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Table of Contents

Titel

Impressum

Diese Geschichte ist

Widmung

Wer alles in dieser Geschichte mitspielt

Noch vor dem Anfang

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

Wichtige Nachbemerkung

Mehr Zauberhaftes und Wunderbares

Die geheime Geschichte von Güldenland

Ein Himmel aus PAPIER

Das Geheimnis der verrückten Puppenmacherin

Emma und die gestohlene Geschichte - Krimi für Kinder

Amanda Wundervoll - Märchenhafter Roman für Kinder ab 8 Jahre

SOS aus dem Traumland - Märchenhafter Roman für Kinder

 

 

 

 

Elfriede Philipp

 

 

Die fantastische Reise

zum Bücherhimmel

 

Roman für Kinder

 

 

 

 

 

 

 

 

DeBehr

 

Copyright by: Elfriede Philipp

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

ISBN: 9783957534781

Erstauflage: 2017

Umschlaggrafik Copyright by Fotolia by: NextMars

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Diese Geschichte ist

eine Liebeserklärung

an das Buch und das Lesen.

Für Leseratten,

Bücherwürmer und Kinder,

die ein Geheimnis

zu bewahren wissen.

Psssst! Kein Wort über den Bücherhimmel!

 

Für Helmut Deußen,

der mir Mut gemacht hat.

 

Wer alles in dieser Geschichte mitspielt

 

  1. Louise-Ann, die Heldin der Geschichte – zehn Jahre alt

  2. Die Mutter von Louise-Ann, die ihre Geschichte zerreißt

  3. Der Vater von Louise-Ann, der Bücher illustriert

  4. Sophie Lenbach, die einen Buchladen besitzt und eine Freundin ist

  5. Die kleine Gespenstin Elviera

  6. Drachenjunge Friedrich

  7. Drachenjunge Fritz, Bruder von Friedrich

  8. Die Fee Zarriena, die keine gute Fee ist

  9. Die Fee Ramiera, die Locken bekommt

  10. Olaf, ein Gedankenfresserchen

  11. Der Adler Adorn

  12. Die Buchfee Rosalinda, Hüterin des Buchhimmels

  13. Das sprechende Buch

  14. Der Bücherhimmel, der ein besonderer ist

 

Noch vor dem Anfang

 

Du musst dir vorstellen, dass es über dem Himmel, den wir in der Hauptsache von unten betrachten und den wir mal in Blau, mal in Grau sehen, mit weißen Wolken oder dunklen, aus dem die Regentropfen fallen und die Schneeflocken herabwirbeln, den die Sonne vergoldet, noch einen ganz anderen gibt.

Er ist vollgestellt mit Büchern und nicht weniger schön. In ihm wird jedes Buch, das jemals geschrieben wurde, aufbewahrt, eingeordnet und abgestaubt. Das tun zwei Feen, die ihn eifersüchtig bewachen und die den Namen Bücherfee verdienen. Ihr sehnlichster Wunsch ist es, einmal in Ruhe ein Buch lesen zu dürfen aus der unendlichen Fülle, die in kaum noch zählbaren Regalen auf sie wartet.

Noch kein menschlicher Fuß hat den Bücherhimmel betreten. Im Grunde genommen ist er schrecklich geheim und müsste noch entdeckt werden.

Nur wenige haben einmal in ihn hineingeblickt. Ich weiß auch nur davon, weil das einigen Kindern geschehen ist, die es mir später erzählt haben. Denn manchmal, aber nur in mondhellen Nächten, also wenn der Mond scheint, um es alltäglich zu sagen, weil der Vorgang schon so unglaublich ist, wird der Vorhang, der ihn sonst verhüllt, für einen Augenblick zurückgezogen und du darfst einen Blick auf ihn werfen. – Da stehen sie alle in ihren Einbänden. Du siehst nur ihre Rücken in Blau, Rot, Braun, Schwarz; mit Goldschrift oder schlicht in irgendeiner Farbe stehen der Titel und der Name des Schriftstellers darauf, und du liest es begierig. Es weitet dir das Herz. Jetzt fühlst du, was ein Buch sein kann: Abenteuer, Freundschaft, Geheimnis, ein Versprechen, das nur gemeinsam entschlüsselt werden kann. Überwältigt von seinem Anblick, schließt du die Augen für einen Wimpernschlag; wenn du sie wieder öffnest, ist er verschwunden und du zweifelst daran, ihn je gesehen zu haben. Du verschließt dein Wissen in dir, dass es ihn gibt, aber die Liebe zu Büchern bleibt in dir, ebenfalls der heiße Wunsch, einmal das Wagnis einzugehen, ein Buch selber zu schreiben, wenn man erwachsen ist. Alles andere hast du vergessen.

Höre, auch das kommt noch hinzu: Welcher Erwachsene glaubt an einen Bücherhimmel? Ich kenne keinen. – Nun, vielleicht Sophie Lenbach, die Buchhändlerin, über die wir noch mehr erfahren werden. Aber es ist ein sehr irdischer. Doch da fällt mir die Mutter von Louise-Ann ein, sie gehört zu denen, die ihn als Kind sehen durften. Von ihr habe ich auch meine Kenntnisse. Nun ist sie gerade dabei, ihr erstes Buch zu schreiben, doch das ist nicht so einfach.

Das hat Louise-Anns Mutter auch schon gemerkt, und fast sieht es so aus, als würde dieses Buch niemals geschrieben werden, denn ein böser Streit hat Louises Eltern entzweit. Wir werden davon hören, auch von Louise-Ann, die es dabei am härtesten trifft. Dann gibt es noch eine Gespenstin, die in einem modernen Kinderbuch eigentlich nichts zu suchen hat und doch gebraucht wird.

Immer mehr Bücher drängen zum Bücherhimmel empor. In den beiden Bücherfeen wächst langsam die Angst, der Platz reiche bald nicht mehr aus und sie müssten ihn schließen. Was für die Menschen auf der Erde kein wirklicher Verlust wäre, denn sie wissen nicht von ihm und haben ihn nie besessen. Mit ihren vielen elektronischen Geräten, die sie erfunden haben, kommen sie wunderbar zurecht in ihren Bibliotheken und Buchhandlungen. Nur die Kinder würde es treffen, sie würden ihn vermissen, und die mondhellen Nächte würden ärmer sein.

Doch halt, wir sind ja erst am Anfang der Geschichte, und das Wichtigste wurde noch gar nicht erwähnt: Vor einigen Jahren fiel aus den Händen der Fee Rosalinda ein Buch zur Erde, das bis heute verschollen ist. Trotz vieler Plakate, die die Fee in ihrer großen Not auf der Erde verteilen ließ, wurde es nie gefunden. Es enthielt das große Geheimnis, dass es einen Bücherhimmel gibt, von dem niemand auf der Erde weiß, auch welche Gefahren ihm drohen, sollte er entdeckt werden. Dieses Buch, unersetzlich und wunderschön und mit einer geheimen Botschaft versehen, ist der eigentliche Anlass, diese Geschichte zu schreiben.

Nun geht es los! Pass aber auf, ob der Bücherhimmel sich auch für dich einmal öffnet, noch ist er nicht geschlossen. Natürlich solltest du dabei ein Buch in den Händen halten. Das wollte ich dir noch sagen.

Und wenn auf der Erde kein Mensch mehr nach einem Buch greift, weil es keins mehr gibt, ist noch immer der Bücherhimmel da, wenn sein Geheimnis, dass es ihn gibt, nicht verraten wird.

 

1. Kapitel

So ist die Lage

Es war ein Freitag und nichts deutete darauf hin, dass es ein besonderer Freitag werden würde, einer, an dem eine Geschichte beginnt. Weder Louise-Ann noch die kleine Gespenstin Elviera ahnten etwas davon. Doch sie kam in Gang mit den ersten Schritten von Elviera aus der kleinen alten Ruine hinaus zu dem Mädchen Louise-Ann hin, das nicht weit entfernt im Gras saß, mit angezogenen Beinen, einem Skizzenblock auf den Knien, und sie zeichnete.

Das Gras ist feucht, sie wird nasse Flecke an ihre weißen Schuhe bekommen, stellte Elviera missbilligend fest. Man sollte seine Sachen schonen, dachte sie. Ich habe in meinem früheren Leben meine Sachen immer geschont, denke ich jedenfalls. Und zu Anfang einer Geschichte gleich krank zu werden, ist auch nicht günstig. Ganz plötzlich überkam die kleine Gespenstin ein Gefühl, da ginge es um den Anfang einer Geschichte. Genau genommen wäre es der zweite Anfang für sie, denn sie war bereits aus einer Geschichte ausgestiegen, weil es dort nicht weiterging. Und doch beschlich sie jetzt eine Ahnung, als würden diese beiden Anfänge zueinander gehören.

„Aber von allen guten und schlechten Dingen gibt es gewöhnlich drei“, murmelte das Gespenst, das in einem verbeulten Gestell eines Reifrockes steckte, und sie sah hinüber zu Louise-Ann.

„Sie sitzt und zeichnet, als ob es nichts Wichtigeres gäbe.“ Sie ging, um sich das, was da gezeichnet wurde, anzusehen. Dabei dachte sie an Blumen, eine Wiese, die kleine Ruine, was Mädchen eben so zeichnen und malen. Dann aber zuckte sie betroffen zurück, als sie dem Mädchen über die Schulter spähte – Louise-Ann zeichnete sie!

„Peng“, sagte die kleine Elviera, da haben wir ihn, den dritten Anfang und den Anschub, den eine Geschichte braucht, um in Fahrt zu kommen. Man kann ihn sich nicht aussuchen. So würde sie die goldene Strickleiter, die sie aus der anderen Geschichte mitgebracht und die sie in der grauen Ruine abgelegt hatte, vielleicht doch noch brauchen.

Elviera stellte sich auf Zehenspitzen und linste erneut über die Schulter von Louise-Ann, nickte dann anerkennend. „Genau so sehe ich aus“, hauchte sie dem Mädchen in das linke Ohr. „Ich habe mich in einer Spiegelscherbe in der alten Ruine betrachtet.“ Sie unterdrückte einen anerkennenden Pfiff und bewunderte das Grübchen, welches das Mädchen nur durch einen Punkt neben den linken Mundwinkel ins Gesicht gezaubert hatte. „Habe ich bisher kaum bemerkt“, stellte sie fest.

Louise-Ann kitzelte ein kalter Hauch im Nacken, sie merkte, wie ihre Füße langsam nass wurden, und im Rücken saß ihr ein kalter Schauer. Ihr Vater würde sie loben für ihre Zeichnung. „Bravo, Anne“, würde er sagen. Ihre Mutter käme bestimmt mit dem Einwand: „Es gibt keine Gespenster in der Wirklichkeit, nur in Geschichten. In meiner gibt es eins, doch es trägt keinen Reifrock, sondern ein Hemd oder einen Kittel, wie man es gewohnt ist.“ Genau das waren ihre Worte gewesen, als sie die Illustrationen des Vaters betrachtete, der als Illustrator in einem großen Verlag arbeitete.

„Ich wollte hinzufügen, was du noch nicht erzählt hast“, verteidigte ihr Vater seine Zeichnung, die sie, Louise-Ann, sehr schön fand. Sie würde bestimmt auch anderen Kindern gefallen wie die vielen Kinderbücher, die ihr Vater schon illustriert hatte.

Doch ihre Mutter meinte, für ihre Geschichte sei sie nicht passend. „Bleibe du bei deinen Zeichnungen und lass mir meine Geschichte so, wie ich sie schreibe.“ Das kam spitz und mit schrillen Tönen. Ihre Mutter schien sichtlich verärgert. Ihre Augen blitzten dunkel vor Erregung und sie blies sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn.

„Aber in der kleinen Ruine habe ich genau so ein Gespenst erblickt“, fügte ihr Vater mit einem kleinen Lächeln an. Es sollte heißen, wir wollen uns doch deshalb nicht streiten.

„Seit wann kannst du Gespenster sehen, Martin?“, fragte ihre Mutter. „Das ist mir neu.“ Sie übersah das Lächeln im Gesicht ihres Mannes. „Außerdem gibt es keine Gespenster.“

So ging der Streit weiter und endete böse.

Und das alles wegen einer Geschichte, dachte Louise-Ann und schüttelte darüber den Kopf. Dann seufzte sie auf. Nun bedauerte sie, keinen Radiergummi eingesteckt zu haben, um das Grübchen, das sich recht gut machte, wieder zu entfernen. Ihr Vater wäre gegen das Radieren gewesen. „Falsche Linien bleiben einfach stehen“, hörte sie ihn sagen. Doch ihr war eingefallen, dass diese Gespenstin auf der Zeichnung sehr viel Schuld an dem Streit ihrer Eltern trug. Und Louise-Ann gab ihr auch einen Anteil daran, dass sie seit Kurzem ein Freitagskind geworden war. Louise-Ann ballte wütend die Hände zu Fäusten. Diesen Streit zwischen ihren Eltern fand sie bescheuert. „Es sollte eine Schule für Eltern geben, wo Kinder das Sagen haben“, vertraute sie Paula, ihrer besten Freundin, in der Hofpause an.

„Meine Eltern streiten um Geld“, sagte Paula wissend, „sie sind geschieden.“

„Nun, das sind wir nicht“, Louise-Ann atmete tief aus und ein, „aber wir leben jetzt getrennt. Paps wohnt nun über dem Gang in der Wohnung, die gerade frei wurde. Er meint, es ist seine Atelierwohnung, vielleicht nur vorübergehend. Wir wissen es noch nicht. Und jeden Freitag bis Sonntagnachmittag wohne ich bei ihm. Das ist lustig.“ Aber es klang unendlich traurig und voller Unverständnis für die Erwachsenen.

„Das kann sich wieder ändern“, tröstete Paula. „Und eine Geschichte kann man auch umschreiben.“

Danach dachte Louise-Ann darüber nach, wie sie ihre Eltern versöhnen konnte, aber es fiel ihr nicht das Passende ein. „Sie sind beide Dickschädel“, sagte sie.

Durch ihre Schuhe drang die Feuchtigkeit, sie fühlte es an den Zehenspitzen. – Nein, krank werden brachte auch keine Lösung. Ganz deutlich hörte sie wieder die streitenden Stimmen ihrer Eltern. Jetzt ging es um einen Hund, der ebenfalls auf einer Illustration ihres Vaters zu sehen war. Er gefiel ihrer Mutter deshalb nicht, weil ihr Vater ihn mit einem unlösbaren Halsband gezeichnet hatte.

„Davon steht nichts in meiner Geschichte. Was du dir nur immer ausdenkst, genau wie das Reifrockgespenst.“

Louise-Ann richtete sich auf und klappte den Zeichenblock zu. Sie wusste nur zu gut, was ihr Vater darauf geantwortet hatte: „Also, wenn meine Illustrationen deine Geschichte schlechter machen …“, die Worte blieben gleichsam in der Luft stehen und verdunkelten die freundliche Küche, „… dann … dann …“

Nun hatte sie vom Streit ihrer Eltern endgültig genug. Wie eine lästige Melodie brummten die Worte weiter hinter ihrer Stirn. Langsam schlurfte sie mit lustlosen Schritten durch das feuchte Gras der Straße und dem Haus zu, in dem sie mit ihren Eltern wohnte. Überrascht blieb sie plötzlich stehen. Fast hätte sie es vergessen, es war ein Freitag heute. Von einem Freitag war nichts Gutes zu erwarten. An dem Tag wechselte sie die Wohnung und zog zu ihrem Vater.

„Auf Wiedersehen bis Sonntagabend“, sagte sie dann zu Mam, „da bin ich wieder zurück.“

Freitags packte sie ein kleines Rollköfferchen mit den Sachen für ein Wochenende.

„Wir sind beide für dich da“, sagte ihre Mutter nach einem Kuss zum Abschied. „Schau, ob es neue Illustrationen gibt“, rief sie Louise-Ann nach.

Bei ihrer Mam schlief sie auf einer gemütlichen Liege. Drüben bei ihrem Vater stand jetzt ein prächtiges Himmelbett in dem Zimmer für sie. Louise-Ann bewunderte die hauchzarten Vorhänge daran. Wenn die nur von ihrer Mutter genäht worden wären und nicht von einer Firma. Auch wünschte sie sich, beide sollten auf die Idee mit dem Himmelbett gekommen sein.

„Ich dachte, du hast dir immer eins gewünscht?“, fragte ihr Vater etwas enttäuscht, als Louise-Anns Freude nur gedämpft ausfiel.

„Es ist wunderbar“, beeilte sie sich zu versichern. Es stand eben nur am falschen Platz. Trotzdem schlief sie fest und angenehm darin.

Von ihrem neuen Zimmer bei ihrem Vater erblickte sie, wenn sie aus dem Fenster sah, die düstere Ruine und auch einmal die kleine Gespenstin in ihrem Reifrockgestell. Nach einigem Hinschauen fand sie, ihr Vater habe sie genau so gezeichnet, wie sie aussehe. Nur bekam die Sache einen Haken: Ihre Mutter behauptete, es gebe keine Gespenster.

Zum Glück gab es da immer noch Sophie Lenbach, mit ihr konnte sie darüber sprechen. Sophie besaß so viele Bücher und wusste deshalb über ganz alltägliche Dinge oft etwas Kluges zu sagen. Außerdem verstand sie zu schweigen. Auch wenn sie niemals auch nur ein Wort darüber verloren hatten, wusste sie, Sophie Lenbach war ihre Freundin. Eines Tages würde sie es auch aussprechen. Bis dahin bewahrte sie es als Geheimnis, und das war fast noch schöner. Natürlich wusste sie längst von Sophies sehnlichstem Wunsch. Er ähnelte in gewisser Weise dem der Bücherfeen, was erstaunlich ist. Nur ging es bei Sophie nicht um ungestörtes Lesen. Ihr Wunsch gipfelte in einem Flug nach New York und dort nach Manhattan, das ein Stadtteil von New York ist. „Dort steht das schönste Hotel der Welt“, schwärmte Sophie, „das Hotel ‚Zum Buch’. Es besitzt einen eigenen Bücherhimmel und jeder Gast schläft mit unzähligen Büchern in einem Zimmer.“ Vor Sehnsucht nach diesem Ort wurde Sophies Stimme immer ganz klein. Oh, sie wäre da ganz gern dabei.

Aber erst musste sie es schaffen, ihre Eltern wieder zu versöhnen, das war ihr sehnsüchtigster Wunsch. So war die Lage. Sie war nicht gerade rosig, aber doch nicht aussichtslos. Irgendwann würde ihr schon das Richtige einfallen für ihre Eltern, nur sollte es bald sein.

Doch das war eben noch nicht alles.

Wovon niemand etwas ahnte, da kam noch einiges dazu. Und es gab auch noch die kleine Gespenstin, eine goldene Strickleiter, eine angefangene Geschichte von Louise-Anns Mutter und … und …

Wir dürfen gespannt sein.

 

2. Kapitel

Bei Sophie

Louise atmete tief aus und ein. Mit ihrem Rollköfferchen in der Hand stand sie vor der Wohnungstür ihres Vaters. Klingeln war zwecklos. Heute würde ihr keiner öffnen. Ihr Vater lag nach seinem Sturz mit einem gebrochenen Handgelenk im Krankenhaus. Dann drückte sie doch den Knopf. Für ein paar trotzige Sekunden sollte alles so sein wie immer. Dann fischte sie den Schlüssel aus ihrer Jeanshose und schloss auf.

Alle Zimmertüren standen offen, es roch nach dem Rasierwasser ihres Vaters, auf dem Teppich im Wohnzimmer lagen verstreut Skizzenblätter, die Möbel sahen sie stumm an.

„Da bin ich“, sagte sie leise und kam sich wie ein Eindringling vor. Musste es auch gerade die rechte Hand sein, die ihr Vater gebrochen hatte? Louise-Ann bückte sich, um die Skizzen aufzusammeln und sie auf einem kleinen Tisch abzulegen. Mit der rechten Hand zeichnete ihr Vater seine Figuren und Illustrationen. Sein halbes Lächeln im Krankenhaus konnte sie nicht darüber hinwegtäuschen, wie tief es ihn getroffen hatte. „Ohne meine rechte Hand gebrauchen zu können, bin ich ein halber Mensch, Annekind.“ Dabei klopfte er auf seinen Gipsarm. „Zeichne du jetzt für mich“, fügte er halb im Scherz, halb im Ernst hinzu. „Halte du die Stellung vor Ort.“

„Klar doch, Paps“, beeilte sie sich zu versichern, mit Festigkeit in der Stimme. Da wusste sie noch nicht, was auf sie zukommen würde und dass sie zum Wochenende allein wäre.

„Oh – ist es schon dieses Wochenende, an dem ich deiner Großmutter versprochen habe zu kommen, um ihr bei der Gardinenwäsche zu helfen?“, erinnerte sich ihre Mutter plötzlich. Genau dieses Wochenende war es.

„Ich lass dich nicht gern allein“, sagte sie mit einem Seufzer. „Aber deine Oma braucht jetzt manchmal eine helfende Hand. Noch immer verschmäht sie die Trittleiter und steigt lieber auf einen Stuhl mit einer Fußbank drauf. Noch ein Sturz in der Familie darf wirklich nicht sein.“

Louise-Ann nickte dazu. Was sollte sie auch sagen. Sie wusste, ihre Omi war manchmal etwas eigensinnig und pochte auf ihre Selbstständigkeit.

„Vielleicht sollte ich auch einmal mit ihr über meine Geschichte reden“, meinte ihre Mutter mit einem ganz neuen Interesse an der Fahrt. „Leider kann ich nicht an zwei Orten zur gleichen Zeit sein.“ Ihre Mutter hatte sie liebevoll an sich gedrückt.

Nun, wenn das so war, dachte Louise-Ann, dann will ich auch etwas Vergnügen. „Fahr du ruhig und richte an Omi aus, sie soll vorsichtig sein. Ich gehe zu Sophie Lenbach, wir essen exotisch.“

Ihre Mutter lächelte darüber. Denn die Kochkünste von Sophie hörten sich reichlich abenteuerlich in ihrer Zusammenstellung an. Doch Sophie nannte das einfach exotisch und jedes Essen bei ihr war für Louise ein Festmahl. Schon weil es nicht oft vorkam und meistens ganz ungeplant stattfand.

Louise sagte: „Es ist ein Freitag, da gehe ich hinüber zu Paps ins Atelier, wenn du nicht da bist.“ In ihrem Hinterkopf rumorte der Gedanke, so brauche ihre Mutter keine lästige Ausrede, wenn sie ihren Vater im Krankenhaus besuchen wollte, ehe sie ihre Fahrt antrat. Manchmal taten sich Eltern sehr schwer mit einer Versöhnung vor ihrem Kind. Dann aber kamen Louise Bedenken, ob es so einfach funktionieren würde.

„Sie sind eben beide Dickschädel“, knurrte Louise-Ann vor sich hin. Das mit dem Vertauschen der Eheringe ihrer Eltern hatte bisher auch nichts gebracht. Louise dachte noch einmal darüber nach. Ihr Plan war so einfach und überzeugend gewesen, als sie auf den Goldring starrte, der auf dem Nachttisch ihrer Mutter lag. Vertauschen! Sie würden es merken und beim Rücktausch sich gerührt in die Arme fallen. Doch jeder Ring döste weiter vor sich hin und nichts geschah.

Louise hob weitere Skizzenblätter auf, strich sich dabei einige dunkle Haarsträhnen aus der Stirn. Da kam ihr die Zeichnung mit der Gespensterfrau in ihrem Drahtrock in die Finger. Nach einer gründlichen Prüfung fand sie abermals, sie wäre gut gelungen und passe hervorragend in jedes Kinderbuch. Genau das würde sie ihrem Vater bei ihrem nächsten Gespräch sagen. Vielleicht tröstete ihn das im Krankenhaus. Und wenn Mam in ihrer Geschichte noch keine Gespenstin mit Reifrockgestell hatte, so wäre das für sie, Louise-Ann, ein Klacks, eine einzufügen. Wirklich, sie sah keine Schwierigkeit, Illustration und Geschichte miteinander zu verbinden. Für einen winzigen und verwegenen Augenblick kam ihr sogar der Gedanke, sie müsse sich der Geschichte annehmen. Aber gleich darauf schob sie alles von sich. Geschichten schreiben war etwas für Erwachsene, sie zu illustrieren auch.

Nur hier waren die Erwachsenen ihre Eltern, und da ging es sie schon etwas an. Es ging sie sogar sehr viel an. Sie wollte nicht mehr lange ein Freitagskind sein. Darüber musste sie mit Sophie Lenbach reden.

Mit ihren dunklen Haaren und den braunen Augen war Louise-Ann nicht sehr groß für ihre zehn Jahre. Außerdem wünschte sie sich eine andere Nase, etwas kleiner sollte sie sein. Was gar nicht nötig war, denn ihre eigene passte ganz ausgezeichnet in ihr Gesicht. Ihre Hände, lang und schmal wie die ihres Vaters, fand sie schön. Besonders die rechte mochte sie, die so gut einen Stift zu halten vermochte. Manchmal sprach sie zu ihr, wenn sie zeichnete. „Gib mir mehr Schwung“ oder „es sieht noch zu steif aus, strenge dich an“.

Louise musterte noch einmal die Zeichnung. Die gerafften Locken an beiden Seiten neben den Ohren der Gespenstin, einer sehr jungen Gespenstin, fast noch ein Kind, trug heute niemand mehr. Aber bei einem Gespenst mit Reifrock sah es ganz neu und modern aus. Die ganze Figur verbreitete Heiterkeit.

Nun legte sie die Zeichnungen übereinander. Dann öffnete sie ein Fenster. Während die frische Luft hereindrang, starrte Louise aus dem Fenster auf die andere Straßenseite mit den Einfamilienhäusern mit den Vorgärten und sah dabei etwas ganz anderes. Ganz deutlich erblickte sie den kleinen Buchladen von Sophie Lenbach, der die Straße hinunter um die Ecke lag. Stufen führten zu ihm hinauf, und es gab ein kleines Geländer an der rechten Seite zum Festhalten. Im Schaufenster zog eine übergroße Schreibtischlampe alle Aufmerksamkeit auf sich, die ihren warmen Schein über die ausgestellten Bücher ergoss. Am Abend stellte sich Louise einen unsichtbaren Leser daneben vor, der in den Büchern blätterte.

Bestimmt wartete Sophie schon auf sie. Plötzlich wurde Louise unruhig. „Weißt du, freitags kaufen die Leute kaum Bücher, da denken die meisten nur daran, was sie für ihre Mahlzeiten brauchen. Eigentlich merkwürdig, wo das Wochenende doch gerade Zeit zum Lesen bietet – aber großer Irrtum.“ Sophie hielt diese kleine Rede gern an einem Freitag, hielt danach die Luft an, um sie dann in kleinen, verächtlichen Schnaufern wieder auszustoßen. „Was glaubst du, warum ich freitags mein Schaufenster neu dekoriere?“ Ein wütender Schnaufer folgte. „Da kommt keiner.“

Für ihre Sorgen fände sie bei Sophie ein offenes Ohr. Vielleicht fiele ihr auch eine wunderbare Idee ein, wie sie ihre Eltern versöhnen konnte.

Das Fenster wurde geschlossen. Eilig nahm Louise die Zeichnung mit der Gespensterfrau vom Tisch und rollte sie zusammen. Die musste sie Sophie zeigen.

Buchhändlerin Sophie bewegte sich auf Strümpfen im Schaufenster und schob einen Stapel Bücher zusammen. „Da bist du ja“, begrüßte sie Louise. „Wenn ich dich so ansehe, du siehst nicht gerade fröhlich aus. Ist deine Mutter zu deiner Oma gefahren?“

Als Louise nickte, meinte sie: „Na, wenn schon, du kannst zu mir zum Essen kommen. Ich habe das deiner Mutter versprochen.“

„Danke.“ Louise reichte Sophie Bücher zu, die sie von dem Bücherstapel nahm.

„Es gibt da noch etwas“, sagte Louise zögernd und schwenkte die Papierrolle.

„Teepause“, sagte Sophie fröhlich und kletterte aus dem Schaufenster. Dabei kippte sie den Bücherstapel um. Gleich murmelte Sophie verlegen: „Entschuldigung“, als wären die Bücher lebendige Wesen.

Louise wunderte sich nicht darüber. Sophie war eben so.

Auf dem Weg durch den Verkaufsraum hin zu der Ecke mit dem Vorhang, wo ein Schaukelstuhl vor sich hin wippte, blieb Louise vor einem Plakat an der Wand stehen, das dort angebracht war, um es wie immer voller Neugier zu betrachten und seinen Text zu lesen. Jedes Mal stockte ihr Fuß davor, wenn sie vorbeiging. Dieses Plakat war ihr ein einziges Rätsel, geheimnisvoll, und man konnte immer wieder darüber nachdenken, was es einem mitteilte. „Steckbrief“ stand darüber, was schon ungewöhnlich war. In der Mitte des Plakates lag wie auf einer Wolkenbank – oder Wolken umgaben eine Bank, auf der ein Buch lag. Rot leuchtete sein Einband, in schwarzer gerader Schrift stand darauf: „Verrat ist geplant“.

„Das würde ich schon mal gern lesen“, flüsterte Louise, wie jedes Mal, „muss spannend sein.“

Darunter stand: Dringend gesucht wird dieses Buch: Einband rot, Schrift schwarz, Seitenzahl 210. Falls Sie es finden, legen Sie es bei Mondenschein auf Ihr Fensterbrett, es wird umgehend abgeholt werden. Belohnung erfolgt durch eine einzigartige Ballonfahrt zum Buchhotel in Manhattan. Dort schlafen Sie unter einem kleinen Bücherhimmel.

In Dankbarkeit: Fee Rosalinda.

„Du stehst also auch wieder davor und liest, was da steht“, sagte Sophie jetzt neben Louise. „Es zieht einen immer wieder an und man wünscht sich, es zu finden, dieses Buch, das einen Verrat ankündigt. Nun hängt es schon bald zehn Jahre hier. Ich hatte gerade mein Geschäft eröffnet, als ich es an meiner Schaufensterscheibe am Morgen entdeckte. Wirst du nicht bald zehn und hast Geburtstag? Es könnte genau in der Nacht geschehen sein, als du geboren wurdest.“

„Ach“, brachte Louise verblüfft hervor. Das hatte Sophie noch nie erwähnt.

„Na und so eine Ballonfahrt nach Manhattan ist auch nicht zu verachten, man spart ungeheuer Geld damit.“

„Du meinst, dieses Buch gibt es wirklich? Es ist nicht nur so ein Werbetrick für das Hotel?“ In Louises Stimme schwang leiser Zweifel mit.

„Todsicher. Dieses Buch gibt es bestimmt.“ Sophie tippte genau auf die Mitte des Plakates, genau auf das geheimnisvolle Buch.

Dann besann sich Louise, dass sie Sophie etwas zeigen wollte, und ging weiter zu dem runden Tisch, auf dem immer eine Teetasse stand, und setzte sich auf den Klapphocker daneben.

Sophie wippte auf und nieder, nippte vom kalten Tee und fragte gespannt: „Also – was gibt es?“ Ihre zwei Holzperlenketten schlugen leicht aneinander, als sie sich vorbeugte, eine rote und eine grüne. Sie klöppeln aneinander, dachte Louise und reichte ihr die Rolle hinüber.

Sophie äugte erst kurz durch die Papierrolle, ehe sie die Zeichnung betrachtete, dann ein „Hm“ von sich gab und zum Schluss einen bewundernden Pfiff ausstieß. „Wer ist das?“ Neugierig, überrascht sah Sophie Louise an. Dabei hielt sie das Blatt mal dicht vor die Augen, dann wieder weiter weg.