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Leta Blake & Alice Griffiths

 

Überraschend … verheiratet!

 

Band 1-3

Aus dem Amerikanischen von T.A. Wegberg

 

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2016

http://www.deadsoft.de

 

© the authors

Titel der Originalausgabe

„Will & Patrick:

Wake Up Married“

Band 1-3

 

Übersetzung: T.A. Wegberg

 

Cover: Irene Repp

http://daylinart.webnode.com/

Bildrechte:

© wavebreakmedia – shutterstock.com

© Antonio Guillem – shutterstock.com

 

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-039-3

ISBIN 978-3-96089-040-9 (epub)

 

Inhalt:

 

Völlig verkatert wacht Will Patterson in einem Hotelzimmer in Las Vegas auf. Auf ihm liegt ein fremder Mann. Dr. Patrick McCloud, Neurochirurg, höllisch sexy, ein arrogantes Arschloch, der nichts auf soziale Konventionen gibt und – bis auf Weiteres – mit Will verheiratet.

Eine irrwitzige Reise beginnt, in der die beiden versuchen, sich zusammenzuraufen, um ihre völlig absurde Ehe annullieren zu lassen. Doch es gibt mehr als ein Problem und dass Will und Patrick sich körperlich zueinander hingezogen fühlen, können sie auch nicht leugnen.

Band 1-3 der amerikanischen Erfolgsreihe „Will & Patrick: Wake Up Married“

 

 

Widmung

 

Diese tropuslastige Serie ist den Girls Who Cried Havoc und ihren wunderbaren Gleichgesinnten gewidmet, um uns erkenntlich zu zeigen für den Laufstall dieser Community, in dem wir uns voller Vergnügen die Hörner abgestoßen und unsere Kreativität geschult haben.

 

Teil I: Über Nacht verheiratet

 

Kapitel 1

 

Will blinzelt gegen das helle Licht an, das durch die geöffneten Vorhänge hereinströmt. Sein Herz hämmert, und er hat den Geschmack von Alkohol und Sperma im Mund. Es fällt ihm schwer zu atmen. Die Panik ist jedes Mal dieselbe, wenn Ryan Schluss macht, aber diesmal fühlt sie sich anders an. Endgültiger. Und Will kann immer noch nicht atmen. Das kann nicht wahr sein. Das kann nicht wahr sein. Dieses Mantra läuft in einer Endlosschleife durch sein Gehirn.

„Wenn es nicht wahr sein kann, dann ist es das auch nicht. Also, könntest du bitte die Klappe halten?“, murmelt das Gewicht auf Wills Brust.

Will schaut herunter. Dort liegt ein Mann, der auf Wills Brustmuskulatur sabbert, vielleicht fünfunddreißig, mit kurzem kastanienbraunem Haar, das sich lockt. Ein Mann mit langen, sehnigen Muskeln und durchtrainierten Schultern und Hüften.

Ein Mann, den er definitiv nicht kennt.

Und er ist nackt. Sie sind beide nackt. Gemeinsam.

Will schießt hoch, wobei er ihn wegschiebt. „Was zum Teufel …“

Der Typ stöhnt und rollt auf den Rücken. Er legt die Hand schützend über seine Augen.

In Panik blickt Will sich um. Weiße Laken, Vorhänge, ein Hotelzimmer. Er erinnert sich an Las Vegas, einen Medizinerkongress, den er besucht hat, um Ärzte für das nagelneu renovierte Krankenhaus von Healing anzuwerben, an das Geräusch von Münzen, die aus einem Spielautomaten rasseln, an einen Anruf von Ryan und an eine Hotelbar mit einer Menge sehr verlockendem Alkohol.

Das kann nicht wahr sein.

Der Mann stützt sich auf die Ellbogen, lässt seinen Blick anerkennend über Wills Nacktheit wandern und grinst.

„Wer sind Sie? Wie sind Sie hier reingekommen?“ Will zieht sich die Bettdecke hoch bis zum Hals.

Der Mann verdreht die Augen, und als er spricht, klingt seine Stimme wie ein tiefes Schnurren, das Will einen Schauer über den Rücken jagt. „Das ist mein Hotelzimmer. Ich glaube, du solltest dich lieber fragen, wie du hier reingekommen bist.“

„Ich … ich kann … ich kann mich nicht erinnern“, sagt Will und schluckt schwer. Er rückt so weit wie möglich von dem Mann ab. Sein Arsch schmerzt, was ihn nach Luft schnappen lässt.

Er starrt den Fremden neben sich an. Der Fremde starrt zurück, ohne Scham oder erkennbare Besorgnis darüber, sich in einer postkoitalen Situation mit Will zu befinden. Nein, das kann er nicht gemacht haben. Würde er niemals machen.

„Haben Sie … haben Sie mir was in den Drink getan?“, fragt Will.

„Fragst du mich gerade, ob ich dich vergewaltigt habe?“ Der Mann sieht ebenso verletzt aus, wie Will sich fühlt. „Äh, nein. Ich muss andere nicht medikamentös außer Gefecht setzen, um zu vögeln. Ich kann dir versichern, Mr. Wer-immer-du-bist, dass dies hier absolut einvernehmlich war.“ Er runzelt die Stirn und fügt hinzu: „Betrunken einvernehmlich. Auf beiden Seiten. Wir waren beide ziemlich breit.“

Will ist nicht sicher, ob er ihm das glaubt, aber er ist zu benommen, um ordentlich darüber nachzudenken. Er muss seinen Blutzucker überprüfen, und er muss sofort eine Zurück-Taste drücken. Mein Gott, haben sie überhaupt Kondome benutzt? In Anbetracht dessen, wie sein Körper heute Morgen schmerzt, hatte er offenbar eine Menge Sex mit diesem Typen, und er weiß nicht mal, ob sie dabei auf Nummer sicher gegangen sind. Panik und Übelkeit schwellen in ihm an, bis er glaubt, erbrechen zu müssen.

„Könnten Sie mal nachsehen, ob da Wasser drin ist?“, bittet Will mit einem Nicken in Richtung der Minibar. „Und könnten Sie mir meine Klamotten holen?“

Der Typ faucht: „Ich glaube, ich habe dich gestern bereits genug bedient. Hol sie dir doch selbst.“

Eine Erinnerung blitzt in Wills Gedächtnis auf, wie er gefickt wird, während er sich ins Laken krallt. Sein Hals und seine Wangen werden heiß, und er reibt sich mit der Hand über das Gesicht im Bemühen, das alles wegzuwischen.

„Ich bin praktisch nackt hier drunter, und meine Unterhose liegt am anderen Ende des Zimmers. Ihre ist gleich hier vorne.“ Will zeigt darauf, und die Bewegung versetzt das Zimmer in eine Drehbewegung. Er wird definitiv krank.

Der Typ starrt ihn mit wirklich intensiv blauen Augen an. Will hört den unausgesprochenen Gedanken laut und deutlich: Bisschen spät für Schamhaftigkeit, oder?

Doch schließlich zuckt der Mann die Achseln, wirft die Bettdecke beiseite und geht nackt zum Kühlschrank. Will errötet und schaut weg, riskiert jedoch wieder einen Blick, als der Mann sich vorbeugt. Sein kleiner Hintern ist perfekt geformt, und seine Eier hängen tief zwischen seinen Schenkeln. Blau-schwarze Pünktchen kreisen vor Wills Augen.

Der Typ wirft Will eine Flasche Wasser zu, ehe er sich selbst eine öffnet und einen langen Schluck nimmt. Und dann steht er einfach da. Vollständig nackt.

Will öffnet seine Flasche und lässt das kalte Wasser seine ausgetrocknete Kehle hinabrinnen. Er meidet seinen Blick und konzentriert sich auf die sehr weiße Bettwäsche, doch immer wieder schweifen seine Augen zu dem Brustkorb des Typen, seinem Bauch und dem Büschel hell kastanienfarbenen Schamhaars um seinen …

O Gott, das kann nicht wahr sein.

Noch mehr Pünktchen verschleiern ihm den Blick.

„Nicht, dass es mich wirklich interessiert, aber ich versuche mich gerade zu erinnern, was zum Teufel gestern Abend passiert ist. Also, wie heißt du?“, fragt der Typ.

Will starrt ihn stumpf an. Er kann die Vorstellung nicht abschütteln, dass dies hier nicht passiert ist – dass er nicht nackt im Bett liegt und dieser Mann ihn anstarrt. Aber so ist es. Er ist nach wie vor hier. Es hört einfach nicht auf. Er will zu Hause in seiner Wohnung bei Ryan sein.

Und o Gott, Ryan wird ihm das hier niemals verzeihen. Nicht mal wenn Will ihn davon überzeugen kann, dass es ein Fehler war, mit ihm Schluss zu machen. Nein, wenn das hier wahr ist und er tatsächlich mit diesem Fremden geschlafen hat, dann wird Ryan ihn jetzt niemals mehr zurückhaben wollen.

„Jetzt mal im Ernst. Hast du einen Namen?“, fragt der Typ mit so viel Ungeduld, dass Will ihm einen verärgerten Blick zuwirft, doch dann schaut er schnell wieder weg, denn er steht immer noch nackt und ohne jedes Schamgefühl dort.

Will konzentriert sich auf die Wasserflasche und nimmt noch einen Schluck. „Will Patterson.“ Er zögert, aber er sollte es wahrscheinlich auch wissen. Wenn es schon schlimm ist, aufzuwachen, ohne den Namen des Typen zu kennen, dann muss es noch schlimmer sein, ihn jetzt nicht danach zu fragen. Das Blut rauscht ihm in den Ohren, als er fragt: „Und Sie?“

„Dr. Patrick McCloud.“

Ein Arzt. Er hatte Sex mit einem Arzt von der Tagung. Was zum Teufel ist mit ihm nicht in Ordnung? „O mein Gott …“ Will reibt sich übers Gesicht.

„Hey, das kommt mir bekannt vor.“ Patrick setzt sich auf die Bettkante, ein Bein unter den Körper gezogen. „Ich erinnere mich, dass du das letzte Nacht auch gewimmert hast.“

„Könnten Sie sich vielleicht eine Hose anziehen?“, fleht Will. „Bitte.“

Patrick grinst und verlagert sein Gewicht, so dass seine Schamgegend nun noch besser in Wills Blickfeld liegt. „So langsam kommt die Erinnerung zurück. Wir hatten Sex. Jede Menge Sex.“

Will atmet tief durch. „Das war ein Irrtum. Das alles. Ich mache so was nicht!“

„Ich weiß.“ Patrick wird ernst. „Ich erinnere mich, dass du sagtest, dein Ex wäre praktisch dein Erster gewesen. Dein Einziger.“

„Ryan“, flüstert Will und schüttelt den Kopf. „Das wird er mir nie verzeihen.“ Er beißt sich auf die Lippe, um nicht in Tränen auszubrechen.

Patrick spricht seinen Namen aus wie ein unanständiges Wort. „Ryan ist ein Arschloch.“

Wills Kopf ruckt hoch. Dieser Mann, dieser Dr. McCloud, hat ihn verführt und sein Leben zerstört, und jetzt spricht er auch noch schlecht über Ryan? „Sie kennen ihn doch gar nicht.“

„Er hat dich fallenlassen. Am Telefon. Ich sag es dir nur ungern, aber ich glaube, er ist nicht gerade scharf auf dich.“

Will zappelt unbehaglich herum, die Welt gerät wieder ins Schlingern, und sein Magen macht einen Hüpfer. Er zwingt sich zum Stillhalten, bis es vorübergeht, und lässt die Augen abgewandt. „Er braucht ein bisschen Freiraum – so ist Ryan nun mal. Sie kennen ihn eben nicht.“ Er hält seinen schmerzenden Kopf fest. „Sie wissen überhaupt nichts über Ryan und mich.“

„Oh, und ob. Wenn du betrunken bist, wirst du redselig. Du hast gestern Abend all die schmutzigen Details verraten.“

Will zuckt zurück.

„O ja.“ Patrick wendet sich ab und kratzt sich am Oberschenkel. Will starrt Patricks lange Finger an und erinnert sich plötzlich, wie der sie ihm in den Hintern geschoben hat. Mein Gott, es hat sich unglaublich angefühlt.

Patricks Lippen biegen sich aufwärts, als könne er Wills Gedanken lesen. Mit der linken Hand kratzt er sich träge an der Brust und schabt dabei etwas weg, das getrocknetes Sperma zu sein scheint. Will erkennt voller Beschämung, dass es vermutlich sein eigenes ist, oder vielleicht eine Mischung aus ihrer beider, und dann bleibt sein Blick an dem goldenen, glänzenden Ring am linken Ringfinger des Typen hängen. „O mein Gott. Sie sind verheiratet!“ Brechreiz steigt in seiner Kehle auf, und er drängt ihn mit einem Schluck Wasser zurück.

Patrick fährt zusammen und starrt seine Hand an.

Erneut reibt Will sich das Gesicht. „Das kann nicht wahr sein. So was würde ich nie tun. Ich würde niemals mit einem verheirateten Mann schlafen. Das ist ein Scherz. Nein, sagen Sie nichts, lassen Sie mich raten: Sie sind mit einer Frau verheiratet. Weiß sie überhaupt, dass Sie schwul sind? Oder sind Sie total ungeoutet?“

„Ich bin mit keiner Frau verheiratet“, sagt Patrick, und seine Stimme ist so ernst und tief, dass Will verstummt. „Und du bist entweder mehr als nur ein bisschen scheinheilig, oder …“

Da bemerkt Will das ungewohnte Gewicht an seinem Finger. Er hebt seine Hand, und das Zimmer neigt sich seitwärts.

„O mein Gott.“ Mit jählings auf ihn hereinbrechendem Entsetzen fällt Will alles wieder ein. Nein, nein, das kann nicht wahr sein. „Wir haben geheiratet.“

Patrick drückt sich die Handballen gegen die Augen und schüttelt heftig den Kopf. „Um Himmels willen … oh, du musst … Nur fürs Protokoll, das kann nicht wahr sein.“

Nun ist auch Patrick in Panik geraten, und Will ist bereit, sie mit ihm zu teilen, aber sein Blick verschwimmt, und sein Mund fühlt sich taub an. Er stöhnt. Ein Rauschen erklingt in seinen Ohren, und dann ist da nur noch Dunkelheit.

 

***

 

Für einen Tag, der eigentlich ganz prima angefangen hat, wenn man bedenkt, dass er mit dem Gesicht auf der haarigen Brust eines scharfen Typen erwacht ist, geht alles ganz schön schnell den Bach runter. Rasend schnell.

Erst flippt der besagte scharfe Typ aus und bezichtigt ihn der Vergewaltigung. Patrick kann sich deutlich daran erinnern, wie Will ihn letzte Nacht darum angebettelt hat, und, na schön, betrunkenes Einverständnis ist praktisch kein Einverständnis, aber sie waren beide hackedicht, also wenn überhaupt, haben sie sich gegenseitig vergewaltigt. Immer und immer wieder. Und die ganze Zeit Spaß dabei gehabt.

Dann erweist der Bursche sich im nüchternen Zustand als total prüde. Eine Zimperliese, die wegen eines noch prüderen Exfreundes ausrastet, der sich anhört wie ein völliges Arschloch. Und mit Arschlöchern kennt Patrick sich aus, er ist schließlich selbst eins.

Und dann findet Patrick auch noch heraus, dass er diesen Idioten geheiratet hat. Warum? Wieso hätte er so was tun sollen? Er hat keine Ahnung. Er kann sich nicht mal daran erinnern. Bestimmt gibt es eine gute Erklärung, zum Beispiel weil jemand ihm eine Knarre an die Schläfe gehalten hat. Wenn hier irgendwer unter Drogen gesetzt wurde, dann doch wohl eindeutig er. Er ist ein kategorischer Gegner der Ehe in all ihren Formen und Gestalten.

Er hat nicht mal einen unterschriebenen Ehevertrag. Dieser hübsche Trottel könnte ihn ausnehmen wie eine Weihnachtsgans. Und er ist Neurochirurg, also gäbe es eine Menge zu holen. Wenigstens haben sie Kondome benutzt. Er kann sich daran erinnern, sie übergezogen zu haben, und ein rascher Blick in den Papierkorb zeigt, jawohl, dass sechs Stück darin liegen. Himmel, kein Wunder, dass ihm die Eier wehtun.

Eine plötzliche Erinnerung lässt seinen Atem stocken.

Will ist über das Bett gebeugt, fasst nach Patricks stoßendem Schwanz und sagt: „Alle sagen immer, Sex in der Ehe wäre langweilig, aber das … das ist doch fantastisch!“

Darauf fickt Patrick Will noch härter, grunzend vor Lust an seinem engen Arsch und dem Aufeinanderklatschen verschwitzter Haut. „Ja, wer hätte das gedacht?“ Und er kommt und beugt sich hiunter, um Will in die Schulter zu beißen, während er abspritzt.

Und jetzt, als Krönung der ganzen Sauerei, ist sein frisch Angetrauter plötzlich grau im Gesicht geworden und umgekippt.

Das Notfallarmband, das Patrick an Wills rechtem Handgelenk findet, besagt, dass er ein Typ-1-Diabetiker ist und dass das Komasaufen seiner errötenden Braut letzte Nacht eine ziemlich dämliche Idee war. Ein kalter Schauer läuft Patrick über die Haut. Er war auch zu besoffen, um das Armband zu bemerken. Sicher, es ist ein teures, schickes, das außer im Notfall unaufdringlich sein soll, aber er ist doch verdammt noch mal Arzt. Er hätte es bemerken müssen.

„Hey“, ruft Patrick und tätschelt Wills Wange. „Hey. Aufwachen.“

Will öffnet warme braune Augen und sieht genauso geschockt aus wie beim ersten Mal. Er macht Anstalten, sich zu bewegen, und Patrick ermuntert ihn. „Setz dich hin.“

Will gehorcht. „War ich bewusstlos?“

„Nur ein paar Sekunden. Wo ist dein Glukagon-Set?“ Patrick sieht sich im Zimmer um auf der Suche nach irgendetwas, das einem Glukosetest ähnelt. „Du musst deinen Blutzucker messen. Ist das Messgerät bei dir im Zimmer? Ich habe keine Insulinpumpe an dir gesehen, also nehme ich an, dass du dir Spritzen setzt.“

„Ja.“

„Okay. Nimmst du dein Langzeitinsulin morgens oder abends?“

„Äh, abends.“

„Hast du es gestern Abend genommen?“

„Ich glaube? Ich weiß nicht.“

Patrick entdeckt ein kleines Etui auf dem Boden neben den ihm unbekannten Jeans, dem zusammengeknüllten Hemd und den Boxershorts. „Ist das dein Handtäschchen?“

„Was?“

„Dieses Etui. Das ist deins. Ist da dein Messgerät drin? Teststreifen?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, geht er hinüber und öffnet es. „Bingo.“ Er wirft das Etui aufs Bett. „Teste dich.“

„Lass mich in Ruhe. Ich bin bloß müde. Ich muss schlafen. Mir geht’s gut.“

„Ist das nicht großartig? Das Letzte, was ich brauche, ist ein wildfremder Kerl, mit dem ich verheiratet bin, der in meinem Hotelzimmer wegen Unterzuckerung ins Koma fällt.“

Will antwortet nicht, doch er holt das Messgerät heraus und testet sich. „Zu niedrig. Fünfunddreißig.“ Er sieht aus, als würde er gleich wieder ohnmächtig.

„Du brauchst Glukose. Hier, trink das.“ Patrick holt eine Flasche Saft aus der Minibar und sieht zu, wie Will sie zur Hälfte leert.

Im Zweifelsfall zu jemandes Gunsten zu entscheiden ist nichts, was Patrick oft oder gerne tut, aber vielleicht weiß Will ja wirklich nicht, dass Komasaufen für ihn tabu ist. Schließlich kommen auf einen kompetenten Arzt jede Menge Idioten; durchaus möglich, dass Will das Pech hat, bei einem Vollpfosten in Behandlung zu sein.

„Wenn du damit fertig bist, musst du noch mal testen. Um zu sehen, ob du noch mehr Glukose brauchst oder ob es Zeit ist, dich mit Fetten und Eiweiß zu stabilisieren.“ Patrick geht zum Kühlschrank, holt eine zweite Flasche Orangensaft heraus und wirft sie Will zu. Dann greift er sich ein schick verpacktes Stück Käse aus dem Kühlschrank und nimmt die Schachtel mit den Vollkornkeksen aus dem Snackkörbchen.

„Danke“, murmelt Will. „Ich habe mein Langzeitinsulin gestern Abend vermutlich nicht genommen. Ich war wohl betrunken und … abgelenkt.“ Er errötet und guckt weg.

Patrick nickt in Richtung des Notfallarmbands an Wills Handgelenk. „So zu saufen wie gestern Abend ist gefährlich.“

Will nimmt einen großen Schluck Orangensaft. „Erzähl mir mal was Neues.“

Im Zweifelsfall zu seinen Gunsten ist also unnötig. Wie immer.

Mit einem Messer schneidet Patrick kleine Scheiben zurecht und macht rasch ein paar Crackersandwiches. Er sieht zu, wie Will sich erneut testet, und ist erleichtert, dass der Wert sich deutlich verbessert hat.

„Es gibt eine Menge Gründe, warum ich nicht trinken sollte.“

Will bekommt allmählich eine gesündere Gesichtsfarbe, und er ist wacher. Patrick reicht ihm die Crackersandwiches. „Aufessen. Alles.“

Will bleibt still, offensichtlich panisch, als er das letzte Stück Keks und Käse kaut und herunterschluckt. Patrick sitzt neben ihm auf dem Bett, nimmt Wills linke Hand und testet ihn ein drittes Mal, nur um sicherzugehen. „Acht-drei“, murmelt Patrick. „Gut. Krise abgewendet.“

Will lutscht an seinem zerstochenen Finger und meidet den Blickkontakt, während Patrick die offensichtlichen Belege für Wills Trainigsprogramm betrachtet – fester Bauch und starke Schultern, die Silhouette V-förmig in Richtung der schmalen Hüften verlaufend. Seine kurzen Haare leuchten golden im vom Fenster hereinfallenden Licht, und sein wohlgeformter Brustkorb ist großzügig von blondem Haar bedeckt. Will erscheint ihm hübsch, obwohl er größer ist als Patrick. Er kann nicht älter sein als sechsundzwanzig, ein Naturbursche und, wenn die Erinnerung des gestrigen Abends etwas taugt, normalerweise mit gesundem Teint. Im Moment hat er keinen gesunden Teint.

Patrick kommt zur Sache. „Nur zur Info, ich hab keine Geschlechtskrankheiten. Und es wurden Kondome benutzt. Ich weiß, was du mir gestern Abend darüber gesagt hast, dass dein Ex dein einziger war. Aber du hast mir auch von dem dubiosen Treffen mit seinem neuen Freund erzählt.“

„Er hat nichts mit Hartley.“

„Gestern Abend dachtest du was anderes.“

„Halt die Klappe.“

„Ich will bloß sagen, falls er seinen Docht noch in irgendeinen anderen Wachstopf gesteckt hat, könntest du dir vielleicht irgendwas eingefangen haben, von dem du noch nichts weißt.“

Will reißt die Augen auf. „Nein. Das ist unmöglich.“

Patrick hebt eine Augenbraue an. „Ach so, klar, weil dein Ex kein besonders guter Liebhaber war, stimmt’s? Es ist doch, was hast du noch mal gesagt? Sechs Monate her seit dem letzten Mal?“

Will schüttelt den Kopf, sagt jedoch nichts, während er errötet.

Ein Verlust ist das nur für diesen Idioten Ryan, echt. Will ist gut im Bett. „Egal, wir sollten beide ein Auge darauf werfen, ob es da unten irgendwelche Schwierigkeiten gibt, zum Beispiel Schmerzen oder Blut im Urin oder …“

„Lass mich raten, du bist Urologe?“

„Nein, ich bin Neurochirurg.“

Will schnaubt und verdreht die Augen. „Ja, klar.“

Patrick ist sich nicht sicher, warum er gekränkt ist. Vielleicht, weil er jetzt, wo sie sich beide an all die Methoden erinnern, mit denen Patrick Will zum Orgasmus gebracht hat, ein bisschen Respekt erwartet?

„Was? Seh ich deiner Meinung nach nicht wie ein Neurochirurg aus?“

„Du siehst aus … du siehst aus …“ Will mustert ihn. „Als wenn du immer noch keine Hose anhättest.“ Erneut bedeckt er sein Gesicht, als wäre er nicht die Anschlussbuchse für den Schwanz gewesen, den anzusehen er jetzt so fürchtet. „Bitte. Gib mir meine Klamotten. Ich muss hier raus.“

„Du musst erst mal alles aufessen, ehe du irgendwas anderes machst. Ich bin Arzt.“

„Und das heißt, ich muss tun, was du sagst?“, gibt Will zurück.

Patrick erbarmt sich seiner und zieht seine Boxershorts und die Jeans an, ehe er Will seine Klamotten zuwirft.

„Da. Da Nacktheit dir ja so unangenehm ist, muntert dich das vielleicht ein bisschen auf, und wir können über den ersten Schritt nachdenken, wie wir uns aus diesem Scheiß rausmanövrieren.“

Will leert den O-Saft, ehe er unter der Bettdecke herumzappelt, um sich Unterwäsche und Hose in prüder Privatheit anzuziehen. „Bestimmt ist dir mein Armband gestern schon aufgefallen. Warum hast du dir da anscheinend keine Sorgen um meinen Alkoholkonsum gemacht?“

Will kniet auf dem Bett. Patrick stößt in ihn hinein, während er immer wieder über seinen Rücken reibt. Ein seltsamer, besitzergreifender Gedanke erfüllt ihn: Er gehört jetzt mir, und ich muss gut auf ihn achtgeben.

Patrick schüttelt die Erinnerung mit einem Schulterzucken ab und antwortet: „Du trägst eins von diesen gefährlichen modisch-schicken Armbändern statt des traditionellen Notfallarmbands. Wenn du nicht so eitel wärst und versuchen würdest, deine Krankheit zu verstecken, hätte ich es sofort gemerkt, und das alles“, er gestikuliert zwischen ihnen beiden hin und her, „wäre nicht passiert. Und was gestern Abend angeht, da war ich zu betrunken und konnte nicht klar denken.“ Patrick hebt die Hand und wackelt mit dem Ringfinger. „Offensichtlich.“

Während Will sich aufregt, konzentriert Patrick sich darauf, wie sie aus ihrer Zwangslage herauskommen können. Hoffentlich schaffen sie das bald. Wenn man in Vegas in weniger als fünfzehn Minuten heiraten kann, sollte eine Scheidung doch nicht viel länger dauern, oder?

„Hör mal“, sagt Patrick. „Jetzt mach dich deswegen nicht fertig. Du bist ein anständiger Kerl – das weiß sogar ich nach einer Nacht. Wir lassen uns scheiden, du gehst zurück nach wo zum Teufel du herkommst. Ich gehe zurück nach Atlanta, und wir müssen uns nie wiedersehen.“

Wills Augen weiten sich beim Wort „Scheidung“. „Was? Nein. Oh, nein. Nein, nein.“ Er hyperventiliert schon wieder. „Ich hab alles vermasselt. O mein Gott, es ist vorbei. Es ist alles vorbei.“

Patrick ist auch nicht erfreut, verheiratet zu sein, und er wird sich darüber aufregen, sobald Will ihm mal die Gelegenheit dazu gibt, aber er glaubt wirklich nicht, dass das, was zwischen ihnen vorgefallen ist, das Schlimmste auf der Welt ist. Na klar, er wird nie wieder Alkohol trinken, denn das hier liegt so weit außerhalb seiner Komfortzone, dass es ihn schockiert, nicht in Flammen zu stehen. Aber es ist ja niemand gestorben.

Und auch wenn es absolut nicht seine Stärke ist, in allem das Positive zu sehen, war der Sex doch großartig, und bisher war er Will gegenüber gar kein so mieses Schwein, und diesen Idioten von Ryan los zu sein ist doch ein Segen. Also könnte Will seine Verzweiflung ruhig mal einen Gang runterfahren, wenn es nach ihm geht. Wenigstens so lange, bis er an der Reihe ist, mit den albernen Witzchen loszulegen.

„Komm schon, Kopf hoch.“ Patrick findet es furchtbar, dass er hier den Aufmunterer geben muss. „Reiß dich zusammen.“

„Du verstehst das nicht“, sagt Will mit aufgerissenen Augen. „Wir können uns nicht scheiden lassen.“

„Und ob wir das können.“ Patricks Stimme geht ein paar Oktaven nach oben. „Was bist du denn? Katholisch? Die halten sowieso nicht viel von diesen ganzen Homohochzeiten. Ich bin mir sicher, dass sie einer Homoscheidung ihre volle Unterstützung anbieten würden.“

Will steht auf und fängt an, auf und ab zu laufen. Er hat O-Beine vom Ficken, und jeder seiner Schritte wird von einem Humpeln begleitet. Patrick stellt das mit Stolz fest. Es hat natürlich immer etwas unglaublich Befriedigendes, eine Aufgabe gut erledigt zu haben. Nur dass er diese spezielle gut erledigte Aufgabe geheiratet hat, was die Freude daran ziemlich trübt.

„Nein, es ist …“ Will schüttelt den Kopf. „Es ist wegen der Guten Taten. Ich verliere die Guten Taten!“

„Wovon zum Teufel redest du?“

„Von der wohltätigen Stiftung Gute Taten.“ Wills Hand beschreibt einen Bogen. „Ich leite eine karitative Stiftungseinrichtung. Ich habe sie mit dem Geld ins Leben gerufen, das ich von der Familie meines Vaters geerbt habe.“

„O-kay. Na und?“

„Mein Vater ist Tony Molinaro.“

Patrick starrt ihn an. „Der Tony Molinaro? Der Mafiaboss?“

Will nickt.

„Moment mal. Du hast gesagt, du heißt Patterson.“

„Tu ich ja auch. Das ist der Mädchenname meiner Mutter. Ich habe eigentlich nichts mit der Familie Molinaro zu tun.“

Wenn die Familie Molinaro im Spiel ist, wer weiß schon, welche ausgeklügelten und illegalen Abläufe hier vor sich gehen? Patrick hat zwar keine Ahnung, was sie von ihm wollen könnten oder warum sie sich wünschen könnten, dass er Will heiratet und ihn besinnungslos vögelt, aber er fragt sich jetzt doch wieder, ob dieser Nachwuchsgangster ihn vielleicht unter Drogen gesetzt hat. Vielleicht ist er gerade dabei, unter Waffengewalt in irgendeine ruchlose und verwickelte Verschwörung des internationalen Verbrechens und der Gehirnchirurgie hineingezogen zu werden.

„Na super. Dann habe ich also in eine weltbekannte Familie von Kriminellen eingeheiratet. Warum habe ich das Gefühl, dass das nicht gut ausgeht?“

„Ich sag doch, ich gehöre nicht dazu“, protestiert Will. „Meine Mutter hat Tony verlassen, als ich noch ganz klein war. Sie hat mich allein großgezogen. Tony ist nur … er ist nur …“

„Ein sehr beängstigender Samenspender?“

„Das ist kompliziert.“

„Wie auch immer.“ Patrick schüttelt den Kopf. „Du hast mir noch nicht erklärt, wieso wir uns ,nicht scheiden lassen können‘.“ Er malt Anführungszeichen in die Luft.

Wills Hände zittern, aber seine Stimme ist fest. „Vor ein paar Jahren ist mir ein Treuhandfonds zugefallen, der von meinem Urgroßvater Molinaro eingerichtet wurde.“

„Blutgeld. Reizend.“

„So ist das nicht.“ Will reibt sich die Augen, seine Wangen erröten wieder. „Du hast ja keine Ahnung, was ich alles getan habe, um etwas Gutes aus der Vergangenheit meiner Familie zu machen.“

Patrick zuckt die Achseln. „Ich bin nicht hier, um mir Geschichten anzuhören. Ich will bloß die Scheidung. Aber anscheinend sagt die Mafia, dass ich keine kriege, also beeil dich und erklär mir warum.“

Wills Kiefer spannt sich an, aber er fährt fort. „Ich habe das Fondsvermögen geerbt, als ich einundzwanzig wurde, aber ich habe es nicht für mich selbst verwendet. Ich habe eine wohltätige Stiftung gegründet.“

„Toll. Gut gemacht.“

„Sei still und hör zu, okay? Es gibt einen Haken. Wenn ich jemals heirate, muss das für alle Zeiten sein. Wenn ich mich scheiden lassen, verliere ich den Anspruch auf das Geld. Es geht alles zurück an die Familie.“

„Was?“ Patrick lacht. „Das ist doch verrückt. Jeder Zweite lässt sich heutzutage scheiden.“

„Ich weiß!“ Will wirft die Hände in die Luft. „Das Problem ist, dass Urgroßvater Molinaro streng katholisch war …“

„Ein strenger Katholik, der eine Verbrecherfamilie lenkt. Also vom Feinsten.“

Will wirft ihm einen weiteren wütenden Blick zu. „Er hatte es satt, dass jeder die Einstellung der Kirche zur Scheidung missachtet. Er hat gesagt, das macht es unmöglich, das Wertesystem der Familie Molinaro aufrechtzuerhalten …“

„Das Wertesystem von Mord und schwerer Körperverletzung?“

„… für die Kinder aus gescheiterten Ehen. Er ist besonders an dieser letzten Generation verzweifelt. Sieh mal, meine Mutter hat sich von Tony scheiden lassen, und er hat danach noch zwei Mal geheiratet. Und Tonys Cousin Mario ist drei Mal geschieden, und seine Cousine Evelyn ist geschieden, und ein anderer Cousin, Gino …“

Patrick hebt eine Hand. „Bitte. Hör um Gottes willen auf damit.“

Will funkelt ihn an. „Ich kann mich nicht scheiden lassen, sonst verliert meine Stiftung, Gute Taten, ihr Vermögen. So einfach ist das.“

„Erwartest du, dass ich dir das glaube?“

„Ja. Weil es stimmt.“

Patrick starrt Will an, schätzt ihn ab und entscheidet, dass er viel zu verschreckt aussieht, um sich das alles ausgedacht zu haben. Aber trotzdem …

„Von wie viel Geld reden wir denn hier?“

„Millionen. Hunderte Millionen. So viel Geld, dass es das Leben von Tausenden Menschen verändern kann.“

Tja, wenigstens muss er sich jetzt keine Sorgen mehr um den fehlenden Ehevertrag machen. Er hat Richie Rich geheiratet. „Zu dumm“, sagt Patrick. „Du wirst das Geld verlieren. Wenn du glaubst, ich wäre einverstanden, dass wir …“

„Natürlich werden wir nicht ewig verheiratet bleiben. Wir müssen nur einen Weg finden, um diese Regelung zu umgehen. Ich darf Gute Taten nicht verlieren. Du verstehst das nicht. Das Geld darf nicht an die Molinaro-Familie zurückfallen. Ich tue so viel Gutes damit!“

Will lässt sich zurück auf die Bettkante fallen, und Patrick setzt sich neben ihn. Wärme strahlt von Wills nacktem Oberkörper aus.

„Okay, hör zu“, beginnt Patrick sanft. „Raste jetzt nicht aus. Wir besorgen uns einfach eine Annullierung. Das verstößt doch nicht gegen die Regeln, oder?“

„Weiß ich nicht genau. Ich hoffe nicht.“ Will starrt lange vor sich hin, doch dann atmet er tief ein und nickt. „Ja. Das könnte klappen.“

„Siehst du. Problem gelöst. Es wird sein, als wäre es nie passiert.“

Es klopft an der Tür. Patricks Magen knurrt, und er hofft, dass er genügend Verstand hatte, um irgendwann während ihrer volltrunkenen Ausschweifungen ein Frühstück vorzubestellen. Er reißt die Tür auf. Leider nicht.

„Chef.“

„Dr. McCloud.“ Laurence Schaeffer, sein Chefarzt, nickt. Er rümpft die Nase und mustert Patrick von oben bis unten. „Lange Nacht gewesen?“

„So in der Art.“

Schaeffer tippt auf seine Armbanduhr. „Es ist schon nach zehn, Dr. McCloud. Ich bin gekommen, um Sie zu den Vorträgen des heutigen Tages zu begleiten, die, nebenbei bemerkt, vor zwei Stunden angefangen haben.“

„Na, so was!“

Schaeffer betritt unaufgefordert das Zimmer. „Ich wusste, Sie würden es sich niemals verzeihen, den Rest davon zu versäumen, Herr Doktor.“

Eigentlich hatte Patrick genau das vor. Er ist immer noch sauer, dass Schaeffer ihn überhaupt hierher mitgeschleppt hat. Natürlich hatte er versucht, sich zu drücken, aber nachdem sein Chef das Interesse von Dr. Andrew Morris an dieser Konferenz erwähnt hatte, saß Patrick in der Klemme. Er konnte nicht zulassen, dass Morris bei den bevorstehenden Bewerbungen für die Stationsleitung die Oberhand gewann. Wenn Patrick es auf diese Weise betrachtet, ist das ganze Chaos mit Will die Schuld seines Chefarztes, denn aufgrund seiner Manipulation ist er überhaupt zu dieser blöden Konferenz gefahren.

„Oh.“ Schaeffer bleibt abrupt stehen, als er Will auf dem zerwühlten Bett sitzen sieht. „Ich wusste gar nicht, dass Ihr, äh, Partner mit Ihnen nach Las Vegas fährt, Dr. McCloud.“

„Nein, nein“, sagt Patrick. „Er ist nicht mein Partner. Er ist ein danebengegangener One-Night-Stand.“

Schaeffer schmunzelt, als habe Patrick einen Witz gemacht. „Aha, ja, so ist das wohl heutzutage. Sagen meine Kinder jedenfalls. Zu meiner Zeit war alles noch ganz anders. Wie lange sind Sie denn schon mit Ihrem Partner zusammen, Dr. McCloud? Es ist wirklich nachlässig von mir, dass ich so wenig über Ihr Privatleben weiß.“

Patrick starrt Schaeffer an und versucht zu ergründen, ob der Mann wirklich so blöd ist oder ob er auf seine alten Tage senil wird.

„Noch nicht mal einen Tag“, sagt Patrick, und Schaeffer wirkt verwirrt. Was ist so schwer daran verstehen, dass man in Vegas mit jemandem in der Kiste landet? Ist Vegas nicht genau dafür da? „Er könnte auch ein Stricher sein“, fügt er hinzu. Grobheit hat manchmal die erstaunlichste Wirkung.

Wills Augenbrauen heben sich bis zu seinem Haaransatz, aber Schaeffer sieht aus, als wäre ihm der Witz entgangen und er würde ihn jagen, bis er ihn gefunden hat. Will lächelt Schaeffer höflich an.

„Hallo.“ Er steht auf und streckt die Hand aus. „Ich bin Will Patterson.“

„Dr. Laurence Schaeffer.“ Er schüttelt Wills Hand. „Ha ha“, sagt er mit einem jovialen Lachen. „Noch nicht mal einen Tag. Jetzt hab ich’s verstanden. Dr. McCloud, ich kann nicht umhin zu bemerken, dass Sie einen Ehering tragen.“ Er blickt wieder zu Will. „Sie auch, Mr. Patterson. Glückwunsch!“

Patrick sprudelt heraus: „Ich weiß nicht, wie ich Ihnen das noch besser verdeutlichen soll, Chef, aber abgesehen vom biblischen Sinn kenne ich diesen Typen nicht seit Adams Zeiten.“

Warum erklärt er das alles? Es geht Schaeffer doch eigentlich einen Dreck an.

Schaeffer hebt die Hände. „Entschuldigung, aber sind Sie jetzt verheiratet oder nicht?“

Dieser Mann könnte eindeutig nicht begriffsstutziger sein.

„Wir haben uns gestern in einer Bar kennengelernt, etwas zu viel getrunken und offensichtlich beschlossen, dass es eine gute Idee wäre, den Bund der Ehe einzugehen.“

„Lustige Geschichte, nicht wahr?“, fällt Will ein und schiebt die Hände in die Taschen seiner Jeans. Patrick bemerkt, wie das seinen immer noch nackten Oberkörper wunderbar stark und seine Schultern breit aussehen lässt.

„Urkomisch“, fügt Patrick mit todernstem Gesicht hinzu.

Schaeffer sieht überhaupt nicht erheitert aus. „Dr. McCloud, wollen Sie mir erzählen, dass Sie und dieser junge Mann aus einer Laune heraus geheiratet haben? Als Sie betrunken waren?“

Patrick seufzt. „Ich bin genauso erschüttert wie Sie.“

„Das kann ich mir kaum vorstellen, Dr. McCloud.“

Schaeffer wendet sich Will zu. „Sind Sie …?“ Er sieht wieder Patrick an. „Ist dieser junge Mann ein Stricher?“ Er spuckt es regelrecht heraus.

„Falls ja, sollte Sie das nicht interessieren.“ Patrick kocht. Für wen hält Schaeffer sich eigentlich? Was hat das alles mit Neurochirurgie zu tun?

„Ich bin kein Stricher!“, lässt sich Will vernehmen.

„Damit ich das richtig verstehe“, bellt Schaeffer, und Patrick steht kurz davor, ihn aus dem Zimmer zu schubsen. Er ist es so satt, heute alles erklären zu müssen. „Sie haben einen Fremden geheiratet, während Sie unter Alkoholeinfluss standen?“

„Das bringt es auf den Punkt.“ Patrick zuckt die Achseln. „Wir lassen es annullieren. Kein Grund, sich Ihr Köpfchen zu zerbrechen, Chef. Ende gut, alles gut und so weiter.“

„Sie können die Ehe nicht annullieren lassen, Dr. McCloud. Korrigieren Sie mich, wenn ich mich irre, aber es scheint, dass die Ehe vollzogen wurde.“ Schaeffer wirft einen betonten Blick auf Patricks Brust, die immer noch Spuren von getrocknetem Sperma aufweist. Will presst sich die Hand gegen den Mund und wird hellrot im Gesicht. „Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie irgendwelche anderen stichhaltigen Gründe haben.“

„Betrug zum Beispiel“, sagt Patrick.

„Das war kein Betrug!“, japst Will.

Patrick greift nach Wills Handgelenk und zeigt auf sein Armband. „Die Zurückkhaltung von Informationen über eine ernste Erkrankung zählt sicherlich als Betrug. Und dann stellt sich die Frage nach der geistigen Gesundheit zum Zeitpunkt der Eheschließung, und in Anbetracht des Ausmaßes unseres Alkoholkonsums kann keiner von uns die für sich beanspruchen. Und wenn wir schon dabei sind, ich würde auch bei der Definition von Vollzug der Ehe bedenkenlos schummeln, um aus diesem Schlamassel herauszukommen. Was die für eine Annullierung zuständigen Arschlöcher nicht wissen, macht sie auch nicht heiß. Ich würde sagen, wir haben Gründe genug.“

„Dr. McCloud.“ Schaeffer klingt besorgter, als Patrick ihn je erlebt hat. Er ist überrascht, dass das überhaupt möglich ist. „Wollen Sie damit sagen, dass Sie die Absicht haben, vor Gericht zu lügen?“

„Na, ich kann doch wohl kaum mit irgendeinem Treuhandfonds-Fuzzi verheiratet bleiben, den ich in einer Bar kennengelernt habe, oder?“ Patrick ist von dieser Idiotie verblüfft. Obwohl er eigentlich gar nicht sagen kann warum. Fast jeder ist ein Idiot. Das Leben beweist ihm das immer wieder.

Schaeffers Augen verengen sich, und Patrick wird daran erinnert, warum er ein hervorragender Vorgesetzter ist. Er hat Standpunkte und eine ermüdend aufrechte Moral, und er scheut nicht davor zurück, sie zu vertreten. Schwachsinn.

„Dr. McCloud, ich muss schon sagen, dass ich Ihre lässige Einstellung in dieser Frage ziemlich verwerflich finde.“

„Tja, und ich finde die Vorstellung einer Art Heiligkeit der Ehe ebenso verwerflich“, erwidert Patrick, inzwischen verärgert.

„Ich rede nicht von der Heiligkeit der Ehe, Dr. McCloud – obwohl es mich durchaus auch irritiert, wie leicht Sie diese ehrwürdige Institution zu nehmen scheinen. Ich bin extrem beunruhigt von Ihrer Einstellung zur Übernahme von Verantwortung für Ihr Handeln und Ihrer Bereitwilligkeit, zu Ihrem eigenen Nutzen einen Meineid zu schwören.“

„Wie bitte? Das war ein besoffener Irrtum, kein …“

Schaeffer lässt ihn nicht ausreden. „Wenn Ihre moralische Grundlage so schwach ist, dass etwas Alkohol und eine Nacht in Las Vegas ausreichen, um Sie schlechte Entscheidungen treffen zu lassen, und wenn Sie dann auch noch bereit sind, diesen Mangel an Moral durch eine vorsätzliche Lüge vor Gericht zu kompensieren, um sich den Konsequenzen Ihres Handelns zu entziehen, dann kann ich mir vorstellen, welche Lügen Sie möglicherweise dem Georgia Medical Review Board erzählt haben, um Ihre Approbation zu behalten.“

Patrick beginnt zu frieren. „Wenn Sie damit sagen wollen, dass ich …“

„O ja, das will ich, Dr. McCloud. Wenn Sie hier gerade versuchen, sich auf kürzestem Wege aus der Verantwortung zu schleichen, sehe ich keinen Grund zu der Annahme, dass Sie dies nicht auch neulich bei Ihrer disziplinarischen Anhörung im Zusammenhang mit dem Tod von Jake Taylor getan haben.“

Patricks Blick verschleiert sich vor Zorn. Die kalte Hilflosigkeit, die in ihm aufstieg, als er erkannte, dass er den Jungen verlieren würde, hat ihn monatelang verfolgt. „Ich habe alles getan, um Jake zu retten. Sein Tod war ein Unglück, aber kein ärztlicher Fehler. Ich stehe zu meiner Arbeit und zu den Entscheidungen, die ich an jenem Tag getroffen habe. Die Kommission ist mir bei der Anhörung gefolgt.“

„Das sagen Sie, Dr. McCloud. Das sagen Sie. Wir kennen ja beide die Gerüchte, die unter den Mitarbeitern kursieren …“

„Halten Sie wirklich die schmutzigen Gerüchte des Pflegepersonals, die mich in die Sache verwickeln wollen, für glaubwürdiger als die Ergebnisse der Kommission?“

Schaeffer schüttelt den Kopf und wirft Will einen Blick zu. „Offen gestanden sehe ich nicht, wie jemand, der seinen Mangel an Vertrauenswürdigkeit so freimütig zugibt, damit rechnen kann, irgendeine Abteilung meiner Klinik zu leiten. Ich glaube, Sie haben mir gerade die Entscheidung erleichtert, wer der künftige Leiter der Neurochirurgie sein wird.“

„Sie machen wohl Witze“, schreit Patrick. „Ist Ihnen das Gehirn eingetrocknet? Mein Privatleben hat keine Auswirkungen auf meine Leistungen als Chirurg, und Sie können doch nicht allen Ernstes Andrew Morris für diese Position in Betracht ziehen. Da können Sie genauso gut den Metzger an der Ecke einstellen.“

Wills Hand legt sich um seinen Arm, und durch das Rauschen des Blutes in seinen Ohren hört er Will warnend seinen Namen aussprechen, als versuche er, Patrick zum Schweigen zu bringen.

„Morris ist ein guter Chirurg, Dr. McCloud, und auch wenn er vielleicht nicht so talentiert sein mag wie Sie, kann ich ihm wenigstens vertrauen.“

„Vertrauen in Bezug auf was? Dass er Ihnen in den Arsch kriecht und dafür sorgt, dass Verfahren wegen ärztlicher Kunstfehler auf Sie herabregnen?“

„Patrick“, zischt Will erneut.

„Dr. McCloud, ich betrachte dieses Gespräch als Ihre Kündigung.“ Schaeffer wendet sich zur Tür. „Ich bin nicht bereit, Ihnen ein Empfehlungsschreiben auszustellen, aber ich vermute ohnehin, dass Sie keines benötigen werden. Ihr Ruf eilt Ihnen voraus. Möge Gott dem Krankenhaus beistehen, das bereit ist, Sie einzustellen. Sie werden es brauchen.“ Er legt eine Pause ein und sieht Will an. „Ein Prostituierter? Absolut widerlich.“

Patrick knallt die Tür hinter dem aufgeblasenen Idioten zu. Einige Sekunden lang steht er nur da und starrt schweigend das Bett an. Auf der anderen Seite des Zimmers zieht Will sein Hemd an und fingert unbeholfen an den Knöpfen herum.

„Hast du mitgekriegt, was hier gerade passiert ist?“ Patrick zeigt auf Will. „Ich hatte dieses Arschloch im Griff, bis du mich dazu genötigt hast, dich zu heiraten.“ Er weiß, dass dies nicht mal annähernd der Wahrheit entspricht. Schaeffer hat ihn immer mit Argwohn betrachtet, und das Klinikpersonal wollte ihn immer schon loswerden. Die Position der Stationsleitung hätte der ultimative Stinkefinger für sie alle sein sollen. Sieht so aus, als wäre der Schuss nach hinten losgegangen.

„Was?“, fragt Will ungläubig. „Du hast mich genötigt!“

„Oh, bitte“, blafft Patrick. „Du hast dich mir da in der Bar doch regelrecht an den Hals geworfen. Du hast mich sozusagen am Schwanz in die Hochzeitskapelle gezogen!“

Auch das ist weit von der Wahrheit entfernt. In seiner Erinnerung blitzen Bilder auf, wie er Will zu der Treppe zerrt, die zu der Kapelle hinaufführt, während Will ihm errötend und lachend folgt.

Vielleicht erinnert sich Will auch an all das, denn er öffnet und schließt mehrmals den Mund, doch kein Laut dringt heraus. Er steht da und schnappt nach Luft wie ein Fisch. Ein sehr anziehender Fisch. Mit einem attraktiven streitlustigen Leuchten auf den Wangen.

„Fick dich doch ins Knie“, sagt Will schließlich, schiebt sich das Hemd in die Hose und geht auf die Tür zu. „Wir treffen uns in dreißig Minuten in der Lobby, und dann gehen wir zum Gericht und lassen diese Ehe annullieren. Hab ich mich klar ausgedrückt?“

Ein bestimmender Will ist sexy. Patrick salutiert. „Sir! Jawohl, Sir!“

Will macht ein finsteres Gesicht und knallt die Tür hinter sich zu.

„Na denn.“

 

Kapitel 2

 

Unter der Dusche seift Will sich ein. Sein Arsch schmerzt unaufhörlich und lässt Erinnerungen an die vergangene Nacht in ihm hochkommen. Das Schrecklichste daran ist, dass diese Erinnerungen gar nicht schrecklich sind. Er erinnert sich, wie Patrick sich neben ihm an die Bar gesetzt hat, und an das anfängliche Gefühl der Genervtheit über diese Unterbrechung seines Besäufnisses. Doch das wurde augenblicklich verdrängt durch Patricks aufblitzendes Lächeln, wie etwas Verborgenes, das Will durch Zufall entdeckt hat und dann unbedingt erneut sehen musste.

Er hat Patrick gestern gemocht. Er hat sich an ihn gelehnt, nur um seinen Körper zu spüren, straff und fest an seinem eigenen, und ist in eine überstürzte, betrunkene Zuneigung verfallen, die sich in diesem Moment so echt angefühlt hat. So intensiv und großartig und dennoch ruhig unter all der Verrücktheit.

Er greift nach hinten, um seinen Arsch zu waschen, und berührt die zarte Öffnung mit den Fingern. Er erschaudert, als ihn die Erinnerung durchfährt, wie Patricks Zunge ihn dort geliebkost hat. Patrick war so sanft gewesen, bestimmend und kontrollierend. Will schüttelt den Kopf und hält ihn unter den Wasserstrahl. Er reibt das getrocknete Sperma aus seinem Brust- und seinem Schamhaar und ignoriert seinen hart werdenden Schwanz.

Blitzartig aufflackerndes Lächeln und gute Leistungen im Bett ändern nichts an der Tatsache, dass Will es mit einem Fremden getrieben hat, der sich im Lichte der Morgensonne als totaler Blödmann herausgestellt hat. Patrick ist überhaupt nicht charmant. Oder lustig. Oder auch nur nett. Wenn Will einen Grund benötigt, um in Zukunft nüchtern zu bleiben, dann hat er ihn geheiratet.

Mit etwas Glück ist das Gelöbnis ewiger Treue etwas, das er wie eine unter Alkohleinfluss geschriebene E-Mail löschen kann, die er entworfen, aber nie beendet hat, weil er vor dem Absenden das Bewusstsein verloren hat. Er tritt aus der Dusche, rasiert sich, putzt sich die Zähne und zieht eine anständige Hose sowie ein verantwortungsbewusst aussehendes blassgelbes Hemd mit Button-up-Kragen an.

Als der Zimmerservice mit dem Frühstück kommt, checkt er erneut seinen Blutzuckerspiegel, errechnet den Anteil an Kohlenhydraten, den er zu sich nehmen wird, und spritzt sich die korrekte Dosis Insulin. Er schlingt das Essen ohne jedes Vergnügen hinunter und geht dann im Zimmer auf und ab. Nachdem er die Vorhänge aufgerissen hat, starrt er hinab auf den Las Vegas Strip. Er sieht bei Tage weniger glamourös aus: staubig, sonnengebleicht, müde. Schließlich setzt er sich aufs Bett und holt mit zitternden Händen sein Handy aus der Tasche, um seinen Anwalt Owen Marsh anzurufen.

„Will, ich hätte heute keinen Anruf von dir erwartet. Wie ist Vegas? Du hast dir doch keinen Ärger eingehandelt, oder?“ Owen lacht, aber Will hört die Sorge aus seinem Scherz heraus. Es ist ja nicht so, als wäre Will nicht schon früher mal rückfällig geworden, und Vegas ist ein gefährlicher Ort für einen Trinker.

Will schluckt seine Scham herunter. „Eigentlich rufe ich genau deshalb an.“

Owens Kichern erstirbt. „O nein.“

„Ja. Es ist schlimm. Bitte halt mir keine Predigten, Owen. Ich brauche deine Hilfe.“

Owen schweigt lange, ehe er fragt: „Was brauchst du?“

Wills Magen arbeitet sich durch seine Kehle aufwärts, aber er schafft es, einigermaßen ruhig zu klingen. „Du müsstest bitte mal in den Treuhandbestimmungen meines Urgroßvaters die Regelungen zum Thema Ehe nachschlagen, oder, tja, vielleicht auch Scheidung oder Annullierung? Ich kann mich nicht an die Einzelheiten erinnern.“

Owen bleibt sehr lange stumm, und Will sieht ihn geradezu vor sich, wie er sich, kahl werdend und in einem zerknitterten Anzug, vom Computer abwendet und die Brille auf dem Nasenrücken hochschiebt. Will wünscht sich, er könne jetzt bei ihm sein, sicher in Owens biederem, unordentlichem kleinen Büro im Gute-Taten-Gebäude, umgeben von Owens Ledersesseln und langweiligen Gesetzbüchern. Er würde sich weniger schämen, wenn er Owen bei ihrem Gespräch in die ruhigen grauen Augen sehen könnte.

„Einen Moment, Will. Ich lasse Marcy den Ordner raussuchen.“

„Danke.“

Er bleibt am Telefon, dann meldet sich Owen wieder. „Marcy hat in ein paar Minuten, was wir brauchen.“

„Prima.“

„Möchtest du darüber sprechen?“

Will schüttelt den Kopf, obwohl Owen ihn nicht sehen kann. „Ich kann nicht. Jetzt noch nicht.“

„Bist du im Moment nüchtern?“

„Ja. Total verkatert, aber nüchtern.“

Owens leiser Seufzer dringt durch die Telefonleitung.

Gut fünfundvierzig Sekunden lang herrscht Schweigen, und heiße Tränen drücken gegen Wills Augenlider. Sein Flüstern ist rau. „Willst du gar nicht fragen, warum ich abgestürzt bin?“

„Du weißt, dass ich dich das nie frage. Wann hätte ich das jemals getan in all den Jahren, da ich dein Sponsor bin? Du stürzt aus denselben Gründen ab wie jeder Alkoholiker. Du wolltest trinken. Es schien die einzige Option zu sein, um den Augenblick durchzustehen. Der gesamte Kontext rund um die Entscheidung ist ungeachtet seiner Absichten und Zwecke nur eine Ausrede.“ Owen redet niemals um den heißen Brei herum. Das gehört zu den Dingen, die Will an ihm mag. Owen seufzt. „Außerdem kenne ich dich gut genug, um es zu erraten. War es wieder wegen Ryan?“

„Ja.“

„Wieder mal vorbei?“

„Ja.“

„Ich weiß, wir haben schon mal darüber geredet, aber Ryan kann wirklich nicht deine Definition von Genesung sein. Für ihn ist diese Verantwortung zu groß, und für dich ist es eine gefährliche Angelegenheit. Deine Genesung sollte aus etwas bestehen, das du unter Kontrolle hast, Will. Und einen anderen Menschen kannst du niemals kontrollieren.“