Der Bergpfarrer – 191 – Zuflucht auf dem Bender Hof

Der Bergpfarrer
– 191–

Zuflucht auf dem Bender Hof

Vor der Liebe kann man sich nicht verstecken

Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-761-5

Weitere Titel im Angebot:

»Ach, der Pfarrer Trenker! Mei, das ist aber eine Freude, Sie endlich mal wieder zu sehen. Nach so langer Zeit!«

Sebastian Trenker, der gute Hirte aus St. Johann, lächelte der Bender-Rosi freundlich zu und trank dann einen Schluck von dem Kräutertee, den die ältere Frau soeben aufgebrüht hatte. Erst vor ein paar Minuten hatte er den Bender-Hof erreicht und war freundlich empfangen worden. Jetzt saßen sich die beiden in der rustikalen Küche gegenüber. »Ich freu mich ebenfalls. Und recht schönen Dank für den Tee.«

»Gern geschehen. Aber nun sagen S’ schon die Wahrheit, Hochwürden. So ganz ohne Grund sind S’ doch net hier, oder?«

Sebastian lächelte. Als er vorhin den Bender-Hof erreicht hatte, hatte er der Rosi gesagt, dass er sich auf Wandertour befand, aber so ganz entsprach das nicht der Wahrheit, obwohl er schon froh gewesen war, mal ein wenig aus seiner gewohnten Umgebung herauszukommen. Der naturverbundene Geistliche hatte schon viel zu lange keine Bergtour mehr unternehmen können, und so hatte er die Wanderung bis nach Pertenried auch genossen.

Der eigentliche Grund, weshalb er hergekommen war, war aber ein anderer.

»’s ist wegen dem Ludwig, hab’ ich Recht?«, vermutete die Rosi.

Sebastian Trenker nickte. »Ich hab’ halt gehört, dass Ihr Mann im Krankenhaus liegt, Frau Bender, und da wollt’ ich schauen, ob ich Sie ein bisserl unterstützen kann.« Ludwig Bender war ein alter Freund vom Pfarrer, doch in den letzten Jahren hatten sie sich nur sehr selten einmal gesehen. Frau und Tochter vom Ludwig kannte Sebastian nur ganz flüchtig, was aber für ihn kein Grund war, der Familie seines Freundes jetzt in der Stunde der Not nicht seine Unterstützung anzubieten, im Gegenteil. »Ist doch sicher net grad einfach für Sie im Moment, hab’ ich Recht?«

Die Bender-Rosi senkte den Blick. »Ja, da haben S’ schon recht, Herr Pfarrer. Vor allem mach ich mir halt große Sorgen um den Ludwig. Wissen S’, sein Herz will wohl nimmer so recht. Die Ärzte sagen zwar, dass er wieder auf die Beine kommt, aber man weiß ja schließlich nie.«

Sebastian winkte ab. »Ach, ich denk, den Ärzten können S’ ruhig glauben. Und ich kenn den Ludwig doch auch. Der ist ein zäher Bursch, der kommt schon wieder auf die Beine.«

»Das hoff ich ja auch. Und solang er im Krankenhaus ist, geht die Arbeit auf dem Hof ja trotzdem weiter. Wir haben ja ein paar Burschen, die hier schon lang arbeiten und sich auskennen, aber trotzdem merkt man natürlich, dass der Ludwig an jeder Ecke fehlt. Vor allem weiß ich ja sowieso gar net, wie’s mal alles weitergeht.«

»Wie meinen S’ denn das, Frau Bender?« Sebastian schaute auf.

»Na ja, ’s steht halt net mehr allzu gut um den Hof. Der Ludwig hat schon länger g’meint, dass wir mal arge Probleme kriegen. Die Landwirtschaft bringt heutzutage nimmer so viel ein wie früher, und es müsste einiges renoviert werden, aber dafür fehlt halt das nötige Geld. Deshalb hat der Ludwig jetzt auch unsere Tochter angerufen und sie gebeten herzukommen.«

»Die Michaela?«, fragte der Pfarrer. »Ist das Madl denn schon hier?«

»Nein, aber sie müsst’ heut’ noch kommen, und dann will der Ludwig mit ihr sprechen und ihr alles erklären. Ich weiß auch net so genau, was er vorhat, aber es sieht wohl net gut um den Hof aus. Ich hab’ da ein ungutes Gefühl, Herr Pfarrer. Ich glaub, der Ludwig will verkaufen.«

Sebastian Trenker nickte, dann nahm er die Hand der älteren Frau und drückte sie. »Machen S’ sich mal net allzu viel Gedanken, Bender-Bäuerin«, sagte er und lächelte aufmunternd. »Der Ludwig wird schon wissen, was er tut. Jetzt warten wir erstmal auf die Michaela, und dann sehen wir weiter, was meinen S’?«

Erstaunt sah die Bender-Rosi ihn an. »Heißt das, Sie bleiben noch eine Weile hier?«

»Aber ja doch.« Pfarrer Trenker lachte. »Oder meinen S’ etwa, ich hab’ den Weg nur auf mich genommen, um kurz nach dem Rechten zu schauen und gleich wieder fortzugehen? Nein, nein, ich bleibe, solange es sein muss, darauf können S’ sich verlassen.«

*

Nicht selten fragte Michaela Bender sich, wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn sie nicht als Achtzehnjährige ihre Heimat verlassen und ihr Glück in der Stadt gesucht hätte.

Wahrscheinlich wäre ich heut’ glücklicher als ich es in der Stadt je war, dachte sie, und sofort kam ihr Andreas in den Sinn. Noch heute krampfte sich ihr Herz schmerzhaft zusammen, wenn sie an ihren ehemaligen Verlobten dachte und daran, was er ihr angetan hatte.

Sie zwang sich, die trüben Gedanken abzuschütteln, fuhr an den Straßenrand und hielt an. Dann schnallte sie sich ab und stieg aus dem Wagen.

Sofort nahm sie der Anblick, der sich ihr nun bot, gefangen. Es war einmalig: Landschaft, so weit das Auge reichte. Saftig grüne Wiesen, die ebenso wie Bäume, Sträucher und wild blühende Blumen von der Sonne in goldenes Licht getaucht wurden. Und im Hintergrund die gewaltigen, majestätischen Berge, deren weiße Spitzen den makellosen hellblauen Himmel zu berühren schienen. Es war einfach unbeschreibbar schön.

Tief sog Michaela die herrlich klare Bergluft in die Lungen. Sie dachte daran, dass sie viel zu lange nicht mehr hier, in ihrer Heimat, gewesen war. Dabei hatte sie sich einmal fest vorgenommen, ihre Eltern regelmäßig zu besuchen. Aber das Leben in der Stadt war stressig und hektisch, und vor lauter Arbeit und anderen Verpflichtungen war sie nur sehr selten dazu gekommen, an den Ort ihrer Kindheit und Jugend zurückzukehren.

Jetzt aber ging es nicht anders, und Michaela bedauerte es, dass sie unter solchen Umständen heimkehren musste.

Sie drehte sich um und ging wieder zu ihrem Wagen. Es waren nur noch etwa fünfzehn Minuten Fahrt, dann hatte sie den elterlichen Hof erreicht. Sie freute sich darauf, ihre Mutter nach so langer Zeit endlich wieder zu sehen. Und sie würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um sie in diesen schweren Zeiten zu unterstützen.

Nachdem sie sich angeschnallt hatte, wollte Michaela den Wagen starten, musste jedoch feststellen, dass es nicht klappte.

»Verflixt«, fluchte sie verhalten, »bitte, net ausgerechnet jetzt!«

Erneut drehte sie den Zündschlüssel herum, doch wieder nichts. Ebenso beim dritten und vierten Versuch.

Der Motor sprang nicht an.

Seufzend senkte Michaela den Kopf. Das darf doch jetzt echt net wahr sein, dachte sie frustriert. Da bin ich nach so langer Fahrt beinahe am Ziel, und dann das! Hätt’ ich doch nur net angehalten, um die schöne Aussicht zu bewundern!

Das Dumme an der Sache war, dass Michaela nicht mal einfach so einen Pannendienst anrufen konnte, weil sie ihr Handy zu Hause vergessen hatte. Normalerweise wäre das kein Problem gewesen, sie muss­te nicht ständig erreichbar sein, und eine Freundin konnte sie auch vom Telefon ihrer Mutter anrufen.

Jetzt aber wünschte sie sich, das Handy dabei zu haben.

Sie stieg wieder aus dem Wagen und starrte nachdenklich ins Leere. Was sollte sie denn jetzt machen? Sicher, weit war der Weg bis nach Pertenried nicht mehr, aber zu Fuß konnte sich die Strecke dann doch ganz schön in die Länge ziehen. Und bis hier mal ein anderes Auto vorbeikam…

Sie hatte den Gedanken nicht zu Ende gedacht, als plötzlich Motorengeräusch an ihr Gehör drang, das sich zügig näherte.

Überrascht schaute Michaela auf. Normalerweise war diese Straße nicht gerade viel befahren, sie schien also wirklich Glück zu haben.

Gleich darauf erblickte sie dann auch schon den Wagen, der aus derselben Richtung kam wie sie eben.

Es handelte sich um einen roten Sportflitzer, und der Fahrer fuhr nicht eben langsam.

Schnell entschlossen stellte Michaela sich mitten auf die Straße und begann, heftig zu winken.

Bremsen quietschten, und schließlich kam der Wagen einige Meter vor Michaela zum Stehen, wobei die Reifen ordentlich Staub aufwirbelten.

Einen Wimpernschlag später stieg der Fahrer aus dem Auto und kam auf Michaela zu.

Der stockte bei seinem Anblick für einen Moment der Atem.

Er war etwa einsneunzig groß, schlank, ohne aber schlaksig zu wirken, mit starken Oberarmen und einem Brustkorb, für den manch anderer Mann sicher so einiges gegeben hätte. Sein dunkles Haar war kurz und mit Geld modisch in Form gebracht, und seine Augen waren so blau wie das Wasser eines Bergsees.

Michaela ertappte sich dabei, wie sie einen prüfenden Blick auf seinen rechten Ringfinger war, und errötete. Warum erleichterte es sie nur so über alle Maßen, dass er keinen Ehering trug? Sie kannte diesen Mann doch gar nicht. Dennoch kam sie nicht umhin festzustellen, dass er wohl das attraktivste männliche Wesen war, das ihr je begegnet war.

»Sagen S’ mal, sind Sie wahnsinnig geworden?« Seine aufgebrachte Stimme riss sie aus ihren Träumereien. »Sie können doch net einfach mitten auf der Straße herumstehen! Stellen S’ sich mal vor, was passiert wär’, wenn ich auch nur einen Augenblick lang unaufmerksam gewesen wär’! Überfahren hätt’ ich Sie!«

Michaela senkte schuldbewusst den Blick, dann fragte sie sich, was sie da eigentlich machte, und reckte das Kinn vor. So eine Unverschämtheit war ihr ja noch nie untergekommen! Was fiel diesem Kerl eigentlich ein, so mit ihr zu reden?

»Nun regen S’ sich mal bitt’ schön wieder ab, ja?«, gab sie bissig zurück. »Ich stand ja wohl weit genug weg, und wenn ich g’merkt hätt’, dass Sie mich net sehen, hätt’ ich immer noch zur Seite gehen können.«

Jetzt endlich erreichte der Mann sie.

»So, meinen Sie, ja?«, fragte er kopfschüttelnd. »Dann will ich Ihnen mal was sagen: Ich…« Er winkte ab. »Ach, ist ja auch egal. Hat schließlich eh keinen Zweck, einer Frau was erklären zu wollen. Also, wo drückt denn der Schuh? Springt Ihr Wagen net an?«

Michaela biss die Zähne zusammen. Am liebsten hätte sie dem Kerl mal kräftig die Meinung gesagt, aber dummerweise war sie auf seine Hilfe angewiesen. Sie selbst würde ihren Wagen unmöglich wieder flottkriegen. Von Autos hatte

sie nämlich so gut wie keine Ahnung.

Also nickte sie nur und sagte: »Genau das. Gerade lief er noch, dann hab’ ich eine kurze Pause gemacht, und jetzt will er einfach net mehr anspringen.«

»Schon mal nachgeschaut, ob der Tank leer ist? Wundern tät’s mich ehrlich g’sagt net.«

Michaela stemmte die Fäuste in die Seiten. »Jetzt hören S’ mal«, protestierte sie. »Ich geb’ ja zu, dass ich net besonders viel Ahnung von Autos hab’, aber ganz bestimmt ist mir net einfach der Sprit ausgegangen. Ich hab’ nämlich vorhin erst noch getankt.«

»Ist ja schon gut.« Der Mann lächelte beschwichtigend, setzte sich ans Steuer von Michaelas Wagen und versuchte selbst, den Motor zu starten. Natürlich vergeblich.

»Hm«, sagte er nachdenklich. »Springt tatsächlich net an.«

Michaela rollte entgeistert mit den Augen. »Na, daran haben S’ doch wohl net etwa gezweifelt, oder? Meinen S’ wirklich, ich würd’ mir hier die Beine in den Bauch stehen, wenn…«

»Nein, nein, natürlich net, ist ja schon gut.« Er stieg wieder aus, öffnete die Motorhaube und schaute sich alles genau an. Michaela beobachtete, wie er an einigen Kabeln herumfummelte, ab und zu verhalten fluchte und schließlich rief:

»Versuchen Sie es mal, bitte.«

Michaela klemmte sich hinters Steuer und drehte den Schlüssel. Als der Motor gleich beim ersten Mal ansprang, konnte sie ihre Überraschung nicht verbergen.

»Meine Güte«, rief sie durch die noch offene Fahrertür, »das ist ja kaum zu glauben. Wie haben S’ das denn hinbekommen?«

Er ließ die Motorhaube wieder nach unten fallen, rieb sich die Hände an seiner Hose und winkte ab. »Ach, war ein Kinderspiel. Es hatte sich nur ein Kabel gelöst, mehr net. Also, ich wünsch’ dann weiterhin gute Fahrt.« Er nickte ihr noch einmal zu, wandte sich dann ab und stieg wieder in seinen Wagen.

»Ihnen auch. Und haben S’ vielen Dank«, rief Michaela ihm noch hinterher, aber da fuhr er schon los. Na, so was, dachte Michaela, während sie ihm nachsah. Das ist aber auch keine Art. Net mal vorgestellt hat er sich. Aber da sieht man’s mal wieder: Gutes Aussehen allein reicht eben noch lange net.