cover

Reinhard Goltz / Peter Nissen

Plattdeutsch für Zugereiste

Ein humoriger Sprachführer der WELLE NORD

Herausgegeben von Jürgen Hingst

Boyens Buchverlag
Logo Boyens Buchverlag

 

Vorwort

Von Jürgen Hingst

Mehr als 20 Jahre nach dem Start ist „Plattdeutsch für Zugereiste“ immer noch unterwegs. Längst hat sich das Buch von der Sendereihe entfernt, mit der es einst bei der NDR 1 Welle Nord in Schleswig-Holstein gestartet war. Heute gehört „Plattdeutsch für Zugereiste“ in den ganzen Norden. Kurz und klar bringt es plattdeutsche Begriffe auf den Punkt. Darüber freuen sich Leser nicht nur in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen, sondern nun schon seit vielen Jahren auch in Mecklenburg-Vorpommern. Denn auch dort wird noch ein kerniges Platt gesprochen. Und Urlauber gibt es dort auch, sogar mehr als anderswo. So hat sich denn unser humoriger Sprachführer richtig weit ausgebreitet und erfreut sich nach wie vor einer großen Beliebtheit.

Selbst wenn Platt vielleicht nicht mehr so häufig zu hören ist wie zu Beginn der Serie – zu lesen und zu spüren ist es allemal. Ob Achtern Strom in Warnemünde, ob in Fiefbargen in Schleswig-Holstein oder Op de Wisch in Niedersachsen. Plattdeutsch ist an vielen Orten zu erleben. Warum nicht einmal nachfragen, was es sonst damit auf sich hat? Dazu soll dieser kleiner Sprachführer dienen, locker und witzig. Die neue Auflage zeigt: Plattdeutsch lebt und wirkt überhaupt nicht angestaubt. Viel Spaß also beim Lesen und vielleicht ja auch beim Snacken. Denn das macht genau so viel Spaß wie das Hören – egal ob im Radio, am Fischstand in Hamburg oder im Bremer Schnoorviertel.

Jürgen Hingst, Schwerin, im Mai 2010

Für Petra

Aap

„Slaap, Kindken, slaap, dien Vadder is ’n Aap, dien Mudder is ’n Meerkatt, un du büst ’n lüttje Waterrott.“ So und nicht anders klingt es, wenn Fischermann Pay Butenschön seine vier strammen Jungs Ommo, Obbe, Okke und Olli in den Schlaf singt. Eigentlich gefällt es ihm ja gar nicht, daß er in diesem Lied den Vater als Affen bezeichnen muß. Und so hat er es denn auch schon mal wie im Hochdeutschen mit dem Schaf, dem Schaap, versucht, aber einen großen Unterschied vermochte er darin auch nicht zu erkennen. Und schließlich paßt ein lammfrommes Verhalten auch gar nicht zu diesem unserem Mann von der Küste. Davon kann auch Gesine, Pays Angetraute, ein Lied singen: besonders wenn sie sich im Schlußverkauf einmal wieder topchic eingekleidet hat. Denn für so einen Apenkraam hat Pay nun gar keinen Sinn: „Du makst di doch to ’n Aap“, ist sein einziger Kommentar oder, wenn er gesprächig ist: „Du bist recht so ’n Aap, di fehlt bloots noch de Steert.“ Aber damit ist er bei Gesine, die schließlich auch ihren Namen Butenschön zur Geltung bringen möchte, an der falschen Adresse. „Hool du dien Muul, du Grasaap, du Maiaap, du Apenoors“ – und vieles mehr wirft sie ihm dann offen ins Gesicht.

Übrigens: Offen heißt im Plattdeutschen ebenfalls apen, so wie eben auch die Mehrzahl von Affe de Apen heißt. Diese Lautgleichheit macht sich auch unser Fischer Pay zunutze, wenn er seinen Spaß mit den ihn umlagernden Urlaubern haben will. Dann nämlich gibt er ihnen eine Einführung ins Plattdeutsche: „Übersetzen Sie bitte: Ich habe ein offenes Gesicht.“ Und was antwortet sein gelehriges Gegenüber? Genau: „Ik heff ’n Apen-Gesicht.“

„Wat de Menschen nich allens för Geld makt?“ sää de Buur, dor sehg he dat eerste Mol ’n Aap.

all

„Wat ’n Tostand: Nu is mien Geld all all all!“ Es reicht eben selten, das Haushaltsgeld. Und um einen Vorschuß braucht Sabine ihren Friedwart schon gar nicht zu fragen. Denn bei ihm herrscht alltiet, immer nämlich, Ebbe in der Kasse. Wie das kommt? – Dafür braucht man nur auf das solide Biertönnchen zu blicken, das Friedwart unter seinem Pullover nicht mehr zu verbergen vermag. Und er bekennt sich dazu: „All mien, un allens sülbst betahlt.“ Wählerisch in der Wahl seiner Getränke ist er dabei eigentlich nicht, fast alles findet den Weg durch seine Kehle: „Allens in de Welt, bloots keen Bottermelk to ’n Kaffe.“ Friedwarts Hobby zeigt allerdings nicht nur im wachsenden Körperumfang, sondern auch im abnehmenden Börseninhalt Wirkung. Doch eines steht fest: Friedwart ist zwar beleibt, aber beileibe kein Zechpreller, un dat is ok all wat weert.

Das kleine Wörtchen all hat es im Plattdeutschen durchaus in sich. Daß es – übrigens gesprochen mit einem langen a – für das hochdeutsche „alle“ stehen kann, ist leicht verständlich: All hebbt se keen Tiet. Und die hochdeutsche Umgangssprache kennt auch „alle“ als Bezeichnung für ‚zu Ende‘ oder ‚verbraucht‘: De Botter is all – es ist eben keine Butter mehr da. Für die dritte Hauptbedeutung gibt es im Hochdeutschen kein Wort, das gleich klingt. Am besten kann man diese Form mit dem kurzen a wohl mit „schon“ übersetzen. Sagte doch schon der berühmte Buxtehuder Swienegel zum Hasen: „Ik bün all dor.“ Hätte der Hase noch die Kraft zur Erwiderung gehabt, dann hätte er wohl geantwortet: „Un nu sünd wi all tohoop hier“ – alle zuhauf, zusammen also.

Übrigens Friedwart und Sabine gehen nie zusammen in die Wirtschaft, denn er ist der Meinung: „Den Kööm, den kann ik all alleen all maken.“ Sabine zetert zwar allemal: „All dat schöne Geld!“, doch seien Sie versichert, auch sie verfügt über stille Reserven: „Mannslüüd dörft woll allens eten – awer nich allens weten.“

„Allens mit Maten“, sää de Snieder un sloog sien Fru mit de Ell.

Arf

„Madam, wat eet wi?“ „Ürbsen.“ „Madam, wat eet wi hüüt?“ – „Ürbsen.“„Madam, wat eet wi hüüt?“ „Erbsen.“„Madam, wat eet wi hüüt?“ – „Arfen, du verdreihte Deern!“ Dieses Mißverständnis um das Mittagsmahl ist eigentlich ganz einfach zu erklären: Hat doch Herr Direktor Linsemann seiner Gemahlin eingedenk ihrer sozialen Verpflichtungen bedeutet: „Treck doch dat Muul nich jümmer so breet bi ’t Snacken, saach Ürbsen nich Arfen.“ Unsere Minna löst dieses Problem dagegen ein wenig plietscher: „Wenn man von ’t Arfen-Seggen ’n breet Muul kriggt, denn seggt man beter bloots Plumm.“ Plumm. Plumm . . . Übrigens meint Minna ja sowieso, daß das ganze gezierte Getue nicht hilft. Für sie bleibt Frau Direktor eine Vogelscheuche, oder, in ihren Worten ausgedrückt: „De süht ut, de kannst an ’n besten in de Arfen stellen.“ Nun ja, das Verhältnis zwischen den beiden ist ohnehin seit kurzem getrübt. Denn Minna erwartet Nachwuchs, und Frau Linsemann mußte sich schon mehrfach von befreundeten Nachbarn fragen lassen: „Na, Ehr Minna hett woll ok to veel dicke Arfen eten?“

Apropos dicker Bauch: Im Plattdeutschen greifen nicht wenige Redewendungen den Zusammenhang zwischen Erbsen und Verdauung in drastischer Weise auf. So sagt man etwa: Arfen sünd düchtige Dinger: Itt man een, schitt man twee, itt man ’n Lepel vull, schitt man ’n Schepel vull, itt man ’n Handvull, schitt man ’n Land vull. Aber, keine Angst, man riecht es nicht. Denn wie stellt Minna so richtig fest: „Dat verdeelt sik, sää de Kööksch, dor scheet se in de Arfen.“ Doch: Der besagten Wirkung dieser berüchtigten Hülsenfrüchte läßt sich auch eine positive Seite abgewinnen – denn: Arfen sünd düchtige Dinger, geeft se ok keen Kraft in de Knaken, hoolt se doch de Achterpoort apen.

„Eenfach, awer nüüdlich“, sää de Düwel un maal sik de Steert arfengröön.

Avkaat

„Anners kunn he nich mol ’n Woort ruutkriegen, nun kann he as ’n Avkaat snacken“, urteilt altklug der kleine Kai über seinen Nachbarn Bockelbein, der sich gerade bei Kais Vater über den angeblichen Apfeldiebstahl des Sohnes beschwert hat, den dieser natürlich lauthals leugnet. Der Nachbar aber meint es ernst: Er redet auch nicht wie ein Avkaat, sondern von einem solchen. Er will nämlich ab sofort mit einem Anwalt, eben einem Avkaten, gegen die dreisten Übergriffe des jungen Obstliebhabers vorgehen. „Dat wööt wi woll kriegen, sää de Avkaat, he meen awer dat Geld“, versucht Kais Vater Karlfried seinen Nachbarn Bockelbein von der Überzogenheit eines derartigen Vorgehens zu überzeugen. Und das ist nicht sein letztes Argument, denn er weiß, dat Wagenrööd un Avkaten smeert warrn mööt. Und um deutlich zu machen, daß es sich dabei um zweierlei Schmiere handelt, fügt er noch an: „Dat Geföhl nah hett de Mann recht, meen de Avkaat, as em eener ’n Goldstück in de Hand schoof.“ Sie merken: Der Advokatenberuf genießt im Plattdeutschen kein sonderlich hohes Ansehen. Erstens geht man – wie bereits erwähnt – davon aus, daß ein Vertreter dieses Standes in erster Linie Geld schinden will. Zum anderen hält man ihm vor, es mit der Wahrheit nicht gerade genau zu nehmen. Kein Wunder, daß auch Karlfried hier eine berufliche Perspektive für seinen durchtriebenen Sprößling erkannt zu haben glaubt. Denn, siet he in de School is, snackt he keen wohr Woort mehr. Und wenn er diese Verhaltensweise aus pädagogischen Gründen auch deutlich mißbilligen muß, so sieht er doch andererseits darin eine wichtige Voraussetzung für einen künftig erfolgreich arbeitenden Anwalt. Denn wie sagt der doch zu seinem Klienten? – „Segg mi man de reine Wohrheit, dat Legen will ik woll doon!“

„Gleich und gleich gesellt sich gern“, sää de Düwel, dor güng he mit ’n Avkaat spazeren.

baben

„So geiht dat nich los, Mank mien Deerns warrd nich aast, dat geiht von baben daal!“ Pastor Dirksen ist erbost, weil als erste Freia, die dritte und letzte seiner schönen Töchter, mit einer Ehewerbung bedacht wurde. Und murmelnd fügt er hinzu: „De Gast, de is baben woll nich ganz richtig“, womit er zum Ausdruck bringen möchte, daß er am Geisteszustand des Freiers ernsthaft Zweifel hegt. Bei ihm geht es nun einmal traditionell zu: Die Töchter werden von oben herab, von baben daal, verheiratet. Dies ist natürlich nur Menschengesetz. He dor baben, der liebe Gott also, zürnt nicht bei solchen Abweichungen, ihm ist es einerlei. Wenn er allerdings einmal seinen Unmut hören und es donnern läßt, dann sagt man auch: De Ool dor baben kegelt.

Im Plattdeutschen gibt es verschiedene Bilder mit baben als Bezeichnung für den Himmel in Wendungen, die sich mit dem Wetter beschäftigen. Wenn es schneit, kann man etwa sagen: Baben stoppt se Betten, oder: Nu makt se baben wedder ruge Arbeit. Baben kann eine Reihe von Bedeutungen haben: ,oben‘, ,oberhalb‘, ,über‘, ,bis oben hin‘ und andere mehr. Ebenso wichtig sind aber auch die Zusammensetzungen: Wat dat babento gifft, ist gratis, wat babenan steiht, ist das Beste, wat babenvull is, das ist gestrichen voll.

Übrigens bis zum Rand gefüllt, babenvull, werden auch die Gläser und Teller sein, wenn Pastor Dirksen seiner Tochter doch noch die Hochzeit ausrichtet, denn für ihn steht fest: Wenn, denn geiht dat man so von baben daal – immer aus dem vollen. Übelwollende Nachbarn nehmen aber nicht nur diesen Spruch zum Anlaß, von ihrem Seelsorger zu behaupten: „He is jümmers so von baben daal“ – er ist hochmütig. Und ein kräftiges Maß an Schadenfreude klingt an, wenn sie respektlos befinden: „Dat kummt von baben“, sää de Paster, dor weih em ’n Dackpann op den Kopp.

„Das tu ich für Euch alle!“, sää de Paster, un soop den Branntwien alleen ut.

bang

„Du makst jo ’n Gesicht, dor kann een Rotten un Müüs mit bang maken.“ Ein Gesicht, mit dem man Ratten und Mäuse in Angst versetzen könne, bescheinigt Ehefrau Irmgard ihrem Lebensgefährten Ernst – was ihn jedoch in keiner Weise aufzuheitern vermag, quält ihn doch schon seit der vergangenen Nacht sein kariöser Backenzahn. „Bang maken gellt nich“, stellt Ernst selbstbewußt fest und macht sich mutig auf den Weg zum Zahnarzt. Im Wartezimmer jenes Kusenklempners, wie Ernst seinen Peiniger in besseren Tagen zu nennen pflegt, beginnen allerdings zwei Kräfte in seiner Brust zu streiten: Der Schrecken, der durch die eindringlichen Bohrgeräusche hervorgerufen wird, fängt an, den Schmerz zu überdecken. Doch Ernst bleibt hart, und für den Zweifelsfall tröstet er sich: „Bang bün ik nich, awer lopen kann ik fix.“

Das Wort bang für ‚ängstlich‘, ‚furchtsam‘ wird Ihnen vermutlich auch im Hochdeutschen geläufig sein. Dafür verantwortlich ist, nebenbei bemerkt, kein Geringerer als der Reformator Martin Luther, dem dieser niederdeutsche Ausdruck offenbar besonders gut gefiel. BangBangbüx,