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Bertelsmann Stiftung · Das Progressive Zentrum (Hrsg.)

Soziale
Marktwirtschaft:
All inclusive?

1

Öffentliche Räume

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2018 Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh

Verantwortlich: Dr. Henrik Brinkmann

Lektorat: Heike Herrberg

Herstellung: Christiane Raffel

Umschlaggestaltung und Layout: Büro für Grafische Gestaltung –

Kerstin Schröder, Bielefeld

ISBN 978-3-86793-801-3 (Print)

ISBN 978-3-86793-817-4 (E-Book PDF)

ISBN 978-3-86793-818-1 (E-Book EPUB)

www.bertelsmann-stiftung.de/verlag

Inhalt

Individualisierung vs. öffentliche Kooperation: Welche inklusiven Institutionen und Räume braucht die Soziale Marktwirtschaft?

Henrik Brinkmann, Manuel Gath

Auf die öffentlichen Infrastrukturen kommt es an! Warum gerechtigkeitsorientierte Politik auf eine Strategie der öffentlichen Räume und Netze setzen muss

Peter Siller

Inklusive öffentliche Räume in Stadt und Land: Zwei Praxisbeispiele aus den Niederlanden

Sabine Meier

Virtuelle öffentliche Räume: Der Algorithmus und die Gesellschaft

Benjamin Dierks, Katharina A. Zweig

Die Autorinnen und Autoren

Abstract

INDIVIDUALISIERUNG VS. ÖFFENTLICHE KOOPERATION:
WELCHE INKLUSIVEN INSTITUTIONEN UND RÄUME BRAUCHT DIE SOZIALE MARKTWIRTSCHAFT?

Henrik Brinkmann, Manuel Gath

Zur Buchreihe

Die Bundesrepublik Deutschland steht gut da. Wirtschaftliche Kennziffern wie das Bruttoinlandsprodukt, die Exportquote oder auch die Beschäftigungsentwicklung und das Steueraufkommen zeichnen das Bild einer rundum gesunden und vor ökonomischer Stärke strotzenden Volkswirtschaft. Ein ähnlich einheitliches Bild von unserer Gesellschaft zu zeichnen, will hingegen nicht gelingen: In der öffentlichen, politischen und akademischen Debatte geht es immer häufiger um soziale und wirtschaftliche Ungleichheit zwischen Menschen, Regionen, ja selbst Branchen wie der exportorientierten Industrie auf der einen und dem lokalen Dienstleistungsgewerbe auf der anderen Seite. Dabei ist nicht allein entscheidend, ob der Befund einer ungerechter gewordenen Gesellschaft empirisch in all seinen Facetten Bestand hat. Schon die Debatte beweist, dass das Thema gesellschaftlich relevant ist.

Die große Zahl ökonomischer und ökologischer Krisen der vergangenen Jahre hat vielen die Grenzen des bisherigen Wachstumsmodells deutlich gemacht. Die westlichen Industriegesellschaften, auch Deutschland, müssen sich kritisch hinterfragen lassen.

Zeitgleich lässt sich hierzulande ein Verlust von Vertrauen in die gesellschaftliche Leistung unserer Wirtschaftsordnung beobachten. Spätestens seit der weltweiten Finanzkrise hat sich nicht nur global, sondern auch in Deutschland die Einkommens- und Vermögensungleichheit in vielen Bereichen erhöht – die Chancen hingegen sind geringer geworden. Unser gesellschaftliches Selbstverständnis beinhaltet das Versprechen von Bildungs- und Entwicklungschancen für das Individuum und die Ermöglichung von sozialem Aufstieg. Wenn diese Perspektive für immer größere Teile der Gesellschaft nicht realisierbar ist, gefährdet das die Akzeptanz für unsere Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung.

Eine der Grundideen der Sozialen Marktwirtschaft ist die einer Markt- und Wettbewerbsordnung, in der wirtschaftliches Wachstum und sozialer Ausgleich Hand in Hand gehen. Vor diesem Hintergrund stellen sich zentrale Fragen, auf die Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft Antworten finden müssen. Werden die Versprechen der Sozialen Marktwirtschaft noch eingelöst? Wie krisenfest bzw. -anfällig ist unser Wirtschaftssystem? Welche Anforderungen stellen die Bürgerinnen und Bürger an unsere Wirtschafts- und Sozialordnung? Vor welchen Herausforderungen stehen wir in Zukunft wirtschaftlich und gesellschaftlich? Kurzum: Was muss getan werden, um weiterhin für alle Menschen in Deutschland ein gutes Leben zu ermöglichen?

Im Rahmen mehrerer Diskussionsrunden mit Vordenkern1 der in Deutschland etablierten Parteien, Wissenschaftlerinnen und Unternehmern haben die Bertelsmann Stiftung und Das Progressive Zentrum gemeinsam mit den Teilnehmenden Thesen, Positionen und Konzepte erörtert. Daraus ist ein vielfältiges Leitbild für eine zukunftsfähige und gesellschaftsorientierte Soziale Marktwirtschaft entstanden, die ein inklusives Wachstum möglich machen soll. Der vorliegende Band soll Diskussionen anregen und Denkanstöße geben, mit welchen Maßnahmen unser Wirtschaftsmodell zukunftsfest gemacht werden kann. Unser Ziel ist es, heute einen Beitrag zu leisten, damit die Weichen für morgen richtig gestellt werden.

Zu diesem Band

Wirtschaftliche und soziale Ungleichheit kann dazu führen, dass eine Gesellschaft trotz aller gemeinsamen Werte, Traditionen und Erfahrungen auseinanderdriftet. Sozioökonomische Ungleichgewichte im realen Alltag der Menschen tragen dazu bei, dass die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland nicht als so inklusiv und gerecht wahrgenommen wird, wie man es für eines der wohlhabendsten Länder der Welt erwarten würde.

Woran liegt das? Als Gesellschaftsordnung zielt unsere Vorstellung von Sozialer Marktwirtschaft doch gerade darauf ab, wirtschaftliches Wachstum und soziale Sicherheit zu kombinieren. Das geschieht zum einen über höchst ausdifferenzierte und auf individuelle Bedarfsfälle zugeschnittene soziale Sicherungssysteme, die hierzulande eine lange historische Tradition haben, sich aber auch immer in einem evolutionären Prozess neuen Erfordernissen angepasst haben. Zum anderen schafft auch die Steuerpolitik sozialen Ausgleich.

Finanzielle Chancen lassen sich über monetäre Transfers bereitstellen – ganz anders verhält es sich mit dem sozialen und kulturellen Kapital, das in erster Linie über gesellschaftliche Institutionen erworben wird. Ein Spannungsverhältnis wird also deutlich: Stärkt man individuell wirkende soziale Sicherungssysteme oder stärkt man kollektiv wirkende öffentliche Institutionen und Mechanismen? Diese Frage spielt ebenfalls bei der Auseinandersetzung um öffentliche Investitionen oder distributive Politikansätze eine Rolle. Dabei kann es jedoch immer nur um das Austarieren zwischen beiden Optionen gehen, nie um ein absolutes Entweder-oder.

Denn so grundlegend das Steuer- und Transfersystem für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist: Investitionen, öffentliche wie private, spielen eine ebenso wichtige Rolle für unsere Gesellschaft. Das leuchtet unmittelbar ein bei staatlichen Investitionen in Infrastrukturen wie Straßen, Brücken und Schulen, bezieht sich aber grundlegender auf alle öffentlichen Güter und schließt selbst private Güter nicht aus, sofern sie ganz oder teilweise öffentlich zugänglich sind, etwa von privaten Trägern betriebene soziale Einrichtungen. Eine Gegenüberstellung, die wir auch im Titel aufgreifen.

Eine Leitfrage mit Blick auf öffentliche Räume, Institutionen und Netze sollte sein, welche Wirkung sie haben und welche primären wie sekundären Funktionen sie erfüllen. Der enge, nur performanzgetriebene Fokus auf die kurzfristigen Erträge von Investitionen verschafft kollektiven Gütern – deren Wirkung über Generationen angelegt ist und über das finanziell einfach Fassbare hinausgeht – im Diskurs einen unnötig schweren Stand. Dieser Grundgedanke steht hinter Forderungen nach einem neuen, erweiterten Investitionsbegriff, der bewusst auch den »ideellen Beton« einschließt. Notwendige Bedingung für die gesellschaftliche Wirkung einer Investition in eine Schule wird zwar immer ihre pure Existenz sein – ein fester Ort, ein Gebäude aus Beton ist Voraussetzung für alles Weitere –; entscheidend ist dann aber, was in dem Schulgebäude passiert: wer dort partizipiert, von welcher Qualität die Lehre ist und wie sie die Lebensgestaltungs- und Aufstiegschancen der Schülerinnen und Schüler beeinflusst.

Häufig wird vermutet, dass die Angst vor einem gesellschaftlichen Abstieg die eigentliche Triebfeder für Aus- und Abgrenzung sei, für den Wunsch nach Schutz vor Fremdem und für das Absichern des Eigenen gegenüber dem der anderen. Bedeutet »ernst nehmen« der Zukunftssorgen vieler Menschen dann nicht zuallererst eine vorurteilsfreie Betrachtung von Chancen und Aufstiegsmöglichkeiten innerhalb unserer Gesellschaft? Abstiegsängste zu bekämpfen würde dementsprechend heißen konkrete Aufstiegschancen zu bieten und soziale Mobilität institutionell zu gewährleisten. Der breite Zugang zu öffentlichen Institutionen, Infrastrukturen und Netzen mit hoher Qualität ist hierfür ein Schlüssel.

Öffentliche Räume sind eine Form öffentlicher Güter, die unter dem Aspekt von Begegnung, von Gleichheit und von Zugänglichkeit für alle Menschen Inklusion nicht nur massiv befördern, sondern ihr vielmehr als notwendige Bedingung zugrunde liegen. Sie haben einen im ursprünglichen Sinne kollektiven Charakter und ergänzen die oft unvollständige formale Gleichheit in der gesellschaftlichen Realität um einen tatsächlich gleichen Zugang.

In der Diskussion um die Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft geht es immer häufiger um abgehängte Regionen: strukturschwache Landkreise, in denen es wenig wirtschaftliche Dynamik und hohe Arbeitslosigkeit gibt. Die Debatte dreht sich auch um den immer stärker werdenden Gegensatz von Stadt und Land, von boomenden urbanen Zentren und stagnierender Peripherie. Das führt uns erneut die Räumlichkeit unserer wirtschaftlichen, aber auch sozialen Entwicklung vor Augen und verdeutlicht, dass eine Wirtschaftsordnung wie die Soziale Marktwirtschaft nur dann wirklich inklusiv ist, wenn sie zur Überwindung regionaler Disparitäten beitragen und die räumliche Segregation von Gesellschaftsschichten aufbrechen kann. All diese Fragen werden in den drei Beiträgen dieses Bandes aufgenommen und in unterschiedlicher Weise beleuchtet.

Nicht nur unsere Marktwirtschaft, sondern vor allem auch unsere Gesellschaft ist darauf angewiesen, dass die Menschen an ihr teilhaben und am öffentlichen Leben partizipieren können. Gesellschaftliche Teilhabe braucht öffentliche Räume als Orte der Begegnung und der Erfahrung, die nicht nur für alle zugänglich sind, sondern auch alle ansprechen. Erneut spielen hier öffentliche Einrichtungen wie Schulen oder Bibliotheken eine zentrale Rolle, aber auch die konkrete Ausgestaltung des öffentlichen Stadtbildes, in dem alltägliche Begegnung an vielen Orten stattfindet.

Der Beitrag von Peter Siller in diesem Band stellt die Frage nach der Gerechtigkeit und dem Zugang zu öffentlichen Gütern – verstanden als Institutionen, Infrastrukturen und Netze – aus einer inklusiven Gesellschaftsperspektive. Wenn man wie er davon ausgeht, dass Gerechtigkeit die Freiheit bedeutet, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, dann müssen Menschen genau hierzu in die Lage versetzt werden. Das kann über einen individuellen monetären Ausgleich erfolgen, aber eben auch über einen kooperativen Ansatz der Koproduktion von öffentlichen Gütern. Eine Schlüsselrolle bei der Bereitstellung und Organisation öffentlicher Güter und Räume kommt, wie so oft, den Kommunen zu. Gerade sie sind es, die Orte konkreter Begegnung im Kleinen schaffen und im Sinne der vor Ort lebenden Menschen gesellschaftliche Akzeptanz begünstigen können.

Wie gestalten wir öffentliche Güter, wie finanzieren wir sie und welche Teilhabe, auch im Sinne einer Verantwortung, haben Menschen an ihnen? Kann nicht ihre öffentliche Bereitstellung als eine kollektive Koproduktion ein gemeinschaftsförderndes Element in unserer Gesellschaft sein? Die Bürgerinnen und Bürger einer Gesellschaft haben als Teilhaber ein Stück Verantwortung für sich, aber eben auch für den Raum, in dem sie sich bewegen, und somit auch für andere Menschen. Teilhabe an einer Gesellschaft bedeutet immer gleichzeitig Verantwortung und Selbstbestimmung – beides letztlich Garantinnen für individuelle Freiheit.

Sabine Meier legt aus stadtsoziologischer Sicht dar, wie Stadt-, Quartiers- und Raumplanung den Charakter menschlicher Begegnung und damit auch Inklusion und Integration beeinflusst. Ihre Kernthese ist, dass neben dem eigenen Wohnraum und dem Arbeitsplatz öffentliche Räume als dritte Orte für eine Gesellschaft im ursprünglichen Sinne von Geselligkeit zentral sind. Für wirkliche Inklusion müssen öffentliche Räume daher eine temporäre Aneignung durch Einzelgruppen und auch ein Nebeneinander von Aktivitäten zulassen. Das stellt besondere Herausforderungen an die Gestaltung, aber auch an die Nutzung dieser Räume.

Im Kontext der zunehmenden Digitalisierung müssen öffentliche Räume jedoch nicht nur physisch, sondern immer häufiger auch digital verstanden und gedacht werden. Digitale Interaktionsformen und die Bedeutung von Algorithmen werden die Funktion, Wirkungsweise und auch die Konsequenzen einer digitalen Öffentlichkeit immer stärker prägen. Vor diesem Hintergrund werden Rufe laut nach einem Teilhabeausbau im Sinne der Kompetenzvermittlung sowie einer stärkeren demokratischen Kontrolle. Es ist schwer zu sagen, wie tief die Digitalisierung unser Leben noch verändern wird. Momentan scheint vieles darauf angelegt, die Individualisierung des Menschen weiter zu befördern. Umso stärker drängt sich die Frage auf, in welchen Bereichen des öffentlichen Lebens wir uns auf Algorithmen verlassen sollten und wie wir deren Nutzung gleichzeitig mit klaren Verantwortlichkeiten und Kontrollmechanismen flankieren können.

Benjamin Dierks und Katharina A. Zweig eröffnen die Perspektive auf virtuelle öffentliche Räume und ihre Bedeutung für unsere Gesellschaft. In einer Welt, in der immer mehr Aspekte des täglichen Lebens von und durch Algorithmen bestimmt oder beeinflusst werden, ist es notwendig, sich mit ihrer Wirkungsweise – online und offline – reflektiert auseinanderzusetzen. Dabei tritt erneut das Spannungsverhältnis zwischen kollektivem und individuellem Charakter zutage, wenn Algorithmen vermehrt eine präzise Individualisierung von Leistungen, Angeboten und damit auch mögliche Privilegierungen befördern. Auf diese Weise bewirken sie eine fundamentale Veränderung des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft. Ähnlich tiefgreifend sind die Auswirkungen, die Big Data und künstliche Intelligenz für den öffentlichen Raum und seine zukünftige Ausgestaltung haben können.

1Für eine bessere Lesbarkeit verwenden wir meist entweder die weibliche oder die männliche Form personenbezogener Substantive. Wenn nicht anders erwähnt, sind damit beide Geschlechter gemeint.

AUF DIE ÖFFENTLICHEN INFRASTRUKTUREN KOMMT ES AN!
WARUM GERECHTIGKEITSORIENTIERTE POLITIK AUF EINE STRATEGIE DER ÖFFENTLICHEN RÄUME UND NETZE SETZEN MUSS

Peter Siller

Es wird höchste Zeit, den politischen Streit für mehr Gerechtigkeit in der Bundesrepublik mit einer anderen Philosophie, einer anderen Strategie und anderen Schlüsselprojekten zu versehen, als wir sie in den letzten Jahrzehnten vorgeführt bekommen haben. Quer durch die bundespolitischen Parteien und Akteure, die sich Gerechtigkeit auf die Fahnen schreiben, erleben wir eine ritualisierte Fokussierung auf die Höhe der Steuersätze und die Höhe und Länge von Sozialtransferleistungen, die zu der entscheidenden Frage gar nicht mehr vordringt, wie sich gesellschaftliche Teilhabe überhaupt herstellt: nämlich wesentlich durch inklusive Infrastrukturen im Sinne öffentlicher Räume und Netze.

Die Erneuerung und Stärkung der öffentlichen Räume und Netze sind der Stoff für eine überzeugende Gerechtigkeitserzählung, die sich an ihrer tatsächlichen Wirksamkeit für mehr Teilhabe der Ausgeschlossenen, Prekären und Verunsicherten messen lassen kann. Die Schauplätze dieser Erzählung sind vielfach die kommunalen Räume und Netze vor Ort – und führen deshalb zwangsläufig zu einer neuen Verantwortung des Bundes für die Unterstützung der kommunalen Infrastrukturen. Die steuerpolitische Frage auf der Einnahmeseite ist dadurch alles andere als obsolet, aber sie ist nicht Selbstzweck, sondern hat auf der Ausgabenseite einen triftigen und transparenten Grund. Auch die Frage der Sozialtransfers wird dadurch nicht per se falsch, denn auch in diesem Bereich besteht immer wieder Ände-rungs- und Anpassungsbedarf. Die Frage nach der Einkommensverteilung bleibt zudem aus (keynesianischen) Gründen mit Blick auf das Ausgabeverhalten privater Haushalte und die dadurch erzeugte wirtschaftliche Dynamik aktuell. Doch der strategische wie der kommunikative Fokus verschiebt sich entlang dieses Ansatzes deutlich.

Diejenige politische Kraft, die sich eine solche Strategie der Teilhabe durch öffentliche Infrastrukturen als Erste aneignen würde, sichtbar und konkret, könnte nicht nur einen radikalen – nämlich wirksamen – Ansatz vorweisen, wäre nicht nur eine für viele plausible Erzählung vom solidarischen Zusammenleben – sie hätte auch ein echtes Alleinstellungsmerkmal in einem Diskurs vorzuweisen, der sich im Wesentlichen darin erschöpft, ob man für höhere Steuern/Sozialtransfers ist oder aus wirtschaftlichen Gründen dagegen.

Die politische Bedeutung öffentlicher Infrastrukturen entspricht der lebensweltlichen Erfahrung vieler Menschen mit Teilhabe- bzw. Ausschlusserfahrungen. Eine entsprechende Strategie beruht gleichzeitig auf Annahmen normativer und empirischer, grundsätzlicher und operativer Art, deren Offenlegung überhaupt erst deutlich macht, wo die entscheidenden Unterschiede zum gerechtigkeitsdiskursiven Status quo liegen. Fangen wir also nochmals von vorne an und gehen die wichtigsten Elemente einer solchen Strategie durch.

Fragen wir zunächst noch einmal, welche Anforderungen ein sinnvoll verstandener Begriff der Gerechtigkeit an politisches Handeln stellt. Dabei geht es zunächst darum zu zeigen, welche unterschiedlichen Grundperspektiven sich hinter diesem noch weitgehend unbestimmten Begriff verbergen (1.). Sodann wird gezeigt, dass Gerechtigkeit nur dann zum normativen Leitbegriff taugt, wenn er auf der Sequenz von Gleichheit und Freiheit aufbaut, also auf dem regulativen Ideal gleicher Freiheitmöglichkeiten beruht (2.). Auf dieser Grundlage erfolgt eine Bestimmung von drei Zentralfiguren im Gerechtigkeitsdiskurs: öffentlichen Gütern, Teilhabegerechtigkeit und realen Möglichkeiten ( 3.). Schließlich erfolgen eine Analyse und eine empirische Beschreibung des sozialen Auseinanderdriftens der Gesellschaft als Teilhabeschere (4.).

Auf der Suche nach einer effektiven Strategie der Stärkung tatsächlicher Teilhabe, also eines realen Zugewinns an allgemeinen Selbstbestimmungsmöglichkeiten, führt der Weg rasch von der bloßen Definition öffentlicher Güter (im Sinne grundlegender Güter eines selbstbestimmten Lebens) zur Frage nach deren Produktionsbedingungen (5.). Das setzt voraus, die Begriffe »Infrastruktur« wie auch »Institution« schärfer zu stellen, die hier bei unterschiedlichen Akzentuierungen in ihrem Kerngehalt synonym verwendet werden (6.). Ebenso notwendig ist eine neue Befassung mit dem Begriff »Öffentlichkeit« – der gleich drei entscheidende Dimensionen für das Gelingen der vorgeschlagenen Strategie aufruft: Gewährleistung, Zugänglichkeit und Begegnung (7.). Auf der Grundlage dieser Überlegungen lässt sich klarer sagen, was die vier Kernanforderungen an das Gelingen öffentlicher Infrastrukturen bzw. Institutionen sind: die Verbindung von Qualität und Zugänglichkeit als Kernsequenz wie auch die Möglichkeit zur Mitgestaltung und zu einer effektiven und auch effizienten Binnenorganisation (8.).

Die hier vorgeschlagene Strategie öffentlicher Teilhabe braucht Erneuerung und finanzielle Stärkung. Sie lässt sich nicht auf eine Strategie der monetären Stärkung öffentlicher Institutionen und Infrastrukturen reduzieren, aber auch nicht auf eine Erneuerung ohne finanzielle Stärkung. Hinsichtlich der Ausgabenfinanzierung und -priorisierung ist es notwendig, sich nochmals mit dem Begriff und der Praxis der öffentlichen Investitionen zu befassen, der mit Blick auf den Teilhabezweck nicht nur zu unscharf gebraucht wird, sondern sowohl in einer Hinsicht zu verkürzt als auch in anderer Hinsicht zu dominant (9.).

Spätestens an dieser Stelle gilt es, sich mit der Frage der ökonomischen Wertschöpfung zu befassen. Eine Strategie öffentlicher Teilhabe ohne das Gelingen der ökonomischen Transformation, ohne eine kompetente Politik der Ordnung, Anreizsetzung und Unterstützung kann nicht gelingen (10.). Auf dieser Grundlage lässt sich sodann genauer beschreiben, wie die finanzpolitischen Konturen der vorgeschlagenen Strategie auf Einnahmen- und Ausgabenseite aussehen (11.). Der Ansatz klarer und priorisierter Ausgaben kulminiert dabei in dem strategischen, praktisch sinnvollen und zugleich symbolträchtigen Vorschlag, öffentliche Mehreinnahmen in einem Verhältnis von 2:1 in öffentlichen Institutionen und Infrastrukturen einzusetzen (12.).