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MARISSA LANDRIGAN

Fleischessen
für
Vegetarier

Meine Suche nach einer ethischen
und nachhaltigen Ernährung

Aus dem Amerikanischen von
Karoline Zawistowska

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Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger

Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw.

Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

Copyright © 2017 by Marissa Landrigan

Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel

The Vegetarian‘s Guide to Eating Meat. A Young Woman’s Search for Ethical Food

bei Greystone Books Ltd.,

343 Railway Street, Suite 201, Vancouver, B.C. V6A1A4, Canada

1. Auflage

© 2018 Benevento Verlag bei Benevento Publishing,

eine Marke der Red Bull Media House GmbH,

Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Gesetzt aus der Palatino, Brandon Text, Canvas Script

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Umschlaggestaltung: b3K design, Andrea Schneider, diceindustries

Umschlagabbildung: © diceindustries

ISBN 978-3-7109-0033-4

eISBN 978-3-7109-5051-3

Inhalt

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Presskopf

Al dente

Triff dein Fleisch

Schmelzkäsedip ist vegetarisch

Wildnis, Teil 1

Erdbeerfelder

Kichererbsen zum Frühstück

Mais

Ein ziemlich rauflustiges Pflänzchen

Schmeckt nach Huhn

Wie man ein Huhn zerlegt

Definitiv nicht wie im Kochbuch

Frühreifer Kürbis

Wildnis, Teil 2

Von Grund auf

Epilog: Fleischbällchen

Danksagung

Anmerkungen

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Kapitel Eins

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Presskopf

Ich stand in kniehohen Gummistiefeln da und sah zu, wie Blut in schimmernden Pfützen zusammenlief und sich langsam auf die Abflüsse in der Mitte des schrägen Betonbodens zubewegte. Mein langes Haar war unter eine Plastikhaube gestopft, die mir bis über die Ohren ging und bis knapp über die Augenbrauen hinuntergezogen war. Ich sagte nicht viel, denn es war laut: das Dröhnen und Surren der elektrischen Säge, die durch Fleisch schnitt; das metallische Ruckeln eines Kettenzugs, der tausend Pfund schwere Körper zu den Balken hinaufzog; das widerhallende Stanzgeräusch des Bolzenschussgeräts und direkt darauf ein schweres Zusammensacken. Ich sah nur zu, wie die sechs Mitarbeiter von Black Earth Meats in Black Earth, Wisconsin, an einem Mittwochmorgen dem normalen Schlachtbetrieb nachgingen. Und ich starrte auf den gehäuteten Kopf eines Ochsen.

Der Unterkiefer war entfernt, die dicke Zunge herausgeschnitten und zum späteren Verpacken auf einen metallenen Rollwagen geworfen worden. Der Kopf war vollständig gehäutet. Nicht abgebrüht – die Augen und Muskeln waren noch intakt – aber die Haut war sorgfältig nach hinten abgezogen worden, und darunter kam das Gewirr aus Sehnen und Bändern zum Vorschein, das direkt unter der Oberfläche lag. Der Kopf hing keine zwei Meter von mir entfernt auf einem Haken, dessen scharfe Enden sich durch das bohrten, was zuvor der Gaumen des Ochsen gewesen war. Da hing der Kopf, mit aufgerissenem, halben Kiefer, und Metallspitzen, die wie Reißzähne unter der Zahnreihe hervorragten. Ohne schützende Lider wölbten sich die Augen hervor, starrten mich an, mit rasendem, verängstigtem und verwirrtem Blick.

Ich war von diesem Kopf völlig fasziniert. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm wenden, von den wilden, verdrehten Augen, den roten Muskelsträngen, die sich wie eine Mullbinde übereinander wanden und um den weißen Schädel legten. Ich fand es wunderschön, das Innere eines Körpers so entblößt zu sehen und den Geheimnissen meiner Nahrung bis unter die Haut nachzugehen. Doch während ich so intensiv zusah, zuckte die tote Wange des Ochsen.

Ich fuhr zusammen und zitterte ein wenig in meinen geliehenen Gummistiefeln, und ich sah, wie ein Wangenmuskel des Ochsen immer und immer wieder zuckte, in unfreiwilligen Krämpfen, die den ganzen Kopf schüttelten. Ein Synapsenbeben. Ich erlangte die Fassung rasch wieder. Ich hatte genug über das Thema gelesen, um zu wissen, dass dies keinesfalls bedeutete, dass der Ochse noch lebte. Er hat keine Haut mehr, sagte ich mir, und der Kopf ist vollständig abgetrennt. Manchmal kommt es nach dem Tod zu reflexartigen Muskelkrämpfen. Das hat nichts zu bedeuten.

All das war mir bewusst, und deshalb sah ich wie gebannt zu, wie die freigelegten Muskeln des Ochsenschädels zuckten und tanzten, und seine wilden Augen mich noch im Tode blind, aber unverwandt ansahen, während er immerwährend mit halbem Maul auf den Zinken eines Fleischerhakens kaute. Obwohl ich so fasziniert war, dass mir der Mund ein wenig offenstand, konnte ich später sagen, dass der gehäutete Kopf des Ochsen in mir keinerlei tiefe emotionale Reaktion auslöste. Ich war neugierig, aber nicht angewidert.

Ich sah zu, wie sich mir der Schlachtvorgang wie ein Kunststück darbot. Ich sah, wie ein schnurbärtiger Mann mit einem Elektromesser die Haut vom Körper des Ochsen löste, von den Hinterbeinen und Lenden, vom Bauch und vom Rücken. Schnell und fast geräuschlos löste er das Fleisch ab und hängte dann die Hinterbeine des Tieres in eine riesige Kettenzugvorrichtung, die ein ächzendes Quietschen von sich gab und den toten Ochsen mühsam hoch und höher zog. Zwei weitere Männer mit Schürzen befestigten eine Art überdimensionale Zange an jedem herunterhängenden Hautlappen. Der Kettenzug und die Zangen zerrten am Ochsen, zogen die Haut in beide Richtungen und schälten sie vom toten Tier. Weißes Bindegewebe hielt sich hartnäckig an der Innenseite der Haut. Der Schwanz wurde vom Gewicht der Haut beinahe bis auf den Boden gezogen, schnappte dann aber nach oben und schlug gegen den Bauch des toten Ochsen. Nach nur fünf Minuten baumelte das Tier enthäutet und auf links gedreht von der Decke.

Ich schaute weiter hin, um möglichst viel zu lernen. Ich sah, dass es eine Säge gab, die kraftvoll genug war, um einen ganzen Ochsen in der Mitte zu zerteilen, durch alle Knochen hindurch. In einem Wirbel aus Klingen, Knochen und Blut stürzte sich der Rest der Mannschaft auf die Tierleiche, um einen toten Ochsen in Einzelteile zu zerlegen: zwei lange Seitenteile zur Weiterverarbeitung beim Metzger, Hufe und Hörner zum Vermahlen, Leber und Herz und Zunge als Innereien, und den gehäuteten Kopf am Fleischerhaken, der später zu Presskopf gekocht wurde.

Was ich aber an diesem Tag lernte, weil ich stiller war, als ich es mir jemals hätte ausmalen können, was ich am längsten in Erinnerung behielt, war das Bild eines Ochsen, der vom Bolzenschussgerät hirntot gemacht wurde. Ich stellte fest, dass einen niemand ansah, und es deshalb völlig in Ordnung war, wenn man beim Schuss zusammenfuhr vom ohrenbetäubenden Lärm eines Stahlbolzens, der durch einen Schädel getrieben wurde. Ich spürte das Zusammensacken bis in die letzte Faser meines Körpers, den dumpfen Aufschlag auf dem Boden.

Während es in meinem Kiefer zuckte, weil ich meine Zähne so lange zusammengebissen hatte, lernte ich, dass ein Körper nicht einfach still dalag, sondern seinen eigenen Todestanz aufführte. Das Tier strampelte wild. Seine Beine, von feuernden Synapsen angetrieben, schlugen aus, als wäre noch Leben darin, als würde ein elektrischer Impuls durch ihre Muskeln getrieben, als versuchten sie aufzustehen.

Als ich an jenem Tag im Schlachthaus stand, spürte ich genau, dass ich etwas lernen sollte. Ich wusste, dass ich nicht eine Sekunde lang von diesem gehäuteten Ochsenkopf wegschauen konnte. Unter der Haut lag für mich ein Geheimnis verborgen. Noch wusste ich nicht, was es war – bis jetzt stellten sich mir nur Fragen. Eigentlich war es nur eine einzige Frage, die mich nicht losließ, während ich den seltsamen, tanzenden, gehäuteten Ochsenkopf ansah: Wie zum Teufel bin ich hier gelandet?

Was war passiert? Was wollte die kleine eigentümliche Frau an einem angenehm kühlen Maimorgen inmitten der grün gefleckten Hügel im Südosten Wisconsins mit Wegwerf-Duschhaube ausgerechnet hier; wieso stand sie in einer Blutpfütze und sah zu, wie eine Ladung Rinder getötet wurden?

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Kapitel Zwei

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Al dente

Als Kind kam es mir nie in den Sinn, dass man ein aufklappbares Holzgestell auch zum Wäschetrocknen benutzen könnte, denn bei uns zu Hause trockneten wir darauf Pasta. Wir waren ein italo-amerikanischer Haushalt; einer, in dem es zu Heiligabend Ravioli gab, wo unter der Woche alle zusammen zu Abend aßen, und die Kinder samstags bei der Weinherstellung halfen und knietief in Stampfbottichen im Garten der Urgroßeltern standen. Eine Art Haushalt, der, wie ich inzwischen weiß, für amerikanische Kleinstädte der achtziger Jahre nicht unbedingt typisch war.

Meine Ur-Ur-Großeltern waren mit dem Schiff aus Italien gekommen. Vier Generationen später hatten meine Eltern unser Heim um eine italienische Küche herum aufgebaut, obwohl nur meine Mutter Italienerin war und mein Vater Ire – eine traditionsreiche Enklave im ländlichen New Hampshire, in der sich alle paar Monate meine gesamte Familie zur Nudelherstellung traf. Obwohl wir versuchten, unsere Pasta möglichst authentisch herzustellen, waren wir letztlich nicht in Italien, sondern in Merrimack, einer Stadt ohne Fleischerei oder Bauernmarkt. Also fuhren wir in bester Kleinstadttradition mit unserem eckigen kastanienbraunen Chrysler-Minivan zum Supermarkt und kauften Großpackungen Mehl, Butter und Eier.

Obwohl Merrimack ein gewisses ländliches Flair hatte, war das eher dem Alter der Stadt zu verdanken als einer tatsächlich noch existierenden Landwirtschaft. Als wir dorthin zogen, war es einfach eine typisch amerikanische Kleinstadt, in der meine Mutter und ich die meisten Samstage auf kalten Tribünen saßen und meinen Schwestern beim Fußballtraining zusahen, das mein Vater, immer mit seinem Klemmbrett unterwegs, von der Seitenlinie aus leitete. Die größten Arbeitgeber in der Stadt waren Fidelity Investment, ein Finanzdienstleister; BAE Systems, ein Unternehmen für Verteidigung, Sicherheit und Luftfahrt; die Brookstone-Läden und die Anheuser-Busch-Brauerei, deren Budweiser-Clydesdale-Pferde jedes Jahr in unserer Parade zum 4. Juli mitmarschierten. Es war eine echt amerikanische Veranstaltung, bei der es immer nach süßem Fleisch roch – von weißhaarigen beleibten Männern gegrillt. Es gab Wunderkerzen und Kinder mit zerzausten Haaren und klebrigen Händen.

Unsere Stadt hatte bessere Tage gesehen, war aber nicht heruntergekommen. Sie war eine Mischung aus geschichtsträchtigen, aber ein wenig verwahrlosten Bauwerken und halbleeren Einkaufszentren. Im alten Dorfkern gab es einen Friedhof mit Gräbern, die bis ins achtzehnte Jahrhundert zurückgingen. Zu einem davon radelten wir im Sommer oft, um die Inschrift auf Wachspapier abzureiben. Es gab Schilder, die auf die Geburtsorte berühmter Persönlichkeiten hinwiesen, zum Beispiel Matthew Thornton, Sohn der Stadt und Mitunterzeichner der Unabhängigkeitserklärung, aber es gab auch schmuddelige Waschsalons, vernachlässigte Ramschläden und überfüllte Schulen.

Was das Essen betraf, bestellten wir selten etwas und gingen auch nicht oft zusammen aus, aber wenn wir es doch einmal taten, dann in ein Restaurant namens »The Common Man«, Ableger einer Kette aus New England, das ein ganzes Haus in Beschlag nahm, einschließlich einer Bar unter dem Dach und steinernen Kaminen. Ich weiß noch, dass wir auf dem Weg dorthin an einer baufälligen Bowlingbahn, einem kleinen mexikanischen Restaurant und drei schmierigen China-Imbissen vorbeikamen.

In meiner Erinnerung war dazwischen alles Wald, obwohl die meisten Kiefernhaine inzwischen nicht mehr stehen. Es gab sanfte Hügel und dichtes Laub, sodass ich stets den Eindruck hatte, etwas über mir zu haben. Wenn ich nach oben sah, war immer etwas im Weg. Obwohl die Stadt inzwischen kein Dorf mehr ist, und die Bevölkerung eher der Mittelschicht angehört, erinnern diese Hügel und Wälder, genau wie die historischen Stätten, an die Forstwirtschaft, die New Hampshires Industrie prägte. Die Geschichte von Merrimack ist die Geschichte von Holzfällerhemden und Ahornsirup, langen Wintern und harten Schlachten.

Meine eigene Geschichte begann in einem grauen, für New England typischen Haus an einer ruhigen Straßenecke, oder genauer gesagt in einer lauten, engen Küche mit Klebeboden, der wie rote Ziegel aussehen sollte. Dieser künstliche Ziegelboden, auf dem ständig eilig Füße durcheinanderliefen, war der belebte Marktplatz meiner kleinen familiären Zivilisation. Meist beobachtete ich das muntere Treiben von meinem Versteck unter einem dunkel lasierten Küchentischungetüm aus.

Der Raum war in der Mitte durch einen großen Tresen geteilt, der an einer Wand befestigt war. Dieser schwere hölzerne Arm trennte den Essbereich von einem Bereich, der an drei Wänden mit dunklen Hängeschränken aus Holz, weißen Arbeitsoberflächen und altmodischen Küchengeräten vollgepackt war. Ich habe keine Ahnung, wie all unsere Töpfe und Pfannen auf so engem Raum Platz fanden. Und noch viel außergewöhnlicher war es, dass meine Mutter, mein Vater, meine Schwestern und Großeltern auch noch hineinpassten. Aber Nudelherstellung war Gruppenarbeit, die den ganzen Tag in Anspruch nahm, und dazu brauchte man alle Hände.

Schüchtern wie ich war, versteckte ich mich, wenn es zu laut wurde, unter dem riesigen Tisch, den meine Eltern zur Hochzeit bekommen hatten. In all unseren Häusern – unserem, dem meiner Großeltern und dem meiner Urgroßeltern – gab es einen Küchentisch, selbst wenn außerdem ein Esszimmer im Haus war, und obwohl wir nie alle Platz daran hatten. Und ich kroch darunter, versteckte mich inmitten von Bücherstapeln vor dem Lärm und Geklapper und beobachtete von der Tischdecke geschützt den hektischen Tanz. Durch meine dicken Brillengläser sah ich, wie sich diese Tage meiner Kindheit wie ein Ritual gestalteten – viele kleine Schritte, die sich zu einem großen, gut funktionierenden Gefüge vereinten.

In Vorbereitung der Nudelzeremonie klappte mein großer irischer Vater das Trockengestell in der Ecke auf. Er hatte den Körper eines Bären, starke Arme und Beine, die ich nicht einmal mit beiden Händen umfassen konnte, helle irische Haut, Sommersprossen und dieselben eisblauen Augen wie ich. Er war eine bedrohliche Erscheinung. Zumindest sahen das wohl einige meiner Jugendlieben so, denen er vielleicht ein wenig zu fest die Hände drückte. In unserer Küche war es seine Aufgabe, für Ordnung zu sorgen. Er war derjenige, der in jedem Urlaub einen Reiseführer dabeihatte, der Hausarbeitspläne aufstellte, die wöchentlich je nach Alter wechselten. Aber kochen konnte er nicht. Wenn wir also Pasta machten, war er als Erster dran und stellte alles bereit: Das Trockengestell in der Ecke bei der Hintertür, die Nudelmaschine vorne auf der Arbeitsfläche, Nudelholz und Mehl gegenüber. Nur der Teig fehlte noch.

Wenn wir nicht aßen, saß ich neben meinem Vater am großen Küchentisch und machte Mathehausaufgaben. Ich mochte Bücher und Wörter, und ich mag sie auch heute noch. Ich liebte blumige Sprache. Mathe war ein ständiger Kampf, der einzige Tiefpunkt auf meinen sonst so guten Zeugnissen. Ich mochte die Mathematik und ich nahm die Schönheit von Geometrie und fiktiven Zahlen durchaus wahr, aber leider löste die Anerkennung solcher Schönheit allein keine Gleichungen. Mein Vater hatte Mathematik studiert und war besessen von Zahlen. Er hatte ein intuitives Verständnis für Angebot und Nachfrage und baute sich so eine Karriere in Vertrieb und Vermarktung von Internet-Technologien auf. Er half mir gern bei den Mathehausaufgaben und setzte alles daran, in seiner ältesten Tochter ein Verständnis für die Ordnung der Welt zu wecken, die er in den Zahlen erkannte. Wir verbrachten Stunden über meinen Mathebüchern und sein riesiger Zeigefinger navigierte mich über die Seiten: Und wenn du jetzt beide Seiten der Gleichung durch (abc) teilst, kommst du auf x

Deshalb war es seine Aufgabe, bei der Nudelherstellung für Ordnung zu sorgen, und wenn er das getan hatte, begannen meine Mutter und Nana, meine Großmutter, den zähen Spaghettiteig zu langen, flachen Streifen zu verarbeiten, breit wie eine Hand und einen halben Zentimeter dick. Meine Mutter beugte sich über die Arbeitsfläche und wischte sich die dicken Locken aus dem Gesicht, die sie nur mithilfe von schildpattfarbenen oder schwarzen Haarkämmen bändigen konnte. Braunäugig und mit olivfarbener Haut war sie das Urbild einer mediterranen Matriarchin. Ihre Schönheitspflege war, wie ihre Kochkünste, äußerst gewissenhaft. Das Schränkchen im Badezimmer war immer vollgestopft mit Cremes, Lotionen, Pudern und Make-up. Sie lackiert sich noch immer jedes Wochenende die Nägel und trägt stets die gleichen Ringe an den gleichen Fingern: den Verlobungsring mit dem Diamanten, den goldenen Ehering den Traditionen folgend am linken und dazu einen dünnen Jadering am rechten Ringfinger.

Obwohl unsere Urgroßmutter uns die Nudelherstellung beibrachte, war meine Mutter stets der Mittelpunkt des Hauses. Sie hat einen Masterabschluss und eine lange, beeindruckende Karriere hinter sich, aber sie wird immer darauf bestehen, dass ihre Familie ihr größte Erfolg ist. Diese Haltung war einerseits wundervoll, auf der anderen Seite aber ein wenig überwältigend. Meine Schwestern und ich wurden des Öfteren Opfer einer überaus dramatischen und sehr katholischen mütterlichen Schuldzuweisung, wenn wir einmal samstags bei Freunden übernachten wollten: »Du willst nicht bei uns sein, bei deiner Familie?« Sie betonte die Worte »bei deiner Familie« mit einer Ernsthaftigkeit, als wollte sie damit andeuten, dass die Familie am nächsten Morgen vielleicht schon nicht mehr da sein könnte. Traditionen waren ihr sehr wichtig. An jedem Heiligabend, nach der Abendmesse, nach unseren Ravioli im Haus meiner Großeltern, nachdem sie die zwei Quiches, Himbeerkuchen und italienisches Schinkenomelett für den nächsten Morgen vorbereitet und die Kaffeemaschine gefüllt hatte – selbst, wenn all das bis Mitternacht gedauert hatte –, mussten wir alle zusammen den Zeichentrickfilm Der Schneemann sehen. Traditionen waren für meine Mutter ein Schlüssel zur Vergangenheit: an was wir uns erinnerten, welche Rituale wir pflegten und wer wir als Familie waren. Weil wir das schon immer so gemacht haben.

Meine Mutter konnte ebenso warmherzig wie Furcht einflößend sein. Meine Schulfreunde wussten, dass sie einen Anpfiff bekommen würden, wenn sie eine Regel brachen, aber wenn ein hungriger Junge vorbeikam, um mit mir an einem Schulprojekt zu arbeiten oder im Garten Gitarre zu spielen, war meine Mutter immer mit einer »Kleinigkeit« wie kalten Hühnerkeulen oder selbst gemachter Pizza zur Stelle. Sie war eine Urgewalt. Als Lehrerin hatte sie eine trainierte Stimme, die durch alle Stockwerke schallte, wenn sie unsere Hilfe beim Möbelrücken einforderte oder mir und meinen Schwestern zu verstehen gab, dass sie unsere Streitereien hören konnte. Sie redete mit vollem Mund und unterbrach andere. Für sie gab es nur eine Geschwindigkeit, und die war Vollgas.

Ich vermute, wenn sie selbst eine Horde Achtklässler dazu bewegen konnte, bei Schulaufführungen auf Kommando zu singen und zu tanzen, dann machte ihr auch das Chaos in unserer überfüllten Küche nichts aus, das Klappern und der Lärm, der mich unter den Tisch verschwinden ließ. Sie war dort in ihrem Element, von ihrer Familie umgeben, alle übertönend, das Nudelholz in den Händen, die braunen Arme angespannt, wenn sie sich ans Teigrollen machte.

Während Mom und Nana den Teig rollten, rannten Meaghan und Caitlin, meine uritalienischen Schwestern mit dichtem braunen Haar und großen, tiefen Augen wie kleine Äffchen durch die Küche und taten so, als würden sie helfen. In Wirklichkeit warfen sie händeweise Mehl auf die Arbeitsplatten und sahen zu, wie es zerstob. Meine Schwestern waren beide von dunklem Teint, trugen Brillen, hatten lockige Haare und sie verhielten sich wie Zwillinge. Wenn wir alte Fotoalben ansahen und in der Mitte der Achtziger landeten, musste sogar meine Mutter genauer aufs Datum schauen, um festzustellen, welche ihre jüngeren Töchter sie da gerade sah. Beide waren sie nach meiner Mutter geraten, sowohl was das Aussehen als auch das Temperament betraf. Ich war ganz anders.

Obwohl ich die Älteste bin, haben wir alle drei den gleichen Altersabstand von ziemlich genau zwanzig Monaten, also kann das keine Erklärung dafür sein, warum die beiden sich so ähnlich sind, und ich so anders bin. Meaghan und Caitlin waren körperlich stark und fröhlich, ganz im Gegensatz zu meiner schwächlichen Konstitution und meiner Faszination für düstere Themen. Sie hatten beide nie viel mit Lernen am Hut und liebten scharfes Essen, Salsatanz und Geschrei. Sie hatten immer eine ganz besondere Beziehung, erfanden Tanzchoreografien, gingen zusammen zum Fußball und hatten Spitznamen füreinander. Wenn wir mit dem Nudelteig anfingen, hatten meine Schwestern nie genug Geduld, um lange genug stillzustehen oder zu helfen. Sie fingen lieber an, abwechselnd im Türrahmen hochzuklettern. Mit dem Rücken an einer Seite des Rahmens und ihren nackten Affenfüßen an der anderen schoben sie ihre kleinen Körper immer weiter nach oben. Was mich betraf, so wartete ich ab. Ich hatte nur eine Aufgabe, und die kam später.

Gampi, mein Großvater, war für das Bedienen der Nudelmaschine zuständig, einer sperrigen Metallvorrichtung mit beweglichen Platten und gefräßigen Zähnen. Die Kante der Arbeitsplatte war vom häufigen Anbringen der Schraubzwinge der Maschine schon ganz abgenutzt. Wenn Mom und Nana den Teig flach genug ausgerollt hatten, war Gampi bereit. Die zwei Frauen trugen den Teig vorsichtig zusammen zu ihrem Vater und Ehemann, mit übereinander gekreuzten Händen unter der durchhängenden Teigmitte. Dann hielten sie ihn senkrecht und führten ein wackelndes Ende in die wartenden Metallrollen der Nudelmaschine ein. Gampi fing an, die Kurbel zu drehen – denn hier ging nichts automatisch – und der Teig wurde in die Maschine gezogen. Sie zogen den bemehlten Teig drei- oder viermal durch die Maschine, bis er papierdünn wurde, so dünn, wie es menschliche Hände oder dicke Nudelhölzer nie hätten schaffen können. Der Teig wurde immer länger, und seine überflüssige Dicke verteilte sich in die Länge, bis Mom mich zu sich rief, damit sie den meterlangen kühlen Teiglappen über meine blassen sommersprossigen Arme legen konnte.

Gampi nahm die Maschine auseinander und klappte sie aus, bis die Schneidwalze zum Vorschein kam und über die Arbeitsfläche hinausragte. Jetzt kam die wichtigste Phase, in der alles langsam gehen musste und alle aufpassen und zusammenarbeiten mussten. Ich musste den Teig genau im richtigen Tempo zurück in die Maschine führen. Zu schnell, und die Pasta staute sich. Dann musste der ganze Ausrollvorgang wiederholt werden. Zu langsam, und der Teig riss nach kurzem Zerren mit einem Geräusch wie platzende Kaugummiblasen. Mom und Nana führten den Teig nach oben und genau im richtigen Winkel hinein in die Maschine, und dabei passten sie auf, dass er nie die Ecken und Kanten berührte, an denen er reißen konnte. Dann drehte Gampi die Kurbel schnell, schneller, als man es für möglich gehalten hätte, kurbelte energisch, bis wie von Geisterhand unten aus der Maschine tanzende Bündel von Spaghetti wie frisch geschnittenes Getreide meinem Vater in die wartenden Hände wuchsen.

Dad nahm die Nudeln wie Garn zwischen seine ausgebreiteten Hände, damit sie nicht aneinanderklebten. Er entfernte sich gebeugt ganz langsam von der Maschine, bis der Teig beinahe durchgekurbelt war. Dann kam meine Mutter, um das hintere Ende zu fassen zu bekommen, und ich saß schon wieder unter dem Tisch und sah zu, wie meine Eltern die langen Nudelstreifen gemeinsam zum Trockengestell brachten. Meaghan und Caitlin sprangen auf und taten so, als würden sie tragen helfen, ihre kleinen Hände zu dem durchhängenden Nudelteppich hochgestreckt, ohne ihn zu berühren. Meine Eltern scheuchten sie nie weg. Wenn die Pasta endlich sicher auf dem Gestell hing, atmeten wir alle erleichtert auf. Eine Ladung war geschafft.

Während all dieser Arbeitsschritte entwickelte sich eine Art Tanz, in dem wir alle umeinander wirbelten, mit den Rücken an der Wand schabten, um nicht aneinanderzustoßen, uns von einem Ort zum anderen schoben mit Stückwerk in der Hand, den Einzelteilen, die irgendwann eine Mahlzeit werden sollten. Wenn wir gemeinsam kochten, verschmolzen das Irische meines Vaters und meine Sommersprossen mit dem Italienischen der anderen, über Grenzen, Heimatländer und Jahrhunderte hinweg; eine Familie auf der Suche nach der perfekten Pasta. Eine zu volle Küche gab es nicht.

Später, wenn unser Werk in dampfenden kupfernen Töpfen kochte, und die Pasta im kochenden Wasser tanzte, zeigte Gampi seinen Enkelinnen, wie man sehen kann, wann die Pasta perfekt al dente gekocht ist. Er tauchte einen gezackten Holzlöffel in den Topf und nahm ein paar Nudeln heraus. Er hielt sie kurz in seinen schwieligen Händen und ließ sie über der Spüle abtropfen, bevor er sie an die Wand warf. Nana schimpfte, aber Gampi wusste, dass seine Tochter ihn niemals davon abhalten würde. Ich sah meine Mutter in der Ecke stehen und glücklich in sich hineinlächeln, und ich wusste, dass sie die gleichen Erinnerungen an die Lehrstunden ihrer eigenen Kindheit hatte. Wenn die Nudeln an der glatten weißen Wand kleben blieben und nicht mehr als einen Zentimeter nach unten rutschten, waren sie essfertig.

An der Küchenwand, über dem großen Tisch, hing ein gerahmter Druck von Norman Rockwells Gemälde Freiheit von Not, auf dem eine ältere Matriarchin einen riesigen Truthahnbraten auf einen reich gedeckten Tisch stellt, an dem viele Leute in freudiger Erwartung sitzen. Immer, wenn wir zusammen aßen, sah ich dieses Bild, und es passte genau: das Gewirr von Ellenbogen, die Rufe nach der Schüssel mit dem Kartoffelbrei oder der Soße, die ein wenig veraltete Förmlichkeit der tapezierten Wände und kristallenen Servierschüsseln. Für meine Familie waren Mahlzeiten laute, feierliche Angelegenheiten. Essen war Tradition. Essen war Zusammensein. Essen war Familie.

Ich verinnerlichte diese Küchenlektionen, sie blieben in meiner Erinnerung, auch als ich aufwuchs und wegzog, die gemeinsamen Essen verpasste und später auf die Fleischklößchen verzichtete. Ich hatte gelernt, dass man nach harter gemeinsamer Arbeit mit reichem Essen belohnt wurde. Jetzt, Jahre später, verblassen die bekannten Gesichter ein wenig in meiner Erinnerung, und ich sehe stattdessen eher Muster, die Choreografie, das ganze Ritual vor mir. Ich hatte gelernt, dass wir über das Kochen miteinander kommunizierten, und uns mit all dem Gewirbel umeinander eigentlich nur dies sagen wollten: Pass auf dich auf, ich bin da und ich liebe dich.

Als ich ungefähr fünf war, waren wir zu einer großen Feier im Haus meiner Urgroßeltern in Dedham, Massachusetts, eingeladen. Das war die Kleinstadt, die sich meine Ururgroßeltern, Nona und Papa, ausgesucht hatten, nachdem sie mit dem Schiff aus Italien gekommen waren, die Stadt, in der mein Großvater und meine Mutter aufgewachsen waren, knapp zwanzig Kilometer von Boston entfernt. Als Kind war ich oft dort, und dieses Mal fand irgendeine Familienfeier statt, obwohl ich viele entfernte Verwandte meiner Mutter nicht gut kannte. Irgendwer – vermutlich mein Großvater – hatte eine lange Schlange Faxpapier wie ein Banner an das Haus gehängt: Es war ein Stammbaum. In der Mitte verlief eine Linie gerade nach unten, und von ihr gingen Namen ab, die ordentlich mit dunkelgrünem, blauem oder rotem Filzstift geschrieben waren. Manche dieser langen, klangvollen Namen konnte ich kaum aussprechen, mit ihren abrupten Stopps, langen Vokalen und stark betonten zweiten Silben: Corsini, Squillante, Berlusconi, Salvaimo. Die Vornamen wanden sich wie Weinreben um diese spröden Büsche: Margherita, Paulina, Oresti, Antoni. Und ganz unten rechts am Haus, in der Gegenwart, Marissa.

Ich brauchte eine Pause von all dem Lärm und ich weiß noch, wie ich in meinem rosa Blümchenkleid ans Haus gedrückt dastand und immer wieder von den fremden Gestalten auf dem sommerlichen Rasen zu der Liste von Namen am Haus hin- und hersah und versuchte zu verstehen, wie sie dort alle hingehörten und wie sie mit mir verwandt waren.

Ich war aus den Fängen der vielen Tanten entwichen, allesamt große, schwerfällige Frauen, die genau wie Nona aussahen, ein wenig gebeugt und mit verschiedensten Geschwüren, mit großen Lappen von Fett an den Oberarmen, die hin- und herschwangen, wenn sie auf mich zukamen. Die Tanten trugen immer Strumpfhosen, auch mitten im Juli in New England, aber ihre Schuhe zogen sie stets bereitwillig aus. Ihre braunen zähen Finger, knorrig wie die Rinde an Papas Apfelbäumen, verfingen sich in meinem dichten blonden Haar und schlangen sich um meine Handgelenke, wo die Tatsache, dass man so viel von meinen Knochen sehen konnte, Erstaunen hervorrief. Obwohl ich schon gegessen hatte, wurde ich noch dreimal zum Buffet geschleppt, zu fetten Fleischklopsen und winzigen Tortellini mit Hühnchen und Schweinefleisch, wobei die Tanten unterwegs anhielten, von ihren roten Kleidern wie Zelte umweht, um den Onkeln zu zeigen, wie schlecht meine Mutter mich ernährte.

Mit Tomatensoßenflecken auf dem cremefarbenen Kragen meines Kleides zog ich mich hinter das Haus zurück. Der Rasen erstreckte sich bis zum Nachbarhaus, ohne Zaun, und lediglich durch Papas Tomatenpflanzen, Weinreben und Apfelbäume getrennt. Die Nachbarhäuser gehörten Cousins, Kindern und alten Freunden, mit denen man Weltreisen, Samstage im Friseursalon, Geburten und Erziehung, Traubenstampfen, Gärtnern und ausgeleierte Kniestrümpfe gemeinsam durchlebt hatte. Ich war jung und blass und blond, und ich unterschied mich durch mehrere Generationen und mein amerikanisches Kleinstadtleben von ihren stämmigen Körpern und starken Akzenten. Meine Mutter und meine Schwestern passten hier genau hin, ihr Aussehen ähnelte dem der Frauen der zweiten und dritten Generation, die sich im Garten versammelt hatten, und ihre Gemüter taten es auch. Meaghan und Caitlin tanzten vergnügt vor den Augen der entfernten Verwandten herum, doch ich zog mich zurück.

Meine Eltern haben Videoaufnahmen von jenem Tag, ungefähr eine Stunde verschiedener Kameraschwenks. Ich weiß nicht mehr, wer es gefilmt oder kommentiert hat – wahrscheinlich Paul, der Bruder meiner Mutter und der Künstler der Familie. Aber ich weiß noch, dass wir uns das Video Jahre später zusammen angesehen und uns darüber amüsiert haben, wie jung wir gewesen waren und wie wir uns verändert hatten. Da ich mich fast den ganzen Tag vor den lauten, forschen Stimmen meiner Verwandtschaft versteckt hatte, war ich nur einmal kurz zu sehen. Der Kameramann unterhielt sich mit Papa, der mit dem Banjo auf dem Schoß im Garten auf dem Liegestuhl saß. Plötzlich kam ich im rechten Bildausschnitt zum Vorschein, mit Haarspray gestärkten Ponyfransen über großen Brillengläsern. Ich sah zutiefst beunruhigt aus, meine Augen waren aufgerissen und mein Mund zusammengekniffen. Ich sah Papa kurz an, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch dann riss ich den Kopf hoch und sah mich hektisch um, wie ein erschrecktes Huhn, und verschwand wieder aus dem Bild.

Niemand, der mich trifft und mein kastanienbraunes Haar sieht, meine blütenweiße Haut, eisblauen Augen und wild wuchernden Sommersprossen, kann glauben, dass ich italienisches Blut in mir habe. Als ich sechs war und mit meiner Mutter in der Lobby des Tanzstudios wartete, in dem meine Schwestern Tap-Jazz lernten, hörte ich zum ersten Mal den Witz, der meine Kindheit prägen sollte. Mom stellte mich einer anderen Mutter vor, die sich verwundert darüber zeigte, wie wenig wir uns ähnelten. Meine Mutter lächelte, legte mir den Arm um die Schultern, die gerade einmal bis zu ihrer Hüfte reichten, und sagte »Ja, das ist Marissa – unser Kuckucksei.« Obwohl mich das damals ziemlich verwirrte – von einem Kuckuck hatte mir bis dahin niemand erzählt –, verstand ich recht schnell, dass ich einfach nicht zu all jenen Frauen passte, die so eindeutig dem Klischee einer italienischen Frau entsprachen.

Italienische Frauen kochen. So ist das einfach.

In meiner frühesten Küchenerinnerung schaue ich unter dem kleinen runden Eichentisch in Nonas Küche in Dedham hervor. Nonas Küche war noch kleiner als unsere, aber sie war immer voll – die Frauen aus unserer Familie waren ständig dort, genauso wie italienische Freundinnen und Nachbarsfrauen. Es lag ein Dunst von kochendem Wasser und alterndem Käse in der Luft, und der scharfe Duft von Knoblauch und Tomaten verfing sich in ihren zerzausten Haaren. Diese Frauen klangen immer, als würden sie schreien – meist auf Englisch mit italienischen Wörtern, wenn sie eine Zutat beschrieben –, aber es war einfach ihre normale Lautstärke. Sie tauchten ihre dicken Hände tief in Schüsseln voller Hackfleisch. Mehlspritzer klebten an verschwitzten braunen Unterarmen und in kräftigen schwarzen Augenbrauen. Eine Einheit. Ein Rudel. Denn so haben wir es schon immer gemacht.

Nona, hinkend und weißhaarig, konnte kaum mehr die Treppen hinaufgehen, aber einen ganzen Raum mit dem Klang von Schöpfkelle auf Kochtopf zum Schweigen bringen. Meine Mutter arbeitete Vollzeit, zog drei Kinder auf, die innerhalb von drei Jahren geboren worden waren, holte abends ihren Masterabschluss nach und kochte jeden Tag eine warme Mahlzeit. Wir hätten es nie gewagt, nicht still zu sitzen und mit gesenkten Köpfen das Tischgebet zu sprechen. Niemand durfte dem Familienessen fernbleiben. Das war die Kraft des Essens. Und wenn nicht gerade gemeinsam unter freiem Himmel mit den Nachbarn gekocht wurde, waren es immer Frauen, die das Essen zubereiteten.

Aber nicht ich. Mehr noch als meine scheue, belesene Art, mehr als meine schmalen Hüften, waren es meine fehlenden Kochkünste, die mich von den lauten, lebhaften, starken Frauen in meiner Familie unterschieden. Ich war eine furchtbare Köchin. Ich war in Gedanken immer überall auf einmal, und diese waren zu chaotisch und stürmisch, um sich auf eine Sache zu konzentrieren, ob das nun Geradeauslaufen oder das Kochen nach Rezept war. Ich lief gegen Türen und Wände, bekam oft meine eigenen fahrigen, ausdrucksvollen Hände ins Gesicht, ließ Dinge fallen und stolperte ständig über irgendetwas. Und in der Küche erreichte dieses Verhalten geradezu lebensgefährliche Ausmaße.

Ich war es, die mit einer frischen Portion Nudeln in den Händen über einen offenen Schnürsenkel stolperte und die ganze nasse Ladung auf den Boden fallen ließ. Als Teenager war ich einmal allein zu Hause und sollte mir mein Abendessen selbst aufwärmen, weil alle anderen Basketballtraining oder Elternabend hatten, und ich verbrachte den Abend damit, auf einem Küchenhocker zu stehen und weinend Kartoffelbrei von der Decke zu kratzen. Einmal lud mich eine Highschool-Freundin zu sich zum Mittagessen ein und bat mich, kurz auf die Würstchen in der Pfanne aufzupassen, während sie ins Bad ging. Sie kam zurück und sah, wie ich sehr besorgt auf die inzwischen verkohlten Würste starrte. Als Zehnjährige machte ich Plätzchenteig von einer solchen gummiähnlichen Konsistenz, dass er meiner sechsjährigen Schwester, die davon kostete, einen Milchzahn komplett aus dem Zahnfleisch zog. Sie lief weinend zu meiner Mutter und ließ mich schuldbewusst mit einem blutverschmierten Keksrohling in der Hand stehen.

Ich kann mich nicht erinnern, dass mich meine Mutter aufgrund eines solchen demütigenden Fehlverhaltens einmal wütend der Küche verwiesen hätte. Ich weiß nur, dass man mich nie zum Kochen einlud und ich das auch nie wollte. Ich blieb lieber draußen, oder unter dem Tisch, sah zu und realisierte, dass ich irgendwie anders war. Essen war das Grundgerüst unserer Familie, unsere Ausdrucksweise, das starke Fundament, auf dem all unsere Beziehungen aufbauten. Aber ich war keine italienische Göttin in der Küche, also musste ich etwas anderes sein.

Als ich jung war, war ich der Meinung, dass die Unterschiede zwischen meiner Mutter, meinen Schwestern und mir auf die Körperform zurückzuführen waren. Meine Schwestern waren beide schnell größer als ich, und beide hatten sie schon als Teenager runde, volle Körper, weibliche Körper, die man als kurvig, üppig oder weich bezeichnen konnte. Ich ging immer davon aus, dass ihre größere Ausgelassenheit und Extrovertiertheit Teil des Selbstbewusstseins war, das mit einem solchen Frauenkörper einherging. Sie wussten etwas darüber, eine Frau zu sein, etwas, das sie Gefallen daran finden ließ, sich Locken zu drehen und Make-up zu tragen. Etwas, das mir fehlte. Meine Unfähigkeit zu kochen sah ich schnell als Teil meines generellen Missfallens an allen Dingen an, die ich für zu mädchenhaft hielt.

Alle paar Monate gingen meine Mutter und Schwestern ihren Gelüsten nach scharfem Essen nach und veranstalteten einen Weiberabend. Sie zogen sich schick an, nutzten die Gelegenheit, ihre Lockenstäbe hervorzuholen, hochhackige Schuhe anzuziehen, Eyeliner aufzutragen, und gingen in die Stadt, um etwas internationaleren kulinarischen Genüssen zu frönen und danach eine Liebeskomödie im Kino zu sehen.

Ich blieb zu Hause bei meinem Vater und war froh, einer Veranstaltung fernbleiben zu dürfen, die ich entschieden zu weibisch fand. Wir bestellten Pizza, um keinerlei unnötige Zeit in der Küche zu verbringen, und ich saß auf dem fliederfarbenen Teppich im Wohnzimmer, aß von einem Pappteller und durfte meinem Vater dabei zusehen, wie er auf ESPN Sport schaute. Zwischen der geblümten Sitzgruppe und den hellblauen Wänden, an denen Collagen aus Familienfotos und gerahmte Kunstwerke von uns Mädchen hingen, machte ich meine ersten vorsichtigen Schritte auf dem Weg zur Rebellion gegen eine Kultur der Weiblichkeit. Eine Kultur, die sich für meinen Geschmack zu sehr um Dinge wie das richtige Auftragen von Lipgloss oder knapp vermiedene Verbrennungen durch diverse heizbare Friseurartikel drehte und zu abenteuerliche Vorstellungen von Essen hatte.

Obwohl mein Vater und Großvater bei unseren Kochgroßprojekten mitwirkten, war die Rollenverteilung in unserer Familie im Wesentlichen traditionell – Frauen kümmerten sich ums Essen, während die Väter Geld verdienen gingen. Aber für mich war das Entscheidende, dass mein Vater und ich den gleichen Geschmack hatten, wenn es ums Essen ging. Wir aßen Spaghetti mit Fleischbällchen, hielten uns aber von schärferen Dingen wie gewissen Würstchen oder weniger amerikanisierten Gerichten wie Tiramisu oder Cannoli fern.

Mein Vater saß auf dem Sofa, dem Fernseher gegenüber, und ich saß im Schneidersitz auf dem Boden neben dem Beistelltisch. Er trank Bier direkt aus der Flasche, und wir sahen zu, wie die Celtics im Boston Garden die Basketballkörbe erzittern ließen. Bei jedem Treffer sprang er auf. Wir lachten über meine Versuche, es ihm nachzutun, hochzuspringen, auf einem Knie zu landen und mit geballter Siegerfaust »Yeah, baby« zu rufen.

Solche Abende mit meinem Vater waren für mich kleine Erfolge. Ich begann, eine innere Grenze zu ziehen, die ich bis heute nicht richtig erklären kann, denn genau genommen war sie ziemlich willkürlich. So wie ich es damals sah, hatte ich mehr mit ihm gemeinsam als meine Schwestern, obwohl sie es ja waren, die in den von ihm trainierten Mannschaften Basketball und Fußball spielten. Ich muss gespürt haben, dass ich von etwas ausgeschlossen war und meine Schwestern nur aus der Entfernung beobachten konnte, während sie lernten, mit Stäbchen zu essen oder Glätteisen zu benutzen. Wenn sie mysteriöse Kartons mit nach Hause brachten, durchweicht von dicken Joghurtsoßen, oder runde Aluminiumplatten mit gewellten Rändern, voller Seetangrollen und dünnen Ingwerstreifen, rümpfte ich nur die Nase. Ich beschloss, nicht auf diese Weise Frau sein zu wollen. Inzwischen weiß ich, dass all das vor allem mit meiner introvertierten Art zu tun hatte: Ich blieb lieber Zuhause, als auszugehen, und weil mein Vater genauso handelte, dachte ich, dass ich dadurch weniger mädchenhaft war. Damals war das meine Auffassung von Feminismus, von politischer Identität: Ich definierte mich über das, was ich nicht tat – ich hatte nichts mit Kosmetik am Hut und weigerte mich, gewisse Dinge zu essen.

Meine Eltern leben noch immer in jenem Haus und das seit mehr als zwanzig Jahren. In meiner Kindheit veränderte es sich ständig, und jeder Raum wurde damals mindestens einmal von Grund auf erneuert. Aber ich vergesse nie die Momente, die ich zurückgezogen und von den anderen getrennt verbrachte – unter dem Küchentisch, still inmitten eines lärmenden Familienessens, oder mit einem Stück Pizza auf dem Wohnzimmerboden. Ich weiß noch, wie ich auf Büchern im Wohnzimmer Schlittschuh fuhr, unter jedem Fuß ein Buch mit Schutzumschlag, damit es besser über den fliederfarbenen Teppich rutschte.

Ich erinnere mich nicht an den Moment, in dem mir bewusst wurde, dass ich weit wegziehen würde.