image

image

image

Christine Metzger & Elisabeth Ruckser

Brot backen

wie es nur noch wenige können

image

image

VORWORT

DIE WÄRME DER BACKSTUBE

 

DIE ERFINDUNG DER LANDWIRTSCHAFT

image

EINBLICK

BÄUERLICHES BROT AUS DEM HOLZBACKOFEN

von Roswitha Huber

 

DAS DREIGESTIRN

BAUER, MÜLLER, BÄCKER

image

Protagonist Bauer

Protagonist Müller

Protagonist Bäcker

 

EINBLICK

WAS IST GUTES BROT?

von Lutz Geißler

 

WIE ES BRAUCH IST

BRAUCH KOMMT VON BRAUCHEN

image

EINBLICK

UNSER TÄGLICH BROT

von Elisabeth Ruckser und Katharina Kunz

 

VON AMARANTH BIS WEIZEN

DAS BESTE KORN

image

Amaranth

Buchweizen

Dinkel

Emmer & Einkorn

Gerste

Hafer

Hirse

Mais

Roggen

Weizen

 

VERMAHLUNG UND MEHLTYPEN

image

Glatt oder griffig? Cake or bread?

Mehltypen und ihre Eignung

 

ES GIBT SIE.

BÄCKER, DIE IHRE GANZE SEELE IN IHRE ARBEIT LEGEN.

image

DAS GENÜGSAME KORN AUS DEM WALD

image

VOM GETREIDE ZUM MEHL

image

EINBLICK

DER BÄCKER, EIN GENUSSPRODUZENT

von Prof. Dr. Walter Freund

 

EINBLICK

AUF DER SUCHE NACH DEM BROT MEINER KINDHEIT

von Werner Lampert

 

DAS STIFT UND SEINE BÄCKEREI

image

DIE KLEINEN, GRAUEN ZELLEN

HEFE

image

VON FAMILIENREZEPTEN UND MAGENBROTEN

GEWÜRZE

image

VON DER NATURWISSENSCHAFT DES BROTES. ODER:

ES BRAUCHT ALLE ELEMENTE!

image

BROTBACKEN SCHRITT FÜR SCHRITT

HEFETEIG

image

SAUERTEIG

image

DIE 17 BESTEN REZEPTE

 

10 GOLDENE REGELN FÜRS BROTBACKEN

image

JAKOB ITZLINGER

BIO-BÄCKER DER ERSTEN STUNDE

image

DENISE PÖLZELBAUER

AUF EIGENE ART EINEM BEISPIEL FOLGEN

image

GEHEIMREZEPT AUS DEM BACKOFEN

image

ALT, ABER GUT!

image

REZEPTE ZUR VERWERTUNG VON ALTBACKENEM BROT

image

ÜBER DIE AUTORINNEN

 

image Christine Metzger image Elisabeth Ruckser

Die Wärme der Backstube

Brot. Mehr brauchen wir nicht. Es hat die Menschheit Jahrtausende lang ernährt: Mehl, Wasser, Salz – als Brei gegessen oder gebacken. Brot ist elementar, ein Produkt, das die Elemente vereint: Die Erde, aus der das Getreide wächst. Wasser als Bestandteil des Teigs und früher Energielieferant für die Mühlen. Luft wiegt die Halme und speist das Feuer, das wiederum die Hitze im Backofen erzeugt.

Noch heute beten wir „Unser tägliches Brot gib uns heute“ – in Zeiten des Überflusses eine Floskel. Früher war Brot heilig, es wurde geehrt, wer ihm den Respekt verweigerte, musste mit Strafen rechnen. Es spielte eine wichtige Rolle im Brauchtum, noch heute schenken wir Brot und Salz, Symbole des Wohlergehens und Gelingens.

Geschichten vom Brot sind Geschichten des Erinnerns. An Generationen von Großmüttern, die Brot für ihre Familien gebacken haben. An alte Holzöfen und Mahltechniken, an Bauern, Bäcker und Müller. Es sind Geschichten, die von bäuerlicher Arbeit und alten Handwerkstraditionen erzählen. Wir spüren die Wärme einer Backstube, unsere Nasen nehmen den unvergleichlichen Duft frisch gebackenen Brotes auf. Zum Glück spielen diese Geschichten nicht nur in der Vergangenheit. Denn es gibt sie noch, die Menschen, die Brot so backen, wie es nur noch wenige können. Wir stellen sie vor und sie verraten uns ihre Geheimnisse – vom Backen und Würzen. Und von der Freude, mit der Hand und etwas Lebendigem zu arbeiten.

Mit diesem Buch wollen wir Geschichten erzählen und am Leben erhalten. Und dort, wo die Feuer der Tradition lodern und frische Glut entfachen, wollen wir auch selbst Hand anlegen und das eine oder andere Brotrezept ausprobieren. Auch dafür möchte dieses Buch ein Leitfaden sein. Die Rezepte stammen von Fritz Potocnik aus dem Waldviertel – seine Anleitungen wurden und werden übrigens von den Gästen der „Ersten Waldviertler Bio-Backschule“ (bio-backschule.at) vielfach nachgebacken und stets aufs Neue erprobt – und von Jakob Itzlinger aus Salzburg. Herzlichen Dank dafür!

In diesem Sinn: Viel Vergnügen beim Eintauchen in die Servus-Brotwelt!

CHRISTINE METZGER UND ELISABETH RUCKSER

image

image

image

image

Die Erfindung der
LANDWIRTSCHAFT

Auf die Frage, welche Erfindung den Gang der Weltgeschichte grundlegend verändert hat, bekommt man viele Antworten: World Wide Web, Computer, Fernsehen, Auto, Eisenbahn, Buchdruck, Rad … Das Wort „Landwirtschaft“ wird in dieser Liste wohl nicht auftauchen.

Zugegeben, es mag befremdlich wirken, von der „Erfindung“ der Landwirtschaft zu sprechen. Die Almwiesen mit den weidenden Kühen, Kornfelder, gelb wogend, braune Ackerflächen, auf denen die Wintersaat zartgrün sprießt, all die Mosaikstücke, die die alpine Landschaft prägen und sich zu einem harmonischen Ganzen vereinen – das soll erfunden worden sein? Das ist doch Natur, wie wir sie suchen und lieben, Natur, deren Produkte uns ernähren. Gottes Schöpfung mag man in dieser Pracht sehen, aber doch nicht einen Akt des Menschen.

Archäologen sind da anderer Meinung. Die meisten „halten die eher bodenständige Vorstellung von der Domestizierbarkeit der Pflanzen und Tiere für die ‚grandioseste‘ aller Ideen und die Erfindung der Landwirtschaft lässt sich wohl auch aus gutem Grund als eine solche Idee bezeichnen, denn immerhin verdankt sich ihr die bei weitem tiefgreifendste Transformation des menschlichen Alltags“, schreibt Peter Watson in „Ideen. Eine Kulturgeschichte von der Entdeckung des Feuers bis zur Moderne“.

Die Domestikation von Flora und Fauna ging Hand in Hand mit der Sesshaftwerdung des Menschen vor sich. Diese „tiefgreifendste Transformation des menschlichen Alltags“ fand weltweit vor 14.000 bis 6.500 Jahren statt. Die ältesten Siedlungen liegen in Nord-, Mittel- und Südamerika, in Afrika und Asien. Interessant dabei ist: Bei der Untersuchung der insgesamt sieben Fundstellen konnten die Wissenschaftler nachweisen, dass die Menschen in zwei Regionen zeitgleich und von einander unabhängig sesshaft wurden, im Vorderen Orient und in Mittelamerika. Lag die Idee in der Luft? Möglich, denn in dieser Zeit änderte sich auch das Klima, die Erde erwärmte sich beträchtlich, das Klima, das vorher starken Schwankungen unterworfen gewesen war, stabilisierte sich.

image

Ernteszene um 1880: Auch Jahrtausende nach der Erfindung der Landwirtschaft arbeiteten die Bauern noch mit ganz einfachen Geräten.

Bleibt die Frage, ob die Landwirtschaft auch in den anderen Regionen autonom erfunden wurde oder ob die Menschen nachahmten, was Pioniere im Nahen Osten und Mittelamerika entwickelt hatten. Was Europa betrifft, lässt sich diese Frage beantworten: Einkorn und Emmer gelangten im 5. Jahrtausend v. Chr. aus dem Vorderen Orient über Griechenland, den Balkan und Ungarn nach Mitteleuropa. Gerste und Weizen werden seit 3.000 v. Chr. im Alpenvorland angebaut. Die Funde in unserer Region, die Auskunft über das Leben der Bauern in der Zeit von 5.000 bis 500 v. Chr. geben, stammen aus Pfahlbauten, die unter Wasser, an Seeufern oder in Feuchtgebieten entdeckt wurden. 111 Pfahlbaufundstellen in sechs Alpenländern sind derzeit als UNESCO-Welterbe gelistet, 56 Stätten liegen in der Schweiz, drei in Bayern, 15 in Baden-Württemberg, fünf in Österreich: drei am Attersee, eine am Mondsee (Oberösterreich) und eine am Keutschacher See (Kärnten).

Und dann haben wir natürlich auch noch unseren „Ötzi“, den „Mann aus dem Eis“, der vor rund 5.000 Jahren in den Ötztaler Alpen starb. Die Analyse seines Mageninhalts beweist, dass zu seiner Nahrung auch zwei Hauptgetreidearten der ersten Ackerbauwelle gehörten: Gerste und Einkorn.

image

Funde in den Pfahlbauten – hier am Attersee – geben Auskünfte darüber, wie sich unsere Vorfahren ernährten. Rechts: Ochsen wurden als Zugtiere eingesetzt wie hier beim Pflügen in Oberbayern.

Viele Jahrtausende nach der ersten Domestizierung von Pflanzen und Tieren wurde folgender Satz niedergeschrieben: „Macht euch die Erde untertan.“ Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits Städte, ein Wegesystem, Bewässerungsanlagen und viele andere kulturelle Leistungen, die ohne die Erfindung der Landwirtschaft und die damit verbundene Sesshaftigkeit des Menschen nicht möglich gewesen wären. Heute sucht man nach anderen Deutungen dieses Satzes aus dem Alten Testament und bevorzugt die Formulierung „urbar, dienstbar machen, als Kulturland in Besitz nehmen“.

Wie immer man das hebräische Verb „kabasch“ übersetzt, es läuft auf dasselbe hinaus: Der Mensch griff in die Natur ein, indem er nicht mehr nur nahm, was sie ihm bot – das vom Halm gefallene Korn des wilden Grases, ein Tier aus einer vorbeiziehenden Herde, das er erlegen konnte. Mit der Kultivierung von Pflanzen und der Tierhaltung passte der Mensch Flora und Fauna seinen Bedürfnissen an. Und er formte die Landschaft, rodete, um Flächen für Wiesen und Felder zu schaffen, pflanzte Bäume dort, wo er Nutzholz schneiden konnte. Wenn wir heute durch die Natur spazieren und sie in all ihrer Schönheit genießen – wer ist sich bewusst, dass all dies Kulturlandschaft ist, die ihre Entstehung der „grandiosesten“ aller Ideen verdankt, der Erfindung der Landwirtschaft? image

image

image

Vorsichtig anklopfen: Roswitha Huber erkennt am Klang, ob das Brot fertig gebacken ist.

Bäuerliches Brot aus dem HOLZBACKOFEN

Seit mehr als 20 Jahren beschäftige ich mich mit Brot. Es ist eine faszinierende Angelegenheit. Aber was kann so faszinierend sein an einer so einfachen Sache?

VON ROSWITHA HUBER

Vor 100 Jahren war das Brotbacken fest im Alltag der Bäuerinnen verankert. Es war eine selbstverständliche Tätigkeit, denn die Wege bis zum nächsten Bäcker waren in entlegenen Berggegenden weit. Daher wurde das Brot nicht gekauft, sondern selbst gemacht. Je wohlhabender eine Region war, desto öfter buken die Bäuerinnen in den gemauerten Holzöfen neben ihren Höfen und Almen oder im örtlichen Gemeindebackofen Sauerteigbrot.

In einer Zeit, in der es darum ging, möglichst viele Menschen von einem Laib Brot satt zu bekommen, machte es einen großen Unterschied, ob man frisches oder altes Brot auf den Tisch brachte. Heutzutage kann sich keiner mehr vorstellen, steinhartes Brot zu essen. Das älteste Brot, das ich gesehen habe, fand ich im Wallis in der Schweiz. Bis in die 1950er-Jahre wurde dort in vielen hoch gelegenen Dörfern nur einmal im Jahr Brot gebacken. Die Gegend ist geprägt von kleinen Getreidefeldern und winzigen Ziegen- und Schafställen. In jedem Dorf gab es ein Backhaus, das jeden Winter nur einmal angeheizt wurde. Es wurde so lange der Reihe nach gebacken, bis jede Familie genug Brot für ein ganzes Jahr hatte.

Gelagert wurden die Brotlaibe unter dem Dach, in Reihen aufgestellt. In den kalten Wintermonaten froren sie, dadurch hatte man mehr oder weniger frisches Brot. In den Sommermonaten trocknete es aus. Man musste das hart gewordene Brot mit einem Beil auseinanderschlagen. Wer Hunger hatte, nagte an den Brotbrocken oder weichte die Stücke in Milch auf. Dadurch, dass nur einmal pro Jahr gebacken wurde, haben die Bewohner dieser Schweizer Dörfer dreifach gespart: erstens an Brennmaterial, da man weniger Holz zum Befeuern brauchte, wenn der Ofen bereits warm war; zweitens an Arbeitszeit, da das Backen in die ruhigste Jahreszeit verlegt wurde und dadurch die Arbeitskraft im Sommer ohne Pause zur Verfügung stand; drittens am Brot selbst, da man weniger aß, wenn das Brot alt und hart war.

Weil früher das Brot auch in unseren Gebirgsregionen lange halten musste, legten die Bäuerinnen großen Wert auf eine geschlossene, dicke Brotrinde. Denn Brot wird besonders dort, wo es aufbricht, trocken und beginnt an dieser Stelle leicht zu schimmeln. Heutzutage kann sich keiner mehr vorstellen, dass noch nicht angeschnittenes Roggensauerteigbrot mit einer geschlossenen Rinde, das im heißen Holzofen gebacken wurde, in einem kühlen Raum mehrere Wochen haltbar ist. Das Brot bleibt sogar schnittfähig. Für viele gilt Brot, das ein oder zwei Tage alt ist, heute bereits als Altbrot.

image

Roswitha Huber beim Brotbacken auf der Kalchkendlalm im Raurisertal.

Brotrezepte werden oft von Generation zu Generation weitervererbt. Eine der ersten Rauriser Bäuerinnen, denen ich beim Brotbacken zuschauen durfte, war die Hohner-Bäuerin. Sie übernahm von ihrer Schwiegermutter nicht nur genauestens das Rezept samt dazugehörigen Schüsseln und Backtrog, sondern auch die Uhrzeiten, zu denen das Brot gebacken wurde. In den ländlichen Regionen machte ich die Beobachtung, dass das Brotbacken die letzte Arbeit am Bauernhof ist, die die Altbäuerin an ihre Nachfolgerin übergibt. Die Tochter oder Schwiegertochter übernimmt das Backen erst dann, wenn die Altbäuerin es nicht mehr kann.

Warum heutzutage so viele Frauen und Männer wieder ihr eigenes Brot backen wollen? Nun, sie suchen oft einen Ausgleich zu ihrer beruflichen Tätigkeit, zu ihren Jobs im Büro, zu ihrer Kopfarbeit. Beim Brotbacken können sie endlich etwas mit ihren Händen machen und am Ende des Tages sehen und schmecken, was man da selbst geschaffen hat. Das fehlt in unserer Gesellschaft!

Roswitha Huber ist ausgebildete Lehrerin, Brotbäckerin und Buchautorin. Sie betreibt die „Schule am Berg“ im Salzburger Raurisertal. Auf der Kalchkendlalm bäckt sie mit Interessierten im Holzofen traditionelles Sauerteigbrot.

image

DAS DREIGESTIRN

BAUER, MÜLLER, BÄCKER

Im Dreigestirn Bauer, Müller, Bäcker steht der Bauer im Zentrum. Sein Beruf ist der älteste – es gibt ihn seit der Erfindung der Landwirtschaft. „Bis tief ins 19. Jahrhundert war der Bauer überall Selbstversorger und Selbstverbraucher, der noch den Urtyp des sesshaften Menschen widerspiegelt“, schreibt Sigfried Giedion in „Die Herrschaft der Mechanisierung“. Als Produzent war und ist der Bauer autark, über Jahrtausende hat er sein Getreide selbst gemahlen, sein eigenes Brot gebacken. Müller und Bäcker sind vom Landmann abhängig – das Korn bildet die Grundlage ihrer Arbeit.

image

Das gemähte Getreide wurde zu „Mandln“ gebunden wie hier im niederösterreichischen Münichsthal in den 1930er-Jahren.

PROTAGONIST

BAUER

Der Bauer ist autark, aber nicht unabhängig. Seine Grenzen setzt die Natur. Zum Gedeihen seiner Produkte braucht er Wärme, Wasser, Erde. Die Beschaffenheit des Bodens bestimmt, welche Getreidesorten er kultivieren kann: den genügsamen Roggen, den bescheidenen Hafer oder den anspruchsvollen Weizen. Zuviel Wärme oder Wasser ruinieren die Ernten ebenso wie zu wenig Sonne oder Regen. Unwetter, Hagelschlag, Dürre – der Bauer war und ist den Launen der Natur ausgeliefert. Er kennt sie, kann ihre Zeichen deuten – zahlreiche Wetterregeln zeugen davon –, aber letztlich ist der Mensch machtlos. Und hat sich daher zu allen Zeiten und in allen Kulturen an überirdische Wesen gewandt, die er durch Anrufung oder Opfergaben gütig stimmen wollte, damit sie seine Lebensgrundlage vor Zerstörung schützten. Die Aufklärer versuchten, diesen Aberglauben zu verbieten, aber ihre Ideen drangen nicht in die abgelegenen bäuerlichen Welten vor, wo man genau wusste, welches Ritual einzusetzen war, um Wind, Wasser und Feuer zu besänftigen und Krankheiten zu vermeiden. Sehr oft opferten die Menschen das, was ihnen am wertvollsten war, weil es ihre Überlebensgrundlage darstellte: Mehl oder Brot.

image

Dreschen mit Dampfkraft 1919: „Locomobile“ trieben die Dreschmaschinen an, aber nur wenige Bauern konnten sich diesen Fortschritt leisten.

DIES BROT KANN MAN JA DIREKT SEINER MAJESTÄT EMPFEHLEN!

Oskar Maria Graf, „Das Leben meiner Mutter“

Eines Tages stieg dicker Rauch aus dem stolz emporragenden Kamin, der Maxl arbeitete mit aufgeweckter, beflissener Eile in der funkelnagelneuen Backstube, und bald darauf roch es in weitem Umkreis nach frischgebackenem Brot. Die Nachbarn schnupperten erstaunt in die Luft. Am frühen Vormittag kam der Maxl mit erfrischtem Gesicht aus dem Haus und trug einen vollen Korb. Glänzende Wecken und knusperige Semmeln lagen darin. Hinter den Fensterscheiben standen die Dörfler und schauten ihm ungut nach. Er ging die ziemlich steil abfallende Dorfstraße, welche zum See-Ufer führte, hinunter. „Was? … Möcht’ der freche Kerl vielleicht gar unserm König sein lumpiges Brot verkaufen?“ murrten die missgünstigen Berger, doch sie irrten. Der erst siebenundzwanzigjährige Monarch (König Ludwig II. von Bayern, Anm. d. V.) hatte äußerst schlechte Zähne und pflegte nur weiches Weißbrot zu verzehren, das der reitende Bote jeden zweiten Tag aus München brachte. Der Maxl ging in die seit zirka einem Jahr eröffnete „Schlosswirtschaft“ vom Karl Wiesmaier, wo das niedere Hofgesinde verkehrte. Den noblen Wirt kannte er seit einiger Zeit. Er schien ihm gewogen zu sein. Es ließ sich gut an, denn die Hofleute saßen eben beim zweiten Frühstück in der holzgetäfelten Gaststube. Jeder schaute gutwillig auf den eintretenden Bäcker, jeder nahm etliche Semmeln aus dem dargereichten Korb, und der Wiesmaier füllte die Brotteller auf den Tischen.

„Das ist ja ausgezeichnet! Prachtvoll! Und wie schön rösch! Und doch weich! Großartig!“ rief der Leibdiener, eine Semmel verzehrend, und wandte sich herablassend an den Maxl: „Der Starnberger Bäcker bringt so was nicht fertig. Drum hat er auch kein Glück gehabt, aber dies Brot kann man ja direkt Seiner Majestät empfehlen! Prosit Herr Bäckermeister! Auf gut Glück!“

Wie es aussah, wenn ein Hagelschlag die Arbeit eines ganzen Jahres vernichtete, beschreibt Peter Rosegger in „Erdsegen“: „Auf allen vier Feldern steht kein Halm. Alles tief in den Erdboden geschlagen und zugedeckt mit Eis. Die Deckeln, die wir am Vorabend noch mit solchem Hochgefühl gebaut hatten, liegen da wie gekochte Strohhäuflein.“ Die Getreideernte, die dem Unwetter zum Opfer fiel, hatte der Bauer schon im Frühjahr für einen geringen Betrag an den Kornhändler verkauft; das restliche Geld sollte er nach der Ernte bekommen. Die war nun vernichtet, den Schaden hatte der Bauer.

Lokale Unwetter wie dieses bedrohten „nur“ die Existenz der betroffenen Bauern, unter Missernten größeren Stils hatten alle zu leiden: Klerus, Adel und die Städter, denn sie alle lebten von dem, was die Landmänner erzeugten. Nun möchte man meinen, dass die Bauern als Ernährer einen besonderen Status innehatten und von allen geachtet wurden. In der Antike war das der Fall. Im Mittelalter aber wandte sich das Blatt. Bis zur Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert bezeichnete der Begriff „Bauer“ jeden, der seinen Boden bearbeitete. Gab es kriegerische Auseinandersetzungen mussten die freien Bauern zu den Waffen greifen. Erst als die Adeligen Berufskrieger in ihre Dienste nahmen, entstand parallel zum Ritterstand der Bauernstand. Die Ritter, Parvenus und bestrebt, sich nach unten abzugrenzen, zollten den Bauern nicht den geringsten Respekt und achteten weder deren Leben noch deren Hab und Gut. Viele Bauern, die sich bedroht fühlten, suchten Schutz und begaben sich in die Abhängigkeit der Kirche oder des Adels. Die Bauern bildeten den weitaus größten Teil der Bevölkerung, innerhalb der Ständegesellschaft rangierten sie unter dem Klerus und dem Adel. Ihre Rechtssituation richtete sich danach, ob sie freie oder hörige Bauern oder Leibeigene waren. Nur die wenigen freien Bauern waren Eigentümer ihres Landes, konnten heiraten und unterstanden keinem Grundherrn. Alle anderen mussten Abgaben und Frondienste leisten, je ausschweifender der Adel lebte, desto mehr beutete er die Bauern aus. Die litten zudem darunter, dass die hohen Herren mit großem Gefolge auf die Jagd gingen und dabei regelmäßig die Felder verwüsteten. Die Bauern konnten sich nicht wehren, sie hatten keine Rechte, durften keine Waffen tragen, hatten keine Interessenvertretung. Wenn sie aufbegehrten wie in den Bauernaufständen im 17. Jahrhundert, bekamen sie die geballte Macht der Autoritäten zu spüren.

Die Situation verbesserte sich erst im 19. Jahrhundert. Die Leibeigenschaft wurde abgeschafft und die Herrscherhäuser, die Habsburger wie die Wittelsbacher, wandten ihr Augenmerk der Landwirtschaft und deren Förderung zu. So sorgte zum Beispiel Erzherzog Johann dafür, dass ein 1809 in der Steiermark entwickelter Pflug in der gesamten Donaumonarchie Verbreitung fand. So innovativ dieser Fernitzer Pflug war, sein Betrieb erforderte noch immer den Einsatz der Arbeitskraft von Mensch und Tier.

Die Mechanisierung der Landwirtschaft, die Mitte des 19. Jahrhunderts mit der Produktion des mechanischen Mähers begann, erreichte die Alpenregion erst sehr spät. In abgelegenen Gebieten arbeiteten die Menschen bis in die 1960er-, 1970er-Jahre hinein wie im Mittelalter und mit einfachsten technischen Mitteln: Pflug, Egge, Sense, Dreschflegel.

Im 19. Jahrhundert änderte sich auch das Bild, das Literatur und bildende Kunst vom Bauern zeichneten. Wenn sie bis dato überhaupt Gegenstand künstlerischer Betrachtung gewesen waren, so waren die Angehörigen des Bauernstands immer als dumm und triebgesteuert dargestellt worden. Nun fanden Literaten wie Peter Rosegger und Maler wie Wilhelm Leibl ihre Sujets auf dem Lande. Während die Industrialisierung die Städte überrollte, viele Bauern ihre Scholle verließen und in den Metropolen Arbeit suchten, entdeckten die Künstler die Schlichtheit und die Tugenden des Landlebens und revidierten das Bild vom ungehobelten, dummen Bauern, das seit dem Mittelalter bestand.

IN DER DUNKLEN FRÜHE SANGEN DIE SENSEN

Oskar Maria Graf, „Das Leben meiner Mutter“

Der Sommer stieg herauf und reifte eine pralle Ernte. Jeden Tag hieß es: mähen, mähen, mähen! In der dunklen Frühe sangen die Sensen der Aufhauser immer zuerst in den Roggen- und Weizenfeldern. Rauschend sanken die gemähten Büschel zur Erde, sanken und sanken. Langsam wurde es rot über dem fernen Hügelkamm hinter Bachhausen und Farchach. Die Lerchen stiegen trillernd ins Hohe. Die Vögel fingen zu singen an. Der leichte Dunst über den Äckern verwich, und es wurde unbestimmt hell. Schließlich strahlte die aufgehende Sonne schief über die tauglitzernden, wogenden gelben Flächen.

Die Zwillinge kamen den Hang herab und brachten Milch und Brot. Erst nachdem sie den Ackerrain erreicht hatten, schrie der Jani-Hans „Brotzeit!“ und alle hielten ein. Jeder schob die blinkende Klinge seiner Sense unter ein eben gemähtes Getreidebüschel, wischte sich veratmend mit der Hand den triefenden Schweiß vom Gesicht und ging hinter dem Baumeister drein.

image

Buchweizenernte im Waldviertel – wie seine Vorfahren schneidet der Bauer das Getreide mit der Sense.

image

In abgelegenen Gebieten arbeiteten die Bauern noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein mit Geräten, die man schon im Mittelalter benutzte.

„Recht lehrreich wäre es für den Städter, einmal sein Auge auf die Vielseitigkeit des ‚dummen Bauern‘ zu lenken“, schreibt Peter Rosegger in „Erdsegen“ und zählt die Vielfalt der Tätigkeiten auf, die ein Bauer beherrschen muss – vom Kornmahlen, Ofenbauen, Brunnengraben, Mostpressen bis zum Wollewirken und Ledergerben. An anderer Stelle vergleicht er den Bauernhof mit einem Staat: „Was für den Staat der Eisenbahnwagen, das ist für den Hof der Bauernkarren. Der fährt vom Feld zur Tenne, von dieser zur Mühle, von dieser zum Backofen, und auf jeder Station gewinnt das Feldprodukt an Wert.“ image

image

Dieser Bauer aus dem Salzburgerland war stolzer Besitzer eines Pferdes, mit dessen Hilfe er die Ernte nach Hause führte (vor 1929).

image

image