Leo | Steinbeis | Zorn

mit
Rechten
reden

Ein Leitfaden

Klett-Cotta

Impressum

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Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

© 2017 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Printausgabe: ISBN 978-3-608-96181-2

E-Book: ISBN 978-3-608-10996-2

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

1788 

Leitfaden zum Leitfaden

A. Der Wille zur Macht

Warum mit Rechten reden?

B. Kritik und Selbstkritik

Wie Rechte mit uns reden

C. Das abenteuerliche Herz

Wie mit Rechten reden?

D. Zwei Schritte vorwärts, ein Schritt zurück

Worüber mit Rechten reden?

Parley

Vorschlag eines anderen Sprachspiels

Wolfgang Herrndorf: ohne Titel. Öl auf Papier, ca. 2002

Ich habe jahrelang mit Nazis Rollhockey gespielt, fraternisiert und was weiß ich, und was hat es meinem Charakter geschadet?

Wolfgang Herrndorf

Da gab’s noch die Kifferfraktion. Mit denen haben wir uns natürlich super verstanden, immer Basketball gespielt und so.

Erik Lehnert

Kositza: Wissen die, wer du bist?

Lehnert: Na, ich sag’ denen, was ich mache. Ich sag’ nicht, paß auf, bin ’n Rechter!

Kositza: Du hast nicht die Ahnung, daß die googlen?

Lehnert: Könnse ja machen. Dann würden sie mich ansprechen oder eben nicht mehr mit mir reden. Das sind ja die zwei Möglichkeiten.

Tristesse Droite

Die Stärke, wo sie naiv als Naturkraft wirkt, fragt nicht. Deshalb weiß sie nicht zu antworten, wenn sie gefragt wird.

Helmuth Plessner

1788

Leitfaden zum Leitfaden

Verehrte Leserinnen und Leser,

sehr geehrte Rechte und Nicht-Rechte,

liebe Schneeflocken, liebe Stachelschweine,

lassen Sie uns zu Beginn ein naheliegendes Missverständnis ausräumen. Von Büchern, die sich Leitfaden nennen, darf man Hilfe erwarten. Alles andere wäre Betrug. Und da wir keine Betrüger sind, wird auch dieser Leitfaden Hilfe anbieten, nur anders, als Sie vielleicht denken. Wir haben keinen Ratgeber geschrieben. Denn wer das tut, muss ja zweierlei wissen. Erstens, in welcher Sache er Rat erteilt, und zweitens, an wen er sich richtet.

Das Hilfsangebot eines Ratgebers sollte eine Frage betreffen, die unmissverständlich genug ist, um in Form eines nüchternen How-to-do-Titels benannt zu werden: Wie man ein Aquarium einrichtet. Wie Sie bei Ihrem Chef mehr Gehalt rausschlagen. Wie Sie Ihr Moppel-Ich lieben lernen usw. Und der typische Ratgeberinhalt sollte aus Ratschlägen bestehen: Berechnen Sie zuerst, wie viel Zeit Sie für Ihr neues Hobby aufbringen können. Stellen Sie keine Forderungen, weisen Sie auf Ihre Leistungen hin. Betrachten Sie sich selbst als Ihre beste Freundin usw. Wen das unpersönliche »man« oder »Sie« solcher Titel anspricht, bedarf bei einem Ratgeber also gar keiner Erläuterung. Es sind genau die Personen, die Rat in genau dieser Frage suchen.

Nun heißt unser Buch aus guten Gründen nicht: Wie man mit Rechten redet. Denn das würde ja voraussetzen, eine »man« und eine »Rechte« genannte Gruppe ließen sich ebenso deutlich voneinander unterscheiden wie Untergebene und Chefs oder Sie und Ihr Moppel-Ich. Weil das aber nicht möglich ist, haben wir es gar nicht erst versucht. Ähnliches gilt für die Sache, in der wir unsere Hilfe anbieten. Auch sie ist so ungriffig, dass sie sich einer schnellen Definition entzieht. Mehr noch, wir sind sogar davon überzeugt, dass die sogenannten Rechten uns gar nicht vor eine Aufgabe stellen, die man nur richtig anpacken muss, um sie zu bewältigen – sondern dass sie uns vor ein Problem stellen.

In diesem Sinne geht unser Buch mindestens einen Schritt hinter andere, thematisch verwandte Bücher zurück. Wir wollen nicht voreilig vor etwas warnen oder zu etwas raten, sondern auf ein Problem hinweisen, es verständlich machen, und dann erst Wege zu seiner Lösung andeuten.

Wir begreifen, so viel sei verraten, als »rechts« keine eingrenzbare Menge von Überzeugungen oder Personen, sondern eine bestimmte Art des Redens. Dazu später mehr. Hier wollen wir nur anmerken, dass dieser Ansatz nicht willkürlich gewählt ist. Fast alle »rechten« Phänomene, mit denen wir es derzeit zu tun haben, lassen sich als Formen der Rede auffassen, genauer gesagt: der reaktiven Rede. Der rechte Diskurs reagiert auf eine demokratische Öffentlichkeit in der Krise.

Die strukturelle Dummheit von Talkshows und Meinungsforschung, eine von der Ausnahme zur faktischen Norm erhobene Große Koalition und das Internet als Medium der Meinungsbildung haben eine Diskussionskultur geschaffen, die sich vor allem durch zwei Merkmale auszeichnet: Nervosität und Erwartbarkeit. Und damit haben sie den Nährboden für Sprechweisen bereitet, die vor allem einen Zweck verfolgen: Störung. In dieser Situation verstehen wir unser Buch als eine Intervention. Wir wollen eingreifen, aber nicht in bestehende Debatten, sondern in eine Republik, die dabei ist, in den Arenen des Spektakels und den Stuben der Verwaltung eines ihrer kostbarsten Güter zu verspielen: die Lust am offenen Streit.

Wir rechnen damit, dass unser Buch unterschiedliche Leserinnen und Leser finden wird. Die erste mag überrascht sein, dass wir die Dinge nicht von Anfang an beim Namen nennen, denn wer die Rechten seien, das wisse doch jeder; und nun ist sie neugierig geworden. Der zweite mag sich selbst als »rechts« empfinden und will herausfinden, was der Gegner denkt; oder er wird neuerdings von anderen als »rechts« beschimpft, und jetzt möchte er sich selbst verstehen. Den dritten mag das, was sich hinter Bezeichnungen wie »Rechte«, »Neue Rechte« oder »Rechtspopulismus« verbirgt, verstören und ratlos machen; und jetzt ist er gespannt, ob er bald klarer sieht. Sie alle sind uns willkommen, und wir hoffen sehr, dass jede und jeder von ihnen aus der Lektüre Gewinn ziehen wird.

Wenn diese unterschiedlichen Leserinnen und Leser dem Gang unseres Textes folgen, werden sie dabei – hoffentlich – immer wieder zu Einsichten gelangen, die sich dann auch problemlos in Ratschläge übersetzen lassen. Nur werden es eben nicht für alle Leser die gleichen sein. Die einen werden diese Schlüsse aus der Lektüre ziehen, die anderen jene. Nun könnte ein besonders schlauer Leser natürlich fragen, welche Schlüsse sich denn für uns selbst ergaben, nachdem wir meinten, das Problem verstanden zu haben. Ließe sich daraus nicht doch eine Liste von Ratschlägen formulieren? Eigentlich halten wir das für keine gute Idee, weil man sie ohne Kenntnis des Buchs kaum verstehen würde. Andererseits hat das Rätselhafte immerhin den Vorteil, Fragen aufzuwerfen. Kriminalkommissare zum Beispiel gehen ja diesen umgekehrten Weg. Sie ziehen Rückschlüsse aus zunächst unverstandenen Resultaten.

Also gut. Wenn Sie uns versprechen, dass Sie die folgenden Maximen und Gebote, die sich für uns aus dem Reden mit Rechten ergeben haben, nicht einfach mit Ihrem Handy abfotografieren, bevor Sie das Buch ungekauft wieder ins Regal stellen, um sie dann mit nach Hause zu nehmen wie ein gestohlenes Kochrezept – sondern sie eher auffassen wie eine Leiche, deren Mörder Sie nun finden müssen, dann wollen wir mal nicht so sein. Aber wir wiederholen es noch einmal: Diese Liste ersetzt nicht die Lektüre des Buchs! Bitte schön, hier sind die 25 goldenen Regeln, die sich nach unserer Auffassung durch das Reden mit Rechten für das Leben gewinnen lassen:

  1. Unterscheide Person und Rede.

  2. Lass Dich nicht provozieren.

  3. Misstraue Deinen moralischen Reflexen.

  4. Du sollst nicht berechenbar sein.

  5. Der andere könnte Recht haben.

  6. Rechthaben ist keine Tugend.

  7. Suche die Nähe von Menschen, die anders denken als Du.

  8. Meide Menschen, die Feinde brauchen.

  9. Achte Deinen Gegner.

  10. Ein Streit ohne Lachen ist kein guter Streit.

  11. Wenn Du vom Hass nicht singen kannst, schweige.

  12. Bedenke, dass Idioten oft gute Tänzer sind.

  13. Probiere unterschiedliche Meinungen aus.

  14. Viele Meinungen sind möglich, aber nicht jede Meinung gilt.

  15. Wenn Du willst, dass Deine Meinung gilt: Finde Gründe.

  16. Verhalte Dich so, wie Du es von anderen erwartest.

  17. Vermeide das Wort »Nazi«.

  18. Treibe Sport mit Nazis.

  19. Du sollst nicht »Arschloch« sagen, außer es muss sein.

  20. Sei kein Arschloch.

  21. Meide die Opferpose.

  22. Bevor du jammerst, mach’ Musik.

  23. Du sollst Dich nicht mit der Weißen Rose identifizieren.

  24. Du sollst nicht Ja zum Nein sagen.

  25. Du sollst Ja zum Nein zum Ja sagen.

Das Thema unseres Buchs ist politisch. Und es liegt in der Natur der Sache, dass solche Bücher nicht nur unterschiedliche, sondern sogar gegensätzliche Leser anziehen. Entsprechend ist dieses Buch selbst von Unterschieden und Gegensätzen durchzogen. Es vereint nicht nur unvereinbare Positionen, sondern auch Stile und Textarten, die sonst durch klare Gattungsgrenzen getrennt sind. Manche Passagen lassen sich wie ein Sachbuch oder ein Essay lesen. Andere kommen dem nahe, was man normalerweise von einem Leitfaden erwarten würde, nur mit dem Unterschied, dass wir nicht angeben, wie man es machen muss, sondern Beispiele geben, wie man es machen könnte.

Und dann gibt es Passagen, bei denen Sie unterstellen werden, sie seien glatt erfunden. Und wenn wir es auch niemals zugeben werden, widersprechen würden wir nicht. Denn gerade bei unverstandenen Problemen hilft dem Kopf nichts so sehr auf die Sprünge wie eine Sprache, die mehr zeigt, als sie sagt. Ob man es dann Literatur, Mythos, Parabel oder Fiktion nennt, ist in diesem Fall nebensächlich. Wichtig ist, dass sich jeder Leser seinen eigenen Reim darauf machen muss. Sollten diese Stellen für Sie dennoch rätselhaft bleiben, ist das nicht schlimm, den Rest des Buches kann man auch ohne sie verstehen. Aber vertrauen Sie uns: Wir haben uns etwas dabei gedacht. Und vor allem wissen wir, dass es Leser gibt, die sich einen Reim darauf machen können.

Über die Qualitäten des Buches sollen letztlich andere urteilen, solange sie zugeben, dass es recht lustig ist. Und äußerst klug. Und eine ganze Einführung ins Verfassungsrecht ersetzt.

A. Der Wille zur Macht

Warum mit Rechten reden?

Stellen Sie sich vor, in Ihrem Leben gäbe es einen Menschen, an dem Sie etwas so heftig stört, dass Ihr Wohlbefinden darunter leidet. Sie gehen nicht mehr gerne zur Arbeit, seit Sie das Büro mit ihm teilen; Sie freuen sich nicht mehr auf das Familientreffen, seit er mit ihnen verschwägert ist; Sie wollen nur noch nach Hause, seit Sie erkannt haben, dass sich eine Woche auf Mallorca mit ihm ganz anders anfühlt als ein Abend in der Bar. Ihre Gedanken kreisen unentwegt um ihn, auch wenn er gerade nicht da ist oder nicht das tut, was Sie so bedrängt. Nehmen wir nun an, der Störenfried sei kein Einzelfall, sondern einer von vielen. Einer dieser extrem unangenehmen Typen, die sich seit einiger Zeit wie von Zauberhand vermehren. Überall haben sie sich breitgemacht, im persönlichen Umfeld, im Fernsehen und, was das Schlimmste ist: im Internet. Facebook ist die Hölle.

Die Welt ist irgendwie nicht mehr so schön, seit diese Leute alles in Frage stellen, was Ihnen kostbar und selbstverständlich erscheint, und dabei erschreckend stark geworden sind. Himmel, sie regieren inzwischen das mächtigste Land der Erde! Und warum ist es so weit gekommen? Weil Typen wie dieser nicht auf Menschen wie Sie hören wollten.

Sie sagten: Deine Ansichten sind falsch.

Er antwortete: Nein, deine.

Sie sagten: Geh weg.

Er ist geblieben.

Na gut, sagten Sie, dann muss ich wohl etwas deutlicher werden. Weißt du, an wen du und deinesgleichen mich erinnern? An die Nazis.

Und er? Was erdreistete er sich zu antworten? Die Nazis, sagte er, das seid ihr. Wir sind die Weiße Rose.

Wie bitte? Was? Spinnst du?

Nein, sagte er, du spinnst.

Sie. Können. Es. Nicht. Fassen. Sie sind entsetzt, verletzt, verstört, wütend, sehr, sehr wütend, so wütend, dass Sie am liebsten schreien und diesem Individuum handgreiflich klarmachen würden, dass es so nicht geht. Aber das finden Sie auch wieder schlimm, denn so wollen Sie ja eigentlich nicht sein, so jemand sind Sie doch gar nicht. Allmählich verwandelt sich Ihre Wut in Ratlosigkeit. Sie machen einen Spaziergang und kommen zu der Einsicht, dass kein Weg mehr an einem klärenden Gespräch vorbeiführt. Sie werden dem anderen sagen: Ich habe ein Problem mit dir. Mit dir und deinen Freunden. Damit, dass ihr Rechte seid.

In einer ähnlichen Gefühlslage müssen sich die Veranstalter des evangelischen Kirchentags 2017 befunden haben, als sie sich dazu durchrangen, das Gespräch mit dem Rechtspopulismus zu wagen. Aber wen einladen? Die meisten Menschen mit falschen Gedanken, insbesondere Männer, werden ja immer gleich so aggressiv. Lieber fragen wir eine Frau. Vielleicht eine Christin, bei der sich das schiefe Weltbild mit Zurückhaltung und Einfalt paart? Gute Idee. Die Frau, eine unscheinbare Evangelikale, ist schnell gefunden. Aber den Veranstaltern wird plötzlich klar, was für eine Herkulesaufgabe sie sich da aufgehalst haben.

Wäre der Papst höchstpersönlich zu Besuch gekommen, ihm hätte im Vorfeld des Kirchentages nicht mehr Aufmerksamkeit zuteil werden können als Anette Schultner von der AfD, einer schlichten Dame, von der kaum jemand Notiz genommen hätte, wäre sie nicht erwartet worden wie das geheime Kind von Adolf Hitler und einer unbekannten Schönheit vom Mars. Wochenlang tagen die Planungsstäbe, als gälte es, einen jahrhundertealten Dogmenstreit mit Rom beizulegen; es toben die Wogen des Eifers, als hätte jemand gewagt, Luther im Lutherjahr einen Antisemiten zu nennen. Mahnende Hirtenbriefe werden verfasst, Unbedenklichkeitsgutachten eingeholt, man bittet die heilige Margot um ihren Segen, den sie auch erteilt, nicht ohne allerdings ihr Gewissen durch eine die AfD betreffende Unwählbarkeitserklärung auf das Heftigste zu beruhigen.

Aber schließlich geht alles gut. 22 Millionen Protestanten finden einen Weg, mit Frau Schultner von der AfD zu reden, ohne dass der Berliner Dom einstürzt und auf seinen Trümmern das Vierte Reich ersteht. Sie darf die Kirche betreten, aber nur unter dem lauthals bekundeten Unmut hunderter orangebeschalter Christen. Sie darf sogar etwas sagen, aber nur unter der korrigierenden Aufsicht des Berliner Landesbischofs, einer Moderatorin, die gar keine ist, und einer Expertin für die menschliche Subspezies »Rechtspopulisten«. Und worüber spricht Frau Schultner? Über Schützenswertes an Orten. Den Fötus im Mutterbauch, das Abendland in der Welt, die Familie im Abendland, das Christentum im Morgenland, die AfD in Deutschland, Frau Schultner auf dem Kirchentag. Dem Publikum wird abwechselnd heiß und kalt und bang angesichts so viel gefährlicher Schutzbedürftigkeit, aber es hält stand. Es singt sich in kritischen Momenten Mut an und lässt auch ungute Gefühle zu. »We shall overcome«, schmettern die einen. »Wir haben Angst vor Ihnen!«, bekennen die anderen.

Es ist vollbracht. Man hat mit einer Rechten geredet. Und, hat sich dadurch etwas verändert? Wird Frau Schultner in den Schoß der evangelischen Landeskirche zurückkehren? Hat der Auftritt die AfD auch nur eine einzige Wählerstimme gekostet? Wird sich irgendein Rechter jetzt anders verhalten? Wir werden niemandem zu nahe treten, wenn wir vermuten: eher nicht. Was nun? Setzen wir noch einmal neu an. Kehren wir zurück zu dem bedrängenden Gefühl, dass irgendetwas geschehen muss. Zu dem Problem, das viele von uns mit den Rechten in ihrem Umfeld haben, und der Absicht, es irgendwie zu lösen.

Houston, we have a problem

Wenn ich jemandem mitteile, ich hätte »ein Problem mit ihm«, dann ist das ja zweifellos als Klage gemeint. Ich kritisiere ihn, weil ich mir sicher bin, dass er etwas falsch macht. Aber dazu passt nicht, dass aus dem Wort, das ich für diese Mitteilung verwende, Unsicherheit spricht. Ein »Problem« ist eine verwickelte Situation, in der man feststeckt. Probleme gehören zu jemandem. Ein Problem hat man. Wenn ich mich bei Einbruch der Dunkelheit im Wald verlaufe, ist das mein Problem. Wenn ich jemandem nicht helfen will, kann ich sagen: Das ist dein Problem. Und genau das könnte mir auch derjenige antworten, dem ich mitteile, ich hätte ein Problem mit ihm. Er könnte nämlich zu Recht feststellen, dass dieser Satz mehr über mich sagt als über ihn. Wenn du ein Problem mit mir hast, könnte er entgegnen, dann ist das dein Problem. Ich bin, wie ich bin. Ich verhalte mich so wie immer, und andere kritisieren mich dafür nicht. Er könnte sogar noch schärfer werden. Er könnte behaupten: Ich bin normal; und wenn du damit ein Problem hast, dann bist du es offensichtlich nicht.

Er könnte aber auch anders reagieren. Selbst wenn ihm die Kritik nicht einleuchtet, könnte er begreifen, dass sie von jemandem geäußert wurde, mit dem er verbunden ist. Ob er will oder nicht. Es nervt mich zwar, könnte er also sagen, aber wenn du ein Problem mit mir hast, dann habe ich, weil wir einander so schnell nicht loswerden, offenbar auch ein Problem. Nicht unbedingt mit dir, aber mit dir. Oder kürzer: Wir haben ein Problem. Dieser Satz ist nicht nur passend, er ist so griffig, dass er als technischer Notruf in den Sprachschatz der Menschheit eingegangen ist.

Houston, we have a problem.

Nehmen Sie die havarierte Raumkapsel von Apollo 13 als ein erstes, noch reichlich grobes Bild für das Thema dieses Buches. Es lässt wesentliche Details im Unscharfen, aber es verrät, was unser Buch von anderen, thematisch verwandten Büchern unterscheidet. Es ist nämlich kein Buch über Rechte und auch kein Buch gegen Rechte. Zumindest nicht nur. Was immer wir an ihnen kritisieren mögen, allein dadurch, dass wir die Rechten als Teil eines gemeinsamen Problems auffassen, nehmen wir eine andere Perspektive ein als all jene, die meinen, es sei damit getan, sie zu identifizieren, zu beobachten, zu beschreiben und dann Maßnahmen zu ihrer Unterdrückung zu ergreifen. Worin unser Problem besteht, wer Verantwortung für seine Entstehung trägt und ob es lösbar erscheint, wird uns im Folgenden beschäftigen. Zum Einstieg soll die Feststellung genügen, dass wir die Rechten nicht überwachen, sondern aus einer dialektischen Perspektive betrachten wollen. Einer Perspektive, heißt das, die uns selbst mit einschließt.

Wo Wächter vor einer Gefahr warnen, da tüfteln Dialektiker an einem Problem. Anders als zwischen Sehvermögen und Blindheit besteht zwischen zwei Perspektiven aber kein Gegensatz. Man sieht nur aus der einen Perspektive nicht das Gleiche wie aus der anderen. Die Wächter sind nicht blind. Sie sehen eine Schlange und rufen zu Recht: Achtung! Abstand halten! Aber auch die Tüftler sind nicht blind, nur ist ihr Blick weniger fixiert. Ja, entgegnen sie den Wächtern, wir sehen die Schlange. Aber wir sehen auch, dass sie auf der Schwelle des Zimmers liegt, das wir gerade betreten wollen.

Wer ein Problem lösen will, muss beweglich sein. Vor allem im Kopf. Der erste Schritt zur Lösung eines Problems liegt immer in der Einsicht, dass man überhaupt eines hat. Dass alle gangbaren Wege verstellt sind. Dass man nicht auf einer Kreuzung steht, sondern in einem Schlamassel steckt. Im Dickicht eines Waldes. Oder weit draußen im Watt, während plötzlich Nebel aufzieht, die Flut naht und der Kompass nicht funktioniert.

Eben noch hat der Wanderer in der Ferne sein Ziel, den heimischen Deich oder die Hallig, klar vor Augen gehabt, und nun werden all seine Blicke von kaltem Wasserdampf verschluckt. Der Versuch, die eingeschlagene Richtung zu halten, das weiß er, wäre töricht, weil ein Mensch ohne Orientierung wie ein Automat im Kreis läuft. Er wird sich also nach anderen Anhaltspunkten richten müssen, der Beschaffenheit des Wattbodens, der Windrichtung, dem mehr geahnten als gewussten Sonnenstand, den Geräuschen, die vielleicht zu ihm durchdringen. Und dann wird er sein Glück versuchen. Aber auf keinen Fall darf er der ermittelten Richtung voreilig vertrauen. Es sind feine Unterschiede und kleine Entscheidungen, auf die es jetzt ankommt. Jede Vermutung kann durch eine einzige Wahrnehmung korrigiert werden, jeder Entschluss steht unter Vorbehalt. Befindet er sich wirklich schon auf dem südwestlichen Sandrücken? Dann wäre das Hornsignal, das er gerade gehört hat, von der Hallig gekommen, und er könnte die Richtung halten. Aber wenn der Wind es herübergetragen hat? Dann kam es vermutlich von der Insel, und er müsste umdrehen. Am Ende wird es, wenn alles gut geht, ein Zickzackweg gewesen sein, auf dem der Wanderer sein Ziel erreicht hat.

Der Zickzackweg

Im Gegensatz zu den Problemen, in denen die Besatzung einer beschädigten Raumkapsel oder ein Wattwanderer im Nebel stecken, versteht sich das Problem mit den Rechten aber nicht von selbst. Das haben Beziehungsprobleme so an sich. Die Behebung einer technischen Notlage mag noch so großes Fachwissen erfordern, das Problematische an der Situation wird auch ein Laie sofort begreifen. Er muss sich nur in die Position desjenigen versetzen, der das Problem hat. Dagegen muss man sich, um ein Beziehungsproblem zu verstehen, in zwei widerstreitende Positionen versetzen – ohne sich mit einer von beiden zu identifizieren.

Das ist nicht leicht, aber man kann es lernen. Man kann es sogar zu seinem Beruf machen. Ein Paartherapeut zum Beispiel lebt davon, Beziehungsprobleme zu verstehen. Dennoch taugt seine Aufgabe nur bedingt als Bild für das Anliegen unseres Buches. Rechte und Nicht-Rechte waren ja aus guten Gründen nie verliebt ineinander. Im Gegenteil, ihre Beziehung lebt geradezu vom Streit. Sie wollen gar keine Harmonie. Aber auch Konfliktbeziehungen können mehr oder weniger gut funktionieren; und sie können so zerrüttet sein, dass für alle die Nachteile überwiegen. Nicht gut miteinander auszukommen wäre daher das Ziel, sondern: weniger schlecht.

Und damit zur Sache. Wer sind die »Rechten«? Wer sind die anderen? Warum nennen wir sie nicht »Linke«, »Grundgesetzfans« oder »freiheitlich-demokratische Edelmenschen«, sondern »Nicht-Rechte«? Inwiefern verbindet beide Seiten eine problematische Beziehung? Und warum sollten sie überhaupt miteinander reden?

Es gibt mittlerweile Berge von Literatur, die klären will, wer und was »rechts« ist, verfasst teilweise von anderen über die Rechten, teilweise von diesen über sich selbst. Vor allem wenn sie aus der nicht-rechten Ecke kommen, setzen diese Bücher bevorzugt bei den Inhalten an, bei bestimmten Ideen, Haltungen, Gesinnungen, Weltbildern, Absichten und Zielen, oft zusammengezogen in zwei Worten, die furchtbar nach Kasernenschweiß stinken: rechtes Gedankengut. Diese Literatur bietet wertvolle Anhaltspunkte. Aber wir wollen anders ansetzen. Aus drei Gründen.

Erstens stellen die rechten Inhalte allein noch kein Problem dar, selbst dann nicht, wenn sie sich zu einer extremistischen Ideologie verfestigt haben oder gar zu Straftaten motivieren. Im Gegenteil, bestünde die Rechte mehrheitlich aus Holocaustleugnern, Hitlerfans, Brandstiftern und Terroristen, handelte es sich bei Ihnen, mit einem Wort, vor allem um gewaltbereite Neonazis, dann hätten wir kein Problem mit ihnen. Wir hätten einen Job zu erledigen. Die Umtriebe einer staatsfeindlichen und latent kriminellen Subkultur könnten wir getrost den Wächtern überlassen: dem Verfassungsschutz, der Polizei, der Bundeszentrale für politische Bildung, Ursula von der Leyen und der Antifa. Unsere Perspektive schließt Neonazis und Rechtsterroristen nicht aus, aber wir halten es mit einer Maxime der angelsächsischen Rechtspraxis: Hard cases make bad law. Wir werden, heißt das, die Extremfälle der Rechten von ihren moderateren Varianten her verstehen, nicht umgekehrt.

Das Spektrum unseres Interesses beginnt diesseits der offenen Verfassungsfeindschaft, in einer Grauzone, deren Protagonisten nicht (oder nicht mehr) Teil der rechtsextremen Szene sind, aber auch nicht bereit, sich eindeutig von ihr abzugrenzen. Und sie reicht bis tief in die Mitte der Gesellschaft, in ein nach vielen Richtungen ausfransendes, jederzeit mobilisierbares, je nach Lage schnell an- und abschwellendes Milieu, in dem sich ein diffuses Unbehagen an den »Zuständen in unserem Land« breitgemacht hat; in Kreise, in denen sich Abendland auf Abendbrot reimt, wo man stolz auf das Latinum und die guten Manieren der Enkel ist, und wo man sich im Zweifelsfall noch nicht einmal als »rechts« bezeichnen würde. Stehen die Intellektuellen der »Neuen Rechten« am einen Ende der Skala, so nimmt den Rest eine durchaus bunte Mischung ein, in der die »besorgten Bürger« von Pegida auf nationalistische Sozialdemokraten wie Thilo Sarrazin treffen, sämtliche Schattierungen der Kultur-, Globalisierungs-, Islam- und Europakritik auf Betonkonservative wie Erika Steinbach, hitzige Charakterköpfe wie Nicolaus Fest oder Michael Klonovsky auf durchgeknallte Autoren von Katzenkrimis, und professionelle Krawallschachteln wie Matthias Matussek auf selbsternannte Reinkarnationen von Graf Stauffenberg und Sophie Scholl.

In den Zeitschriften Junge Freiheit und Sezession hat dieses Spektrum seine Leitorgane gefunden, in den Kommentarspalten und sozialen Netzwerken des Internet seinen Resonanzraum, in der AfD seine Repräsentantin auf der politischen Bühne. Das Wählerpotential der AfD wird auf etwa 20 % der stimmberechtigten Bürger geschätzt, und auch wenn sie es derzeit nicht ausschöpft – die von rechts radikalisierbare Mitte wird uns dauerhaft begleiten. In Präsidialdemokratien wie Frankreich stand sie an der Schwelle zur Macht, in den USA sitzt sie schon im Weißen Haus.