Cover

Butler Parker
– 125 –

Mylady düpiert die Gangster

Günter Dönges

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74092-299-3

Weitere Titel im Angebot:

Butler Parker befand sich im Stadium höchster Nervosität. Er spielte sogar mit dem Gedanken, ein Stoßgebet zum Himmel zu schicken. Ja, er gelobte sogar innerlich eine Wallfahrt bei passender Gelegenheit. Er saß nämlich neben Lady Agatha Simpson, die ihre Neuerwerbung durch die Straßen von London bewegte.

Es handelte sich um einen Land-Rover, wie er für Safaris in Afrika gern benutzt wird. Mylady hatte sich in dieses Gefährt verliebt und schätzte offensichtlich die technischen Finessen des Wagens. Sie brauste über die Ausfallstraße und ignorierte souverän den Nebel, der von Minute zu Minute immer dichter wurde.

»Ein netter Wagen«, sagte die ältere Dame, die äußerlich an eine Walküre aus einer Wagneroper erinnerte. »Er hat nur einen erheblichen Nachteil.«

»In der Tat, Mylady«, erwiderte Parker. »Ihm fehlt eine Radaranlage für den herrschenden Nebel.«

»Unsinn, Mister Parker.« Sie schüttelte den Kopf und sah ihn mitleidsvoll an, Sie kümmerte sich für qualvoll lange Minuten überhaupt nicht um die Fahrbahn. »Der Wagen ist zu langsam, das meine ich!«

»Mylady dürften das erlaubte Limit längst überschritten haben«, stellte Parker würdevoll fest. Es fiel ihm immer schwerer, seine Unruhe zu verbergen.

»Papperlapapp, Mister Parker«, erwiderte sie fröhlich. »Bei diesem Nebel sieht die Polizei nichts.«

»Mylady sollten vielleicht beachten, daß der Wagen keineswegs über eine Blindfluganlage verfügt.«

»Ich habe Augen wie ein Adler«, behauptete die energische und stets sehr unternehmungslustige Dame. Seit geraumer Zeit zählte sie nicht mehr ihre Lebensjahre. Sie hatte damit aufgehört, als sie neunundfünfzig geworden war.

Agatha Simpson war eine sportliche Frau, die sich nach Betätigung förmlich sehnte. Sie war Amateurdetektiv aus Leidenschaft und konnte sich dieses gefährliche Hobby leisten. Sie war eine sehr vermögende Frau, die mit dem Blut- und Geldadel der Insel verschwistert und verschwägert war. Ihre Ungeniertheit war beachtlich.

Und ihr Gottvertrauen, wie sich Sekunden später zeigen sollte...

Lady Agatha hatte offensichtlich eine Kreuzung erreicht, befand sich jedoch im Vollbesitz der Vorfahrt, wie ihr später nachdrücklich von der zuständigen Polizei bestätigt wurde.

Aus einer Seitenstraße schoß plötzlich ein Lastwagen, dessen Fahrer die Vorfahrt nicht beachten wollte. Er jagte auf einen kleinen Wagen zu, der Mylady das Überholen bisher unmöglich gemacht hatte. Die Dame am Steuer sah, was kommen mußte. Sie stieg voll auf das Bremspedal und riß das Steuer des Land-Rover herum. Der Wagen drehte sich und wollte ausbrechen, schaffte es jedoch nicht. Agatha Simpson fing ihn ab, rasierte dabei einen an sich recht massiven Vorgartenzaun und fällte anschließend einen kleinen Kirschbaum.

Parker wurde erfreulicherweise vom Sicherheitsgurt festgehalten. Er hörte von der Kreuzung her das Reißen und Kreischen von zerfetztem Blech, das Klirren von Glas und für einen Moment das wütende Kreischen einer Bremse. Dann herrschte für Sekunden eine geradezu tödliche Stille.

»Was für ein Unsinn, in Vorgärten Bäumchen zu pflanzen«, sagte Lady Simpson grollend. »War das was, Mister Parker?«

»Falls ich die Lage richtig beurteile, Mylady, dürfte sich auf der Kreuzung ein Unfall ereignet haben«, gab der

Butler gemessen zurück. Er hatte sich bereits wieder unter Kontrolle. »Wenn Mylady erlauben, werde ich mich nach Einzelheiten erkundigen.«

Greller Lichtschein drang durch den dichten Nebel. Dann erst war das dumpfe Geräusch einer Detonation zu hören. Die beiden aneinander geratenen Wagen schienen in Flammen aufgegangen zu sein. Bevor Josuah Parker den Land-Rover verlassen konnte, stand seine Herrin bereits neben ihrem Wagen und eilte zwei Sekunden später zur Unfallstelle.

*

»Es handelte sich natürlich um Mord«, sagte Lady Agatha nachdrücklich. »Das lasse ich mir nicht ausreden, Mister Parker. Dieser Mister Norman Crails ist kaltblütig umgebracht worden.«

Agatha Simpson und Butler Parker waren in Myladys Stadthaus in Shepherd’s Market zurückgekehrt. Seit dem Unfall vor etwa anderthalb Stunden war der Nebel noch dichter geworden. Vor allen Dingen war Parker froh und glücklich, wieder in einem sicheren Haus zu sein. Die Rückfahrt an der Seite der Detektivin hatte seine Nerven doch ein wenig strapaziert. Der Unfall schien auf sie kaum Eindruck gemacht zu haben.

»Mylady schließen einen normalen Unfall aus?« erkundigte sich Kathy Porter vorsichtig. Sie war die Sekretärin und Gesellschafterin Agatha Simpsons, langbeinig, attraktiv und keineswegs so scheu, wie sie auf den ersten Blick hin wirkte. Kathy Porter war eine hervorragend geschulte Sportlerin, die sich in allen Künsten der Selbstverteidigung auskannte.

»Zumal der bedauernswerte Mister Crails immerhin offensichtlich angetrunken war«, stellte Parker fest. Er war an einem neuen Kriminalfall nicht besonders interessiert. Das Abenteuer des letzten saß ihm noch in den Knochen.

»Und wo war der Fahrer des Lastwagens?« fragte Lady Agatha unwillig.

»Er entfernte sich allerdings von der Unglücksstelle«, räumte der Butler ein.

»Eben.« Lady Agatha nickte grimmig. »Und er wird sich auch nicht mehr finden lassen, Mister Parker. Soll ich Ihnen mal etwas sagen?«

»Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit in gespannter Erwartung.«

»Es wird sich herausstellen, daß der Lastwagen gestohlen wurde«, redete die Detektivin weiter. »Diesem Mister Crails wurde aufgelauert, Mister Parker. Sehen Sie das doch endlich ein!«

»Wie Mylady wünschen.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an.

»Zudem hat Mister Crails mir noch etwas zugeflüstert«, erklärte die Detektivin zu Parkers Überraschung. Davon hatte sie während der Rückfahrt nichts gesagt. Auch der Polizei gegenüber hatte sie davon nicht gesprochen.

»Mister Crails hat mit Mylady gesprochen?« Skepsis war in Parkers Stimme.

»Nun ja, nicht direkt«, räumte Agatha Simpson ein. »Es war mehr ein Stichwort.«

»Dürfte man eventuell mehr darüber hören, Mylady?«

»Er sagte so etws wie ›Mafia‹, wenn ich ihn nicht völlig mißverstanden habe.«

»Ein gefährliches Stichwort, Mylady, wenn mir diese Bemerkung erlaubt ist.«

»Ein gutes Stichwort«, entgegnete die ältere Dame kriegerisch. »Diese Subjekte machen sich in letzter Zeit zu breit in London. Dagegen muß etwas unternommen werden.«

»Sich mit der Mafia anlegen zu wollen, Mylady, könnte tödlich sein«, warnte Josuah Parker. Er machte einen sehr zurückhaltenden Eindruck.

»Papperlapapp, Mister Parker. Ich habe keine Angst.«

»Weiß man, wer dieser Mister Crails ist?« schaltete sich Kathy ein;

»Ein Jockey«, antwortete Josuah Parker. »Er kam offensichtlich von einer kleinen Feier, wie die Polizei bereits am Unfallort feststellen konnte.«

»Fällt es Ihnen nicht endlich wie Schuppen von den Augen?« Agatha Simpsons Augen funkelten.

»Mylady sehen meine bescheidene Person verwirrt«, gestand Parker. Er wußte nicht, worauf seine Herrin hinaus wollte.

»Sie sollten intensiver Zeitungen lesen«, stichelte Lady Agatha genießerisch. »Geht Ihnen noch immer kein Licht auf? «

»Mylady mögen meine tiefe Zerknirschtheit zur Kenntnis nehmen«, entschuldigte sich Parker. Er wußte zwar längst, worauf sie anspielte, doch er gab sich bewußt ahnungslos. Ihm war schließlich nur zu bekannt, wie sehr Agatha Simpson diese kleinen Triumphe genoß.

»Crails ist der dritte Mann aus dem Pferderennsport, der umgebracht worden ist«, sagte sie, ihre Katze aus dem Sack lassend. »Da war zuerst dieser Trabrennfahrer, dessen Namen ich vergessen habe.«

»Mister Bob Fisher, Mylady.«

»Richtig, Fisher hieß der Mann. Und dann der Trainer, na, wie hieß er noch?«

»Cliff Roberts, Mylady.«

»Natürlich, Roberts. Merken Sie was? Aber Moment mal, woher kennen Sie plötzlich die Namen?« Sie sah ihren Butler in einer Mischung aus Überraschung und Empörung an. Ihr war aufgegangen, daß Parker wohl doch die Zeitungen gelesen hatte.

»Ich habe mir erlaubt, die von Mylady gewünschten Zusammenhänge zu begreifen«, erwiderte der Butler würdevoll und gemessen. »Myladys Wünsche werden mir stets Befehl sein.«

*

»Ich komme zufällig vorbei«, behauptete Super-Intendent McWarden, ein kleiner, stets ein wenig gereizt wirkender Yard-Mann.

»Erstaunlich, daß Sie das Haus im Nebel gefunden haben«, spottete Agatha Simpson. »Sie wollen mich doch vor dieser Rennsport-Mafia warnen, nicht wahr?«

»Mylady?« McWarden war sehr irritiert. Diese Offenheit hatte er nicht erwartet.

»Nun spielen Sie mir nichts vor«, grollte die resolute Dame. »Wahrscheinlich haben Sie sogar einen Kompaß benutzt, nur um uns zu finden. Diese Mafia existiert also?«

»Mylady, Sie arbeiten bereits an diesem Fall?«

»Natürlich«, schwindelte die Detektivin. »Es wird höchste Eisenbahn, daß dieser Augiasstall ausgemistet wird.«

»Was wissen Sie von dieser Rennsport-Mafia, Mylady? Sie wissen, daß Sie verpflichtet sind, alles, was zur Aufdeckung eines Verbrechens dienen könnte, den Behörden...«

»Schnickschnack, junger Mann«, fuhr die Sechzigjährige dem immerhin nur etwa zehn Jahre jüngeren über den Mund. »Wozu ich verpflichtet bin, brauchen Sie mir nicht vorzubeten. War der Lastwagen, der das Fahrzeug dieses Crails rammte, etwa nicht gestohlen?«

»Allerdings. Eben erfuhren wir das.«

»Und vom Fahrer keine Spur, nicht wahr?«

»Leider keine Spur, Mylady.«

»Und wie kamen Fisher und Roberts um? Na, zieren Sie sich nicht, McWarden! Sie wissen es doch genau, und wahrscheinlich wissen Sie noch viel mehr.«

»Ich bin nicht befugt, über dienstliche Ermittlungen Auskünfte zu erteilen, Mylady.« McWarden ärgerte sich. Agatha Simpson hatte ihm den Wind aus den Segeln genommen.

»Mister Bob Fisher, Mylady, erlitt einen tödlichen Unfall während eines Morgentrainings«, ließ Josuah Parker sich prompt vernehmen. »Mister Cliff Roberts hingegen, Mylady, verunglückte unter der Dusche in seiner Wohnung. In beiden Fällen konnten die Ärzte nur noch den Tod durch komplizierte Schädelfrakturen feststellen.«

»Wir unterhalten uns gleich, Mister Parker.« Agatha Simpson merkte erneut, wie gut ihr Butler informiert war. Sie sandte ihm einen fast schon giftig zu nennenden Blick zu. Dann wandte sie sich wieder McWarden zu und lächelte überlegen.

»Was Mister Parker sagt, stimmt«, räumte der Super-Intendent ein. »Also gut, ich werde Ihnen unter dem Siegel der Vertraulichkeit mitteilen, daß in den vergangenen Wochen auch zwei Rennpferde vergiftet wurden, Rennpferde, die zum Kreis der Favoriten gehörten.«

»Und wer steckt dahinter?« Agatha Simpson sah ihren Butler an, doch Josuah Parker äußerte sich nicht zu diesem Thema.

»Ich habe einen vagen Verdacht«, erwiderte McWarden vorsichtig. »Ich kann ihn nur rein privat äußern.«

»Dann tun Sie’s gefälligst«, raunzte Lady Agatha den Super-Intendenten an. »Lassen Sie sich nicht jedesmal bitten! Sie sind doch keine Jungfrau, oder?«

»Denken Sie möglicherweise an Herrn Balcott, Sir?« fragte Butler Parker unschuldig und höflich.

»Wie ... wie kommen Sie denn darauf?« McWarden erlitt einen leichten, aber quälenden Hustenanfall und bekam einen roten Kopf.

»Also ja!« Agatha Simpson nickte. »Reden Sie sich nicht heraus, McWarden! Sie haben sich bereits verraten.«

»Wie sind Sie an diesen Namen gekommen?« verlangte der Superintendent jetzt aufgeregt von Parker zu hören.

»Das möchte ich allerdings auch wissen.« Agatha Simpson schaute ihren Butler grimmig an. »Ich habe den Eindruck, Mister Parker, daß Sie mich wieder mal hintergehen.«

»Der zufällige Besuch Mister McWardens machte es mir zu meinem ehrlichen Leidwesen unmöglich, Mylady, über den Inhalt eines Telefongespräches zu unterrichten, das ich kurz vorher mit einem Informanten führte«, entschuldigte sich der Butler würdevoll. »Solch ein Fehler und Versäumnis wird sich wahrscheinlich kaum wiederholen, wie ich versichern darf.«

*

»Dieses Subjekt scheint ja wie die Made im Speck zu leben«, sagte Agatha Simpson mißbilligend.

Sie stand zusammen mit Butler Parker vor dem geschlossenen Parktor und sah auf das alte Landhaus, dessen Umrisse im dichten Nebel nur zu erahnen waren.

Gleich nach McWardens Weggang war die ältere Dame aktiv geworden und hatte darauf bestanden, Herrn Balcott einen Besuch abzustatten. Obwohl Josuah Parker äußerst dringend von dieser Fahrt abgeraten hatte, stand man nun vor dem Tor und schien einen recht günstigen Zeitpunkt gewählt zu haben.

Im Erdgeschoß des Hauses brannte wahrscheinlich jede Lampe, die man zur Verfügung hatte. Herrn Balcott schien eine Party zu geben, die dazu noch recht gut besucht sein mußte. Auf dem Parkplatz vor dem Haus standen über ein Dutzend Wagen der teuersten Fabrikate. Sie wurden von Parklichtern angestrahlt und waren recht gut auszumachen.

»Worauf warten Sie noch?« fragte Lady Simpson, als Parker sich nicht rührte. »Ich will mir diesen Balcott aus der Nähe ansehen.«

»Man bemüht sich bereits um Mylady«, erwiderte Parker und deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirmes auf eine Gestalt, die hinter einem mannshohen Strauch hervortrat und sich dem geschlossenen Parktor näherte.

Dieser Mann war nicht allein. In seiner Begleitung befand sich ein Dobermann, der leise winselte, und es wohl gar nicht erwarten konnte, sich mit den beiden Besuchern vor dem Tor befassen zu können.

»Na, altes Mädchen, woher kommen wir denn?« fragte der Mann lässig und baute sich vor dem Gittertor auf. Er war jetzt deutlicher zu erkennen. Es handelte sich um einen breitschultrigen Burschen von etwa fünfundvierzig Jahren, der wohl den größten Teil seines Lebens in einem Boxring verbracht hatte. Er hatte eine schiefe und eingedrückte Nase, das, was man in Fachkreisen ›Blumenkohlohren‹ nennt, und machte einen leicht tumben Eindruck. Möglicherweise hatte er während seiner aktiven Zeit zuviel Kopftreffer einstecken müssen. Er lispelte ein wenig.

»Na, altes Mädchen, wo kommen wir denn her?« fragte er noch mal und grinste. Er hielt Mylady eindeutig für einen speziellen Gast. »Wir haben’s mit den Ohren, wie?«

Agatha Simpson hatte sich inzwischen von ihrer Überraschung erholt, während Butler Parker zu einer Art Salzsäule erstarrt war und an dieser Pose festhielt. Es war schon ungeheuerlich, was dieser Mensch sich da erlaubte.

»Mach’ schon auf, trübe Tasse«, erwiderte die Lady und paßte sich haargenau seinem Ton an. »Und stell’ dein Schoßhündchen in die Ecke.«

Diese vertraute Tonart veranlaßte den Gorilla, das Tor tatsächlich aufzusperren.

»Hast dich aber mächtig ’rausgeputzt«, sagte er anerkennend. »Und was is’ das für ’ne Type?«

Er zeigte auf Josuah Parker, der stocksteif hinter seiner Herrin stand.