Cover

Butler Parker
– 136 –

Parker köpft die Guillotine

Günter Dönges

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-793-6

Weitere Titel im Angebot:

Sie hatte geläutet, und Butler Parker erschien in ihrem Salon, den sie sich als Studio hatte einrichten lassen. Sie saß vor der elektrischen Schreibmaschine und hatte natürlich wieder mal keine Zeile zu Papier gebracht.

Lady Agatha Simpson, die vor Jahren beschlossen hatte, sechzig zu bleiben, war eine majestätisch stattliche Dame mit energischem Gesicht. Sie wandte sich zu ihrem Butler um und verkündete, sie habe einen perversen Appetit.

»Mylady schweben eine bestimmte Spezialität vor?« erkundigte Josuah Parker sich gemessen. Er war etwas über mittelgroß, fast schlank und strahlte eine beeindruckende Würde aus. Sein Alter war nur schwer zu bestimmen, was auf sein stets ausdrucksloses, glattes Pokergesicht zurückzuführen war.

»Machen Sie mir Vorschläge«, antwortete die ältere Dame ungeduldig. Sie schaltete die Schreibmaschine ab und schien ihre Absicht nachhaltig vergessen zu wollen, einen Krimi-Bestseller zu schreiben. Damit beschäftigte sie sich schon seit Monaten. Es war ihr erklärtes Ziel, einer gewissen Agatha Christie zu zeigen, wie ein spannender Kriminalroman wirklich auszusehen habe.

Bei dieser Absicht war es bisher allerdings geblieben. Sie fand immer wieder Entschuldigungen. Dazu gehörte auch ihr Interesse an Kriminalfällen aller Art.

Sie konnte sich dieses Hobby leisten, weil es einen Butler Parker gab, der seine schützende Hand über sie hielt. Darüber hinaus aber war sie eine immens reiche Frau, die sich fast jede Verrücktheit leisten konnte.

»Ich warte auf Ihre Vorschläge, Mister Parker«, wiederholte sie mit ihrer dunklen Stimme, die an einen Baß erinnerte. »Sie sind natürlich wieder mal ratlos, nicht wahr?«

»Ich befinde mich im Stadium des intensiven Nachdenkens, Mylady«, antwortete Parker gemessen. »Könnten Mylady sich für einen Krabben-Cocktail erwärmen?«

»Ihre Phantasie ist nicht gerade ausgeprägt«, grollte sie und schüttelte den Kopf.

»Es wäre noch ein Himbeerpudding vorhanden, Mylady.«

»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?« Agatha Simpson sah ihren Butler leicht gereizt an.

»Bevorzugen Mylady möglicherweise eine Fleischpastete?«

»Unsinn, Mister Parker! Ich brauche etwas Appetitanregendes, was meine Kreativität beflügelt. Habe ich mich endlich deutlich genug ausgedrückt?«

»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit ein wenig ratlos«, gestand Josuah Parker.

»Dieser Zustand ist mir nicht neu«, bemerkte die resolute Dame spitz, doch dann erhellte sich ihre Miene. »Ich hab’s jetzt. «

»Mylady sehen mich glücklich.«

»Frühlingsrollen«, sagte sie stichwortartig.

»Frühlingsrollen?« Parker hüstelte diskret. »Mylady meinen jene chinesische Vorspeise, die ...«

»Die meine ich«, sagte sie, ihren Butler unterbrechend.

»Um besagte Frühlingsrollen werde ich mich selbstverständlich sofort bemühen.«

»Sie müssen an Ort und Stelle gegessen werden, heiß und frisch, Mister Parker.«

»Mylady beabsichtigen demnach, das Haus zu verlassen?«

»Natürlich, Mister Parker. Und zwar möglichst schnell. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.«

»Falls Mylady einverstanden sind, könnten Mylady in einem ausgezeichneten chinesischen Restaurant die erwähnten Frühlingsrollen zu sich nehmen.«

»Und wo ist das?« Die Detektivin war ungeduldig geworden.

»In Soho, Mylady. Ein gewisser Mr. Hua Li gilt als einer der besten Vertreter der chinesischen Küche.«

»Worauf warten Sie noch?« Lady Agatha wurde sehr aktiv. »In ein paar Minuten werde ich unten sein.«

Parker deutete eine knappe Verbeugung an und verließ Myladys Studio. Obwohl es auf Mitternacht zuging, machte ihm die geplante Ausfahrt nichts aus. Er war ein Mann, der nur wenig Schlaf brauchte. Als perfekter Butler rief er natürlich das Restaurant an und ließ sich mit Mr. Hua Li verbinden. Parker bestellte einen Tisch und gab zudem die Wünsche nach einigen Frühlingsrollen durch. Da er Myladys Appetit kannte, einigte er sich mit Hua Li auf ein halbes Dutzend dieser fernöstlichen Köstlichkeiten.

Zu diesem Zeitpunkt dachte er wirklich nicht an Verwicklungen. Und er konnte schon gar nicht ahnen, daß dieser Abend der Beginn eines haarsträubenden Abenteuers werden sollte.

*

»Warum, zum Teufel, halten Sie nicht an?« grollte die ältere Dame. Sie saß im Fond des hochbeinigen Monstrums, wie Parkers Privatwagen von Freunden und Gegnern genannt wurde. Es handelte sich um ein ehemaliges Londoner Taxi, das nach den Wünschen und Vorstellungen des Butlers sehr nachhaltig frisiert worden war.

Dieses Monstrum hatte es tatsächlich in sich. Unter der eckigen Motorhaube arbeitete eine Art Rennmotor, der dem Wagen die Rasanz eines Tourensportwagens verlieh. Entsprechend war das Fahrwerk ausgelegt worden, das diese Geschwindigkeiten ohne weiteres schluckte. Darüber hinaus aber war das ehemalige Taxi zu einer wahren Trickkiste auf Rädern geworden. Es enthielt schon fast skurril zu nennende technische Überraschungen, und mancher Verfolger in der Vergangenheit war daran schon gescheitert.

Parker hielt an und wandte sich gemessen zu Lady Simpson um.

»Dort droben ist ein chinesisches Restaurant«, sagte sie.

»In der Tat, Mylady«, räumte Parker ein. »Darf ich mir jedoch erlauben darauf zu verweisen, daß dieses Restaurant nicht unbedingt einen einladenden Eindruck macht?«

»Papperlapapp«, gab sie unwirsch zurück und öffnete bereits die Wagentür. »Ich will meine Frühlingsrolle endlich haben.«

»Möglicherweise entspricht die Qualität dieser Spezialität nicht Myladys Vorstellung«, warnte Parker.

»Das wird man ja sehen!« Die Sechzigjährige ließ sich natürlich nicht beirren und setzte ihren Kopf durch. Sie marschierte bereits auf den Eingang des kleinen Lokals zu und machte sich im Geist bereits über die erste Frühlingsrolle her.

Butler Parker hatte nicht übertrieben.

Das kleine, nur spärlich beleuchtete Restaurant entsprach niemals den Vorstellungen seiner Herrin. Es war schmal, lang wie ein Korridor und enthielt eine Vielzahl von kleinen Nischen. Die Ausstattung war abenteuerlich kitschig. Parker sah mit einem Blick, daß echte Kunst aus Ostasien nicht vertreten war. Dieser Tand stammte mit Sicherheit aus einem Plastikbetrieb Hongkongs.

Lady Agatha kümmerte dies wenig.

Sie hatte bereits eine freie Nische angesteuert und nahm Platz. Parker setzte sich notgedrungen zu ihr, obwohl das seinem Gefühl für Distanz nicht entsprach. Er hatte sich jedoch inzwischen daran gewöhnt, daß seine Herrin darauf bestand.

Ein schmaler Chinese erschien, der ein akzentfreies Englisch sprach und sich nach den Wünschen der Herrschaften erkundigte.

»Frühlingsrollen«, erwiderte Lady Simpson. »Sagen wir, so für den Anfang, erst mal drei. Und Sie, Mister Parker?«

»Ich würde einen grünen Tee bevorzugen«, gab der Butler zurück.

»Drei Frühlingsrollen?« wiederholte der Chinese. »Das macht genau zwölf Pfund.«

Mylady schluckte und schickte sich an, dem jungen Mann einiges über Preisgestaltung an sich und im allgemeinen zu erzählen, doch Butler Parker reagierte erstaunlich. Er zückte seine Brieftasche, warf Lady Simpson einen schnellen, warnenden Blick zu und bezahlte im voraus. Der Chinese nahm die Banknoten entgegen und trollte sich, nicht ohne noch einen prüfenden Blick auf Lady Agatha und Josuah Parker geworfen zu haben.

»Das ist doch unverschämt«, grollte Agatha Simpson. »Sind Sie sich klar darüber, was Sie da gerade gezahlt haben?«

»Zwölf Pfund, Mylady«, antwortete Parker gemessen. »Es dürfte sich, wenn ich so sagen darf, um Frühlingsrollen besonderer Art handeln.«

»So einmalig gut kann keine Frühlingsrolle sein, Mister Parker.« Sie war sehr aufgebracht, begriff dann aber plötzlich und spitzte ihren Mund. »Sie glauben...?«

»Eine vage Vermutung, um offen zu sein, Mylady.«

»Das wäre ja wunderbar.« Sie wirkte plötzlich sehr animiert. »Diese Nacht scheint noch interessant zu werden.«

Der junge Chinese tauchte bereits wieder auf.

Er stellte einen Teller auf den Tisch, auf dem drei Karikaturen von Frühlingsrollen lagen. Sie waren total verbrannt, trieften vor Öl und rochen bedenklich.

»Tee ist nicht mehr da«, sagte er zu Parker.

»Wie erfreulich«, erwiderte der Butler und musterte die Frühlingsrollen. Der Chinese entfernte sich, und Lady Agatha beugte sich angewidert zurück.

»Wo ist nun die Überraschung, die zwölf Pfund gekostet hat?« fragte sie Parker.

»Mylady erlauben?« Parker zog den Teller zu sich heran, nahm eine Gabel und brach mit einiger Mühe die erste verkrustete Frühlingsrolle auf. Er stocherte in der Füllung herum und wurde fündig: Mit der Gabelspitze deutete er auf ein schmales Plastikbriefchen, wie man es in Imbißstuben als Portionssenf erhält.

»Senf?« fragte die Detektivin, die schon wieder gereizt war.

»Dem äußeren Anschein nach, selbst die Beschriftung deutet auf das von Mylady erwähnte Gewürz hin.«

Parker hatte das Plastikbriefchen mit der Gabel ein wenig gesäubert und wies auf den Text. Er sah sich nach einer Serviette um, doch in diesem Moment erhielten Mylady und er Besuch in der Nische.

Ein untersetzter, stämmiger Chinese langte ungeniert nach dem Teller mit den Frühlingsrollen. Und genau damit war die resolute Dame nun überhaupt nicht einverstanden. Sie hatte schließlich bezahlt!

*

Agatha Simpson reagierte blitzschnell und unkonventionell.

Sie stach mit der Gabel zu und traf den Handrücken des stämmigen Chinesen. Gut, sie durchbohrte nicht gerade die Hand des aufheulenden Mannes, doch sie piekte auch nicht nur oberflächlich.

Der Getroffene starrte auf seine Finger und schien diese Behandlung nicht fassen zu können. Er vergaß verständlicherweise die Frühlingsrollen, die von Parker inzwischen geborgen wurden. Er gab sie in sein blütenweißes Taschentuch und formte damit ein kleines Bündel.

»Sie Lümmel«, herrschte Lady Agatha den Dieb indessen an. »Was erlauben Sie sich eigentlich?«

Der stämmige Chinese hatte nichts von der stoischen Gelassenheit des Asiaten an sich. Er leckte sich erst mal die vier kleinen Stichwunden und wollte dann zur Tat schreiten. Er holte aus und hatte tatsächlich die unverkennbare Absicht, der älteren Dame so etwas wie einen Kinnhaken zu versetzen.

Er kannte Lady Simpson nicht!

Sie hatte selbstverständlich ihren Pompadour bei sich, jenen perlenbestickten Handbeutel, wie er von den Damen der besseren und besten Gesellschaft um die Jahrhundertwende benutzt wurde. In diesem Pompadour befand sich Lady Agathas Glücksbringer, ein echtes Pferdehufeisen, das nur recht oberflächlich mit dünnem Schaumstoff umwickelt war. In Agatha Simpsons Hand aber war das eine äußerst gefährliche Waffe, wie sich zeigen sollte.

Parker beobachtete die Szene, griff aber noch nicht ein. Er wollte seine Herrin nicht verärgern, darüber hinaus aber kannte er natürlich ihre Wehrhaftigkeit.

Der stämmige Chinese wollte ihr also einen Kinnhaken versetzen und sich rächen, doch er erlebte eine peinliche Überraschung. Lady Agatha schwang den Pompadour gekonnt nach vorn und setzte ihn auf die Nase des Mannes.

Der ›Glücksbringer‹ verformte nicht nur die Nase, sondern traf mit seinen Ausläufern auf die Stirn. Der Stämmige verdrehte die Augen, schielte abenteuerlich und setzte sich erst mal auf den Boden.

»Was sind denn das für Manieren?« fragte Lady Agatha entrüstet und sah ihren Butler kopfschüttelnd an. »In was für eine Spelunke haben Sie mich da geführt?«

»Darf ich daran erinnern, daß es Myladys ausdrücklicher Wunsch war, dieses Restaurant zu besuchen?« Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Er war es schließlich gewöhnt, daß Lady Simpson stets ihm die Schuld in die Schuhe schieben wollte. Dann entschuldigte er sich kurz und klopfte mit dem Bambusgriff seines Universal-Regenschirms auf den Kopf des stämmigen Chinesen, der sich gerade wieder erheben wollte. Parker wollte sich in der Unterhaltung nicht stören lassen.

Der Frühlingsrollenräuber sackte wieder zurück, legte sich diesmal aber flach auf den an sich nicht sonderlich sauberen Boden. Der Bambusgriff war schließlich mit Blei ausgegossen und dementsprechend schwer.

Die schlagfertige Diskussion war in dem chinesischen Lokal nicht unbemerkt geblieben. Aus einigen Nischen erschienen Gäste und musterten die Szene. Sie machten keinen sonderlich freundlichen Eindruck und warteten nur auf ein Stichwort, um über die Lady und ihren Butler herzufallen.

»Man sollte vielleicht das suchen, Mylady, was man im Volksmund das Weite nennt«, schlug Parker seiner Herrin vor.

»Gehen wir.« Sie war einverstanden. »Der Service hier ist ja unter aller Kanone.«

Parker hatte sich bereits erhoben und geleitete Lady Simpson aus der Nische. Die Zuschauer aber bildeten eine Mauer und wollten die beiden Gäste nicht, so ohne weiteres gehen lassen. Ihre Haltung war sogar eindeutig drohend zu nennen.

Lady Simpson nahm das jedoch überhaupt nicht zur Kenntnis. Sie marschierte auf die Mauer der Leiber zu und musterte die Gäste mit scharfem Blick. Der Pompadour in ihrer rechten Hand kreiste irgendwie unternehmungslustig.

Butler Parker hatte vor dem Aufstehen nach einer der Gewürzdosen gegriffen und sie aufgeschraubt. Der Inhalt bestand aus einer pikanten Mischung von Pfeffer, Curry und exotisch scharfen Gewürzen in Pulverform.

Diese Mischung befand sich in seiner linken, schwarz behandschuhten Hand. Um weitere Komplikationen zu vermeiden, streute Josuah Parker dieses Gewürz freigebig in die Gesichter der drohenden Gäste, deren Augen prompt in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Mit seinem Universal-Regenschirm bahnte Parker der älteren Dame anschließend eine Gasse.