwickelt werden müssen (image Kasten 7).

Kasten 6: Definition Kompetenzmodell

Ein Kompetenzmodell ist eine Systematisierung strategisch relevanter Kompetenzen. Diese Systematisierung erfolgt mit dem Ziel organisationale oder individuelle Leistungen zu steigern und Kompetenzentwicklung zu erleichtern (vgl. Campion et al., 2011; Mansfield, 1996; Redmond, 2013).

Kasten 7: Definition Kompetenzmanagement

Ein betriebliches Kompetenzmanagement umfasst die systematische Planung, Durchführung und Kontrolle des Aufbaus, des Erhalts und der Entwicklung von Kompetenzen auf Grundlage eines Kompetenzmodells. Es verknüpft dabei verschiedene Human-Resource-Prozesse (z. B. der Personalauswahl, der Personalentwicklung und Laufbahngestaltung) durch ein Kompetenzmodell. HR-Experten und Führungskräften werden Werkzeuge zur Verfügung gestellt um individuelle, gruppenbezogene und organisationale Lernprozesse zu ermöglichen, zu fördern und zu unterstützen. Das Kompetenzmanagement bietet dabei zwar Instrumente, ersetzt die Lernprozesse selbst jedoch nicht (vgl. Sonntag & Stegmaier, 2005).

Das Kompetenzmodell ist dabei Dreh- und Angelpunkt verschiedener Human-Resource-Prozesse, die mit dessen Hilfe besser aufeinander abgestimmt werden können. Das Kompetenzmodell bildet die Ausgangslage für verschiedene Instrumente der Personalarbeit. Verbunden damit ist ein Nutzen für verschiedene Anlässe (image Kasten 8).

Kasten 8: Anwendungszwecke des Kompetenzmanagements

Kompetenzmanagement eignet sich für verschiedene Handlungsfelder in Organisationen:

•  Personalmarketing: Aus dem Kompetenzmanagement leiten sich Kompetenzanforderungen ab. Konkret werden die relevanten Kompetenzen beispielsweise in einer Stellenanzeige beschrieben, um eine höhere Passung zwischen Interessenten und Jobs zu erzielen. Das Personalmarketing umfasst jedoch mehr. Es zielt darauf ab, Personen(gruppen) zu identifizieren, die über die entsprechenden Kompetenzen verfügen und diese gezielt anzusprechen.

•  Personalauswahl: Im Personalauswahlverfahren werden für die Position relevante Kompetenzanforderungen getestet. Dies geschieht beispielsweise durch Arbeitsproben. Doch auch in Interviews kann der Fokus auf für den Job relevante Kompetenzanforderungen gelegt werden.

•  Personalentwicklung: Die Personalentwicklung dient dazu, spezifische, für den aktuellen oder einen zukünftigen Job relevante Kompetenzen aufzubauen.

•  Laufbahngestaltung: Für bestimmte Laufbahnpfade werden benötigte Kompetenzen beschrieben. Idealerweise sogar mit Möglichkeiten wie und wann sie entwickelt werden, so dass Beschäftigte früh Perspektiven entwickeln können. Damit geht oft auch die Anerkennung von im Arbeitsleben erworbener Kompetenzen einher.

•  Nachfolgeplanung: Wenn Personen aus der Organisation ausscheiden, besteht die Gefahr, dass damit wertvolle Kompetenzen verloren gehen. Frühzeitig können diese bei einem oder mehreren Beschäftigten aufgebaut werden.

Die Ansätze zeigen auch, dass Kompetenzmanagement eine Erfassung vorhandener Kompetenzen voraussetzt. Hierzu gibt es verschiedene Ansätze. Häufig erfolgt die Umsetzung anhand von IT-Instrumenten. Diese sind oft kritisch für den Erfolg von Kompetenzmanagementsystemen. An diese IT-Tools sowie an die Implementierung und Umsetzung eines Kompetenzmanagements im Ganzen stellen sich gerade in dynamischen Arbeitswelten hohe Anforderungen.

1.4       Kompetenzmanagement in dynamischen Arbeitswelten

In dynamischen Welten, die durch Schnelllebigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit geprägt sind, sind Organisationen bei dem Thema »Kompetenzmanagement« oft hin- und hergerissen. Kompetenzentwicklung wird grundsätzlich als wichtig betrachtet, doch selten werden strategische Konzepte umgesetzt. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Fehlendes Know-How und fehlende Ressourcen sind beispielsweise häufige Probleme. Gerade in kleineren und mittleren Unternehmen, in denen die Personalabteilungen, wenn sie denn existierten, vor allem administrative Prozesse wie Lohnabrechnungen übernehmen, ist dies häufig zu beobachten. Ein weiterer Grund liegt jedoch in der fehlenden Passung bisheriger Ansätze für die Dynamik der Arbeitswelt. Selbst bei vorhandenen zeitlichen und finanziellen Ressourcen bestehen viele Unsicherheiten, ob und wann ein Kompetenzmanagement erfolgreich ist. Bisherige Ansätze verleiten dazu, umfangreiche Kompetenzmanagementssysteme zu konzipieren, die nur schwer ins Laufen zu bringen sind. Mit anderen Worten: Es wird viel entwickelt und geplant. Systematische Kompetenzentwicklungsprozesse finden jedoch dadurch erst einmal nicht statt, sondern werden sogar aufgeschoben. Hier sind neuere Ansätze notwendig, damit Entwicklungsprozesse initiiert werden. Auf die Problematik sowie Lösungsansätze wird in Kapitel 2 näher eingegangen.

1.5       Fazit

Kompetenzmanagement ist relevant, weil Kompetenzen wertvolle Ressourcen darstellen, die entwickelt und erhalten werden müssen. Der Wert von Kompetenzen steigt in modernen Arbeitswelten, die schnelllebig, unsicher, komplex und mehrdeutig sind. Treiber wie die Digitalisierung, Automatisierung, Individualisierung und der demografische Wandel erfordern zudem die Entwicklung neuer Kompetenzen. Der Ansatz des Kompetenzmanagements ist ein systematischer Zugang zur Kompetenzentwicklung. Ausgehend von einer Strategie werden Kompetenzanforderungen in einem Kompetenzmodell strukturiert. Mit Hilfe von zumeist IT-basierten Kompetenzerfassungen lassen sich verschiedene Anlässe wie z. B. Personaleinsatzplanung, Nachfolgeplanung, Laufbahnplanung und Entwicklungsplanung im Rahmen von Mitarbeitergesprächen zur Strategieplanung nutzen. Die Entwicklung und Implementierung eines Kompetenzmanagements ist zudem mit Herausforderungen verbunden.

Weiterführende Literatur

 

Ameln, F. von, & Wimmer, R. (2016). Neue Arbeitswelt, Führung und organisationaler Wandel. Gruppe. Interaktion. Organisation. Zeitschrift für Angewandte Organisationspsychologie, 47(1), 11–21.

Grote, S., Kauffeld, S. & Frieling, E. (Hrsg.). (2012). Kompetenzmanagement (2., überarbeitete Auflage). Stuttgart: Schäffer-Poeschel.

Kauffeld, S. (2006). Kompetenzen messen, bewerten, entwickeln. Ein prozessanalytischer Ansatz für Gruppen. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.

McClelland, D. C. (1973). Testing for competence rather than for »intelligence«. American Psychologist, 28 (1), 1–14.

Spencer, L. M. & Spencer, S. M. (1993). Competence at work. Models for superior performance. New York: Wiley.

 

2          Entwicklung und Implementierung von Kompetenzmanagementsystemen