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Chris von Rohr
Sternenstaub

Chris von Rohr

Sternenstaub

Die besten Kolumnen

Giger Verlag

1. Auflage 2011
© Giger Verlag GmbH, CH-8852 Altendorf
Tel. 0041 55 442 68 48
www.gigerverlag.ch
Lektorat: Monika Rohde, Leipzig
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie, Zürich, unter
Verwendung eines Motives von © Chris von Rohr/Mark Fox
Layout und Satz: Roland Poferl Print-Design, Köln
e-Book: mbassador GmbH, Basel
Printed in Germany

ISBN 978-3-905958-10-2
eISBN 978-3-907210-60-4

VERMÄCHTNIS

Willst du, dass deine Kinder gewinnen,
lehre sie, zu verlieren.
Willst du, dass sie glücklich sind,
lehre sie, traurig zu sein.
Willst du, dass sie gesund sind,
lehre sie, krank zu sein.
Willst du, dass sie viel haben,
lehre sie, mit Wenigem auszukommen.
Eltern, die Misserfolge vertuschen, Verluste leugnen
und sich ob ihrer eigenen Schwächen verachten,
können ihren Kindern nichts beibringen.
Eltern jedoch, die sich
in ihrer ganzen Menschlichkeit zeigen,
werden zu Helden.
Denn Kinder schauen auf diese Eltern
und lernen, sich selbst zu lieben.

WILLIAM MARTIN

Für alle Kinder
und Jene, die jeden Tag aufstehen,
um ihr Bestes zu geben.

INHALT

Der Götterfunken

Sie liebt mich, sie liebt mich nicht!

Von der Unanständigkeit der Sprache

Wunschzettel meiner Nase

Weniger ist mehr

Heidiland sucht the next Superchris

Die gestürzten Lehrer

Die Kuschelkrise

I phone, also bin ich

Kauf jetzt – bezahle nie!

Geist ist geil!

Lasst sie schreien!

Das Spiel

Von Zeilen geschlagen

Kebab u ke mam

Bitte einmischen!

Summer of love

Schönheit und Dekor

Ballade ans Alleinsein

Der Mensch dahinter

Meh Grosi!

Hundstage

Daher weht der Wind!

Die Kraft der Farben

Hallo Väter!

O Soletta mio

Zurück zur Quelle

Der Staatsstau

Meh Schnee!

Der King

Meh Dräck!

Liebesfreud – Liebesmüh

Powerfunken gegen die Armut

Auf allen Wegen ist Heimkehr

Geld oder Leben?

Der Berg ruft

Ode an Rösi!

Die Rückkehr der Marxbrothers

Ihr Lichtlein, kommet

Scheiden tut weh!

Konflikt & Konfekt

Das Leid der Tiere

Die Erfolgsfalle

O Tannenbaum

Die Lebensschnur

Ruf der Bücher

Der Klimablues

Problemfall Eltern

All you need is love

Die Steine des Weisen

Tod und Trauer

Die Denkmaschine

Verspielt oder vergamed?

Grenzenloses Wachsdumm

Nestwärme

Sternenstaub

Dufte, Sommer!

Am Anfang war der Song

Na, Alter?

Danksagung

Sternenstaub

 

DER GÖTTERFUNKEN

Der bekannteste Tänzer der Filmgeschichte, Fred Astaire, bekam nach seinem ersten Probeauftritt eine Notiz des Aufnahmeleiters: »Spielt schlecht, ist etwas kahlköpfig und kann ein bisschen tanzen!« Astaire bewahrte diesen Zettel zeit seines Lebens über dem Kamin in seinem Haus in Beverly Hills auf. Walt Disney wurde mangels guter Ideen von einem Zeitungsherausgeber gefeuert und ging mehrere Male bankrott, bevor er die Welt mit seinen Zeichentrickfilmen, Comicfiguren- und Vergnügungsparks verzauberte. Der Überphysiker Albert Einstein wollte nicht sprechen, bevor er vier Jahre alt war, und konnte erst als Siebenjähriger lesen. Seine Lehrer beschrieben ihn als geistig langsam, ungesellig und dauernd in seine törichten Träume abschweifend. Er wurde von der Schule gewiesen und es wurde ihm der Zugang zur Technischen Hochschule Zürich verweigert. Gleichwohl entwickelte er später die bahnbrechende Relativitätstheorie und bekam 1921 den Nobelpreis. Thomas Alva Edisons Lehrer sagten, er wäre zu dumm, um etwas zu lernen und trotzdem wurde Edison einer der grössten Erfinder der Welt. Auch der Schriftsteller Leo Tolstoj, der mit »Krieg und Frieden« und »Anna Karenina« Literaturgeschichte schrieb, fiel an der Hochschule durch, wurde als lernunfähig und -unwillig beschrieben. Winston Churchill blieb in der sechsten Klasse sitzen. Nach einem Leben voller Niederlagen und Rückschläge wurde er mit zweiundsechzig Jahren Premierminister von England und er führte sein Land glorreich durch den zweiten Weltkrieg.

Kennen wir nicht ähnliche Zurückweisungen aus unserem eigenen Leben? Wie oft musste ich von meinen Vorgesetzten oder Lehrern Sätze wie diesen hören: »Das geht nicht, führt zu nichts, das kannst du nicht machen, vergiss es, Sohn, was soll nur aus dir werden? Musik ist wie Zirkus, davon kannst du mehr schlecht als recht leben, und besonders talentiert bist du auch nicht!« Die Autoritätspersonen in meinem Umfeld wollten mich und meine Träume brechen. Trotzdem bin ich meinen eigenen Weg gegangen. Nicht, dass ich mich etwa mit den oben genannten Persönlichkeiten in eine Reihe stellen möchte, aber immerhin gelang es mir nach einer langen Durststrecke, meine Träume zu verwirklichen: Ich konnte auf den grossen Rockbühnen der Welt spielen, traf meine Idole, erreichte Gold und Platin in Amerika und Kanada, schrieb ein paar Hitsongs und drei Bücher, coachte erfolgreich verschiedene Bands, war als Süsswasserpirat beim Fernsehen, hatte eine eigene Radioshow, rocke seit Jahren wieder mit Krokus und kann von der Musik gut leben.

Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar, schrieb einst Antoine de Saint-Exupéry in seinem Klassiker »Der kleine Prinz« so treffend. Egal, wie klein sie dich machen, ich glaube, dass es sich lohnt, der inneren Stimme, dem eigenen Plan mehr zu trauen, als dem, der uns gerne von Wiederkäuern und Besserwissern hineingedrückt wird. Häufig steckt da eigennützige Berechnung, Minderwertigkeit oder Neid dahinter. Ausser bei der Elternschaft. Verständlicherweise sorgt sie sich darum, ob ihre Nachkommen dereinst eigenständig im Leben bestehen können. Da kann man schon mal etwas nervös werden oder überreagieren. Dennoch – um im Leben Zufriedenheit und so etwas wie Erfüllung zu erlangen, muss jeder von uns selber spüren, wohin er gehört, seine eigene Disziplin und Gewichtsklasse finden, ergründen, wer er ist und den gewählten Pfad dann mit tollkühner und unerschrockener Konsequenz verfolgen. Dranbleiben ist alles. Das ist oft hart, denn es gilt immer wieder Rückschläge zu überwinden. Aber gerade in schwierigen, scheinbar aussichtslosen Situationen finden wir ihn wieder, diesen Götterfunken in uns. Die alte Weisheit stimmt: Das einzig wirkliche Risiko im Leben ist die Gesundheit – alles andere ergibt sich.

In einem Bangkoker Tempel gibt es einen drei Meter hohen, massivgoldenen Buddha. Er wiegt zweieinhalb Tonnen, wird auf 170 Millionen Franken geschätzt und von allen Besuchern bestaunt. Daneben liegen Tonstücke in einem Glaskasten und auf einem handgeschriebenen Dokument steht die Geschichte dieses landesweit bekannten Wahrzeichens: Im Jahr 1957 musste eine Gruppe von Mönchen einen grossen Tonbuddha in ein anderes Kloster umsiedeln. Während des Transports fiel Licht auf einen kleinen Riss der Statue und ein Mönch bemerkte, dass ein ungewöhnlicher Schimmer aufblitzte. Er fand das seltsam, liess den Transport stoppen, holte Hammer und Meissel und begann, den Ton abzutragen. Nach vielen Stunden Arbeit stand er einem massivgoldenen Buddha gegenüber. Historiker glauben, dass Priester vor vielen Hundert Jahren aus Angst vor feindlichen Angriffen den goldenen Buddha einfach mit einer Tonschicht bedeckt hatten, um ihn vor Raub und Schändung der Burmesen zu schützen. Dadurch blieb er im Besitz des damaligen Siam und überlebte sämtliche Kriege und Plünderungen.

Diese kleine Geschichte lässt sich leicht auf uns übertragen. Sind wir nicht alle wie der Tonbuddha – bedeckt mit einer Hülle aus Härte, einer Panzerung, einem Schutzwall, der aus Angst vor Verletzungen entstand? Irgendwo auf dem Weg, zwischen Geburt und Pubertät, je nach Bewusstseinsstufe der Eltern und Lehrerschaft, wird dieser Götterfunken überdeckt und unser natürliches Selbst zugeschüttet. Darunter ist aber jeder ein goldener Buddha oder ein goldener Christus und in ihm steckt ein goldener, unzerstörbarer Wesenskern. Ähnlich wie der Mönch mit dem Meissel, können wir unseren wahren Kern wieder neu entdecken – wenn wir uns wirklich danach sehnen oder vielleicht schicksalsmässig dazu gezwungen werden. Es lohnt sich, denn wenn das innere Feuer glüht, nehmen wir vermeintliche Hindernisse mit links, entwickeln eine erstaunliche Triebkraft und bleiben auf der persönlichen Spur unseres einmaligen Lebens.

 

SIE LIEBT MICH, SIE LIEBT MICH NICHT!

Die Japaner feiern das Kirschblütenfest. Ich hätte auch gern so ein Fest. Denn ich möchte auf keinen Fall riskieren, dass sich die hiesigen Blüten vernachlässigt fühlen und unter dem Eindruck zu leiden haben, dass sie weniger wert seien als diejenigen anderer Länder. Es muss zwar nicht unbedingt die Kirsche sein. Lassen wir die den Japanern – ebenso, wie die Tulpen den Holländern. Aber ein Fliederfest könnten wir doch feiern oder wenigstens ein Löwenzahnfest. Die Krokusse werden ja in anderem Zusammenhang gewürdigt.

Dürfte ich auswählen, würde ich mich allerdings für ein Margritli-Gänseblümchen-Massliebchen-Tausendschön-Fest entscheiden. Ein kleines bisschen wegen der allerliebsten Kränzchen, die mir mein erster Schatz in Kindertagen daraus geflochten und aufs lockige Haar gesetzt hat, aber hauptsächlich wegen der Sache mit dem Orakel. Für scheue und deswegen blutende Frühlingsherzen ist es ein sinnlicher Akt: Der heimliche Verehrer setzt sich unter dem Druck seines kaum mehr auszuhaltenden, überschäumenden Begehrens im Schneidersitz mitten auf eine Wiese und pflückt ein Margritli. Dann zupft er behutsam und gemächlich von diesen weissen Blütenblättchen eines nach dem anderen aus der goldgelben Blütenmitte heraus und murmelt dazu: »Sie liebt mich, sie liebt mich nicht …« Dabei betet er innerlich, dass Amor über ihm kreisen und das letzte Blütenblatt den positiven Bescheid bringen möge. In den meisten Fällen ist das Resultat erfreulich sicher nach dem dritten Mal. Das stärkt den verunsicherten Romeo derart, dass er seine Ablehnungsängste überwindet und sich auf den Weg macht, um seiner Angebeteten endlich die im Geiste längst ausformulierte Liebeserklärung auszusprechen. Im Erfolgsfall wird er damit von der grausamen Unterdrückung seines inneren Feuers erlöst.

Wenn man bedenkt, auf wie viele liebestrunkene Stunden die Menschheit ohne die Ermutigungen dieses kleinen, einfachen Pflänzchens verzichten müsste, dann kommt man zum Schluss, dass ein Margritlifest mehr als nur seine Berechtigung hätte. Im Grunde wäre sogar ein Friedensnobelpreis gerechtfertigt. Denn wer die Liebe lebt, hat kaum Bedürfnisse boshafter Natur. Ein Mensch, der sich und die Welt ins Herz geschlossen hat und von Hause aus gestärkt ist, hat die Gelassenheit, das zu akzeptieren, was er nicht ändern kann, und die Kraft und den Mut, das zu verändern, was er verändern kann – egal, was die anderen sagen. Wenn die Seele gesund ist, sind auch der Körper und der Geist robuster. Folglich ist das Gänseblümchen nicht nur gegen konkrete Gebrechen wie Akne, Asthma oder Frauenleiden, sondern in globalem Sinne medizinisch wirksam. Und dazu auf dem Teller ebenso schmackhaft wie dekorativ.

Seit ewigen Zeiten besteht eine mystische Vorstellung eines Paradieses, eines unerreichbaren, entrückten Garten Edens. Ein Garten, der alle Bedürfnisse deckt und den Menschen mit allem versorgt, was ihn glücklich und zufrieden macht. In fast allen Religionen kommen solche Gärten vor. Seit Anfang der Gartenkunst haben Menschen versucht, solche Gärten im Diesseits anzulegen und die Paradiesbeschreibungen auf Erden umzusetzen. Mein Gott, man könnte sein ganzes Leben nach der vollkommenen Blüte suchen, es wäre kein verschwendetes Leben! Buddha sagte einst: Wenn wir das Wunder einer einzigen Blume wirklich sehen, dann kann dies unser ganzes Leben verändern! Wie wahr! Die Unschuld der Natur, das Schwingen von Farben, auch inmitten eines schweren, problematischen Lebens, kann zu jeder Stunde wieder Glauben und Freiheit in uns schaffen.

Es ist für mich jedes Mal ein Highlight, wenn unser Tochterkind jede Veränderung im Garten, sei sie noch so klein, feiert und mir den wöchentlichen selbst komponierten Blumenstrauss bringt. Schon meine geliebte Mutter selig hatte dieses Feeling für herrliche Blumenarrangements. Ich betrachte dann diese bunten Wunderwerke ihrer Enkelin und sehe meine Mutter wieder vor mir – sie strahlt. Es waren die seltenen Momente, wo ich sie wirklich selbstvergessen und glücklich sah. Noch heute verbinde ich gewisse Blumen und ihre Strahlkraft mit ihr. Ich sehe sie in den Blumen, was mich an das Zitat des italienischen Dichters und Philosophen Dante Alighieri erinnert: »Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben – Sterne, Blumen und die Kinder.«

Menschen sind eben auch Blumen. Manche wurzeln tief und andere breit, wieder andere haben nur schwache, kleine Wurzeln. Manche Sorten benötigen das Bad in der Menge, sodass sich der Einzelne unserer Aufmerksamkeit entzieht. Andere setzen sich derart gekonnt in Szene, dass man kaum vorbeigehen kann, ohne sich nach ihnen zu bücken. Gewisse Raritäten aber wissen ihre Schönheit in weiser Vorsicht vor dem oberflächlichen Betrachter zu verbergen und lassen sich nur mit Musse entdecken. Es gibt Schluckspechte und solche, an denen die grösste Dürre und der härteste Winter scheinbar schadlos vorüberziehen.

Den schamlosesten Territorialkämpfen zum Trotz findet sich für fast jeden ein Plätzchen in der endlosen Weite unseres Planeten. Und alle diese Dinge geschehen nur aus einem Grund: Ein Samenkörnchen, unscheinbar klein, kann Ursprung einer grossen Geschichte sein!

 

VON DER UNANSTÄNDIGKEIT DER SPRACHE

Die TV-Casting-Sendungen haben mir nebst den üblichen Nebengeräuschen viel Freude, Zuspruch und anständigen Sold gebracht. Unzählige positive, ermunternde Briefe und Mails voller Begeisterung und Herzoffenheit. Vor allem von Kids und Älteren. Aber es gab auch ein paar fragende und kritische Stimmen. Der Brief vom Lehrer Markus M. steht für einen dieser Art: »Lieber Chris, deine Arbeit als Juror bei MusicStar und als Musikproduzent schätze ich sehr – deine direkte Art, deine Offenheit und deinen Charme auch. Aber deine Sprache finde ich einfach sexistisch, frauenfeindlich und vulgär. Das hast du doch gar nicht nötig. Würdest du mir empfehlen, einfach zu akzeptieren, dass in unserer Sprache, die die Jungen von heute sprechen, immer mehr ›gefuckt‹ und ›getittet‹ wird und alles immer ›megageil‹ sein muss?«

Meine Sprache ist unanständig? Kommt darauf an, wie man’s sieht. Ich kreiere diese Wortkombinationen meist aus einer bestimmten Energie heraus, nämlich aus einer spielerischen, positiven, freudigen. Gerade die Kinderseele spürt sehr wohl, ob wir aus einem hassvollen Fluch oder eben aus einem Jubelanlass Wörter und Aussagen raushauen. Dazu kommt: Ich bin Musiker und bei mir muss es einfach grooven. Keith Richards von den Rolling Stones hat einmal gesagt »Baby« und »Fuck« sind Wörter, die im täglichen Gebrauch neben vielen anderen akustischen Stolpersteinen einfach so schön swingen. Ich weiss genau, was er meint. C’est le ton qui fait la musique. Man darf das auch nicht immer zu wörtlich, zum Nennwert, nehmen. Also »Baby« ist nicht gleich Kleinkind. Und mit »Fuck« ist nicht gleich Geschlechtsverkehr gemeint, sondern eher eine Verstärkung von etwas, was einen überaus freut oder nervt, wie zum Beispiel in Mundart das mittlerweile abgelaufene »schampar«.

Ich habe festgestellt, dass etwa Frauen, die mit dem Wort »Baby« Mühe haben, entweder einen leicht verkrampften Minderwertigkeitskomplex (sie wollen ja nicht verniedlicht werden) oder oft einen übersteigerten Emanzipationsdruck haben. (Baby suggeriert für sie schon die erniedrigende spielzeugmässige Sexopferrolle). Kurz, sie deuten dieses Wort im Grunde komplett falsch. Eigentlich ist es nämlich wie vieles aus meiner Sprachapotheke als buntes, manchmal vielleicht keckes, aber sicher herzliches Kompliment gedacht. Auch der viel zitierte Klassiker »affenhodentittengeil« ist von mir eigentlich als Kose- und Schwärmwort gedacht. Ganz einfach, weil es so schön rollt. Ist meine Sprache deswegen unanständig? Sie ist es nicht, weil mein Ton es nicht ist. Die Sprache selber ist sowieso nie für sich allein genommen gewalttätig, böse oder unanständig. Sie ist nur ein Transportmittel, ein Abbild eines Zeitgeistes, insofern vielleicht die Überbringerin der guten oder schlechten Nachricht, aber nicht die Nachricht selbst. Wie vieles im Leben kommt es auf das WIE und die gesunde Balance an.

Ich würde auf keinen Fall erniedrigendes Vokabular menschenverachtend verwenden, da ich die Menschen verstehe und achte. Die paar gröberen Ausdrücke, die ich verwende, sind durch ihren häufigen Gebrauch bereits »eingesoftet« und harmlos, gemessen an dem, was man jeden Tag auf der Strasse hört. Und überhaupt: Haben wir damals als Kinder nicht genauso grob und nervig geredet? Haben wir uns nicht erst recht »Schafseckel«, »Pfiffä«, »Pigger«, »Arschkantäfilet«, und »Blöffsack« ausgeteilt, weil man es uns verbot und wir damit so schön die Älteren ärgern konnten? Hatten wir’s nicht auch schon vom »Vögle« vom »Wichse« und vom »Bürschte«? Ist deswegen die Welt untergegangen? Nein. Das kam und ging wie das Fieber. Der einzige Unterschied mag sein, dass die Gassensprache heute mehr auch in den Medien, in der offiziellen Sprache durchschlägt. Ob das eine Verrohung oder einfach ein Akt der Ehrlichkeit ist, darüber kann man sich streiten. Klar ist: Die Welt und die Sprache sind in ständiger Bewegung und nichts ist mehr so, wie es einmal auch nicht war. Also, meine lieben Sound- und Wortpolizisten, macht euch lieber einmal ernsthaft Gedanken über das Blut, die Gewalt und die Vergrobung in dieser Welt, draussen wie drinnen, am Fernsehen und in den Familien. Bekanntlich schocken solche Bilder und Töne die Kinder dann wirklich in ihren Grundfesten.

Den Sprachzerfall, wie es das Bildungsbürgertum beklagt, gibt es nicht, das reine Schweizerdeutsch erst recht nicht mehr. Das ist nur eine Jugendsprache, die viele Erwachsene nicht mehr verstehen und auch nicht verstehen müssen. Heute mag der Jugo- oder Balkanslang »voll krass monn wotsch Schlägerei is Gsicht du Doppelnull?«, in sein, morgen etwas anderes. Who cares? Meiner Meinung nach brauchen Sprachen weder künstlichen Schutz noch ethnische Säuberung. Alles ist im Fluss und vergänglich, das ist das Leben. Die Menschen sollen so reden wie ihnen der Schnabel gewachsen ist – no rules! Then again, es ist weniger der Inhalt als der Sound, den ich verehre. Ich liebe es, englische Wörter in einen Satz einzuflechten, wenn dieser dadurch schöner, bunter und origineller wird. Thats all folks! Got it?

Und eines ist auch klar: Die wirklich hässlichen Ausdrücke sind nicht die vordergründig platt-groben wie »sackstark«, »fucking« oder »geili Rockgörä, Bitches, Huerescheiss«, nein, sondern diejenigen, die sich so ganz fein und geschmeidig geben, so hübsch unverfänglich tönen und damit clever die Bösartigkeit ihrer Botschaft übertünchen: »Downsizing«, »Gewinn-Optimierung«, »Human-Resource-Restrukturierung« heisst es da im Wirtschaftsjargon. Das tönt nett, meint aber, dass Menschen entlassen werden, dass Familien leiden, dass soziales Elend ausgelöst wird. So betrachtet, wird ein völlig neutraler Ausdruck wie »verdienen« plötzlich zynisch. Oder haben unsere Top-Manager, die zwanzig Millionen Franken Jahressalär haben, sie wirklich auch verdient?? Diese unglaubliche, ungerechte Falschverteilung von grossen Geldern weltweit gibt uns allen zu denken.

Ich für mich wähle weiterhin lieber Klartext als Verschleierung und falsche Schönrederei. Lieber ein harmloser »dräckiger«, aber herzvoller Ausdruck, als einer, der hochanständig klingt, doch Hochunanständiges meint. Lieber fadengerade offen, als hintenrum verlogen – auch wenn meine liebste Grossmutter, Gott hab sie selig, das verständlicherweise nicht immer witzig und anständig finden würde.

 

WUNSCHZETTEL MEINER NASE

Der Ausflug zum Weihnachtsmarkt ist eines meiner jährlichen Highlights. Die Lichter und der putzige Krimskram erfreuen mich, obwohl es jedes Jahr dasselbe ist: Die immergleichen Chrömli-, Tassen- und Christbaumkugelstände. Es ist Teil des ganzen Weihnachtsrituales, mir das anzusehen. Ich brauche auch nichts zu kaufen, um glücklich wieder heimzukehren. Es geht mir wie den Kindern, die eine Gutenachtgeschichte zwanzigmal hören wollen, obwohl sie sie längst auswendig kennen. Ich fahre also dorthin, ohne die feste Absicht, etwas erstehen zu wollen und ohne die Erwartung, Neues zu sehen. Ich bin sogar froh, alles immer wieder so anzutreffen, wie ich es in Erinnerung habe. Einen Tag nichts Neues gebären, verarbeiten oder bekämpfen zu müssen, das ist sicher ein Teil des Geheimnisses. Das ultimative Glückserlebnis findet aber über die Nase statt: Auf meinem Rundgang komme ich am Stand vorbei, wo’s feine Crêpes gibt, dann Feuerzangenbowle, frische Riesenbrezeln und die süssen Zimtsterne, die meine Tochter so liebt. Es riecht da und dort nach Lebkuchen, Zimt und Vanille und in den herzig kitschigen und urchigen Bretterbeizen nach verschiedenen Suppen, Kaffee und Glühwein. Das Schlaraffenland der Düfte! Dieses Erlebnis braucht Zeit. Man kann nicht alles inhalieren, wenn man kurz vor Feierabend durch den Markt hetzt. Schlendern ist angesagt. Luege, lose u schmöcke.

Aber oh weh! Welche Dreistigkeit, wenn plötzlich, mitten in diesem Wintermärchen, ein Wesen an einem vorbeidrängt, das eine Rexona-, Old Spice-, Moschus-, oder noch viel schlimmer, eine Haarlackfahne mit sich herumschleppt! Unzumutbar! Wo bleibt da die Eingangskontrolle? Störenfriede werden doch sonst auch von der Securitas hinausbefördert. Macht niemand Duftmessungen? Überhaupt: Warum haften die Moleküle dieser Chemiedüfte so lange an? Hätten die nicht schon bei der Anreise abgestreift werden sollen? Was machen die eigentlich mit unserer Haut? Wie lange dauert die Halbwertzeit dieser Amokdeos? Bei anderen chemischen Substanzen gibt’s doch auch Dosierungsvorschriften? Fragen über Fragen.

Die Werbung will uns verunsichern und weismachen, dass man durch Parfüm erotisch auf andere wirkt. Warum wird mir dann übel, wenn so ein mit Kunstgeruch mumifizierter Mensch an mir vorbei geht? Mich erinnert das Deoproblem an ein Tonband. Warum? Wer sich das erste Mal hört, findet seine Stimme horrormässig, weil er sich vorher nie von aussen gehört hat. Und er kommt sich so fremd, ohne Eigenresonanz vor! Beim Körpergeruch ist es genauso. Normalerweise riecht man sich selber kaum. Aber irgendwann in der Pubertät hat man plötzlich realisiert, dass da manchmal etwas schweisselt und böckelt. Es riecht nach Mensch. Igitt! Ich will doch wie Gott riechen, wie eine Paradiesblume!

In diesen Frust steigt die Parfümbranche ein und sprayt uns mit Präparaten von Rosen, Lilien und semigiftiger Chemie zu. Ich liebe feine Düfte und es gibt ein paar wirklich gute, aber bitte nicht diese aggressiv designten Killerparfüms! Früher hat man derartig riechende Hygieneartikel leicht verschämt in die WC-Schüssel reingehängt. Heute schmiert sich der geneigte Broker, der nicht stinken darf, wenn’s ihm stinkt, ganz Ähnliches unter seine Achsel des Bösen.

Als Skorpion und Rocker gehöre ich nicht unbedingt zu den Chefdiplomaten dieses Landes. So kann es passieren, dass ich einer Frau fürs zweite Treffen vorschlage, sie solle bitte ganz ohne, möglichst nature erscheinen. Den Sensiblen brauche ich das gar nicht erst zu sagen. Sie haben begriffen, wie man fremde Düfte einsetzt – sicher nicht als Spraywaffe! Solche braucht man gegen Mücken und zur Abwehr von aufdringlichen Männern. Nein, die Frau, die ich mag, geht mit einen genialen Duft so um, dass man ihn erst auf den dritten Atemzug sanft wahrnimmt, wenn man ihr nahe kommt. Meine eigene Haut riecht, wenn ich dem zarten Geschlecht glauben kann, nach Karamell. Das soll und darf so bleiben. Denn ich bin sicher, dass ich mit meiner diskreten Körperaura niemandem die vorweihnachtliche Stimmung zu versauen vermag.

Also, liebes Christkind, meine Nase wünscht sich einen achten Bundesratssitz und ein weiteres Departement: das BUSCHOLS – das Bundesamt zum Schutz des olfaktorischen Sinnes. Die ausschliessliche CO2-Ausstossbekämpfung reicht mir nicht. Dann könnte ich wieder in Ruhe essen gehen, befreit zu Weihnachtsbazaren pilgern und den Riechzellen die wohlverdiente Ekstase gönnen, ohne den Frust eines Coitus Interschnupfus bewältigen zu müssen.

Ihnen, meine lieben Leser, wünsche ich friedvolle und dufte Festtage und empfehle Ihnen das Beste aller Parfüms: leicht angebrannte Tannennadeln …, aber Vorsicht!

 

WENIGER IST MEHR

Ich habe es wieder einmal geschafft. Nach einer siebenstündigen Reise nehme ich die letzte Kurve über den letzten Hügel von Süd-Kreta und stosse ein freudiges »Yesss« aus. Da ist sie: Meine heissgeliebte Bucht in der Wiege Europas, umsäumt von wilden Felsen, rotbrauner Erde und ein paar unförmigen weissen Häusern. Nur wenige wissen davon und die, die hierher kommen, sind einfache Menschen, Individualisten, schräge Vögel. Der vom Alltag geplagte Standardtourist bevorzugt eher die rausgeputzten Hotelkäfige, die in den Katalogen günstig als Familien-all-you-can-eat-and-drink-and-erleb-Wohlfühlresorts angepriesen werden. Meistens braucht man danach Ferien von den Ferien und hat gar kein echtes Gefühl der Erholung oder gar des Zusichfindens erlebt. Schade.

Nicht so in Agios Platos. Da wird gar nichts angepriesen oder beworben. Man bewegt sich locker auf der Null-Stern-Ebene und die Menschen finden nur durch Mundpropaganda hierher. Wenn du dich auf die Einfachheit und Kargheit dieser Umgebung einlässt, fehlt dir bald gar nichts mehr. Der Trick heisst: Back to the roots – zurück zu den Wurzeln. Wir konsumverwöhnten Dauerzapper und Hochstromakrobaten können hier erfahren, was es heisst, mit weniger zufrieden zu sein. Alles, was es braucht, ist ein offenes Herz, etwas Flexibilität und ein paar Euro. Nach kleiner Angewöhnzeit (Wasser muss abgekocht werden, Toilettenpapier darf nicht ins WC geworfen werden, kein Internetempfang, relativ salzloses Brot und Duschen nur zwischen 19 und 20 Uhr), zieht es dich rein. Du wirst auch ein Stück Kreta pur. Jeden Tag etwas mehr. Die gastfreundlichen, offenen Griechen machen es einem auch leicht. Sogar als nichtkretisch sprechender Rockdruide geniesse ich das »Ené-méné-mono-Spiegelei« und die wild fuchtelnden Gestiken zu »entax-dio-mio-gut?«. Am Schluss verstehen wir uns immer, auch wenn mal Fisch anstelle der Spagetti auf dem Tisch liegt oder ich mal selbst in der Küche Hand anlegen muss. In der Pension Nicoletta bekommt jeder, was er braucht.

Warum kehre ich immer wieder an diesen Ort zurück? Was mich dort am meisten beeindruckt, sagte der grosse griechische Dichter Nikos Kazantzakis so: »Kretas Geheimnis ist tief; wer seinen Fuss auf die Insel setzt, spürt eine seltsame Kraft in die Adern dringen, die dir die Seele weitet.« Das stimmt wirklich. Wir sprechen hier von einer besonderen Lebensqualität. Wenn dir die ganz in Schwarz gehüllte Frau auf ihrem Esel zuwinkt, spürst du, dass sie dir sagen will: Nein, Fremder, ich kenne dich zwar nicht, aber ist das ein Grund, dass zwei Menschen achtlos aneinander vorbeigehen? Und wenn ich meinen griechischen Freund Dimitros, in dessen Herberge ich immer logiere, frage, warum das Wasser immer noch mit langen Schläuchen den Strassen entlang über die Berge in die Dörfer transportiert wird, sagt er nur: Good water, Christos, good water. Drink!

Auch meine Tochter Jewel tauchte voll in den einfachen, puren Reichtum dieser Umgebung ein. Dadurch, dass scheinbar gar nix passiert, werden die kleinen Dinge plötzlich gross: Wie die schönen, vielfarbigen Steine, die verschiedenen Farbtöne des Meeres, das Treibgut am Strand, die feine Form der Eukalyptusblätter, die berauschenden Rottöne der Bugalien, die mageren, flinken, zerzausten Schafe, das Seemannsgarn oder der Absturz eines Lämmergeiers ins Wasser werden zur Sensation. Ja, Jewel war hier in ihrem Element. Sie wollte ein Steinmannli oder eine Sandgitarre bauen, woran sie dann möglicherweise scheiterte und Kurs auf etwas Realistischeres nahm. Das finde ich bei Kindern immer so toll. Erst wollen sie Nemos Aquarium aus Tannzapfen bauen, dann aha, geit nid … auso, de machemer haut e Schiffshafe u versänke Schiffli … hüufsch? Hier brauchte es keine zusätzliche Unterhaltung, kein TV, keine kurzlebigen Wegwerfnews, kein Disneyland. Man wird automatisch ruhig und seelenfroh. Langeweile und Abstumpfung gibt’s ja eh nur, wenn’s zu viel von allem und nichts wirklich Nahrhaftes gibt.

Eigentlich wollte ich das kleine Büchlein vom Ozeanpianisten, das mir Kuno Lauener geschenkt hat, lesen. Und trotz des grossartigen ersten Satzes: »Es passierte immer wieder, dass auf einmal einer den Kopf hob … und es sah«, oder vielleicht gerade wegen diesem Satz, hob ich dann meinen Kopf und las nicht weiter und sah es: Das Unermessliche, das Grenzenlose. Das, was sich mir hier und jetzt anpries.

Ich durfte diese einmaligen Tage, diese perfekte, einfache Schönheit, mit meiner Tochter und Lebenspartnerin teilen, und als die zwölf Feigen, die wir für die ebenso vielen Inseltage gesetzt hatten, gegessen waren, stellte ich fest: Näher war ich selten an der Wahrheit dran. Daran konnten auch die paar Stürme, die über uns hinwegfegten, nichts ändern. Kreta hatte uns verzaubert … und wieder mal die Lektüre keines einzigen Buches zugelassen. Wozu auch? Wenn du mit den richtigen Menschen am richtigen Ort, mit dem Meer, den wilden Katzen, der Sonne, den Sternen, dem Wind, kurz, mit der Natur vereint bist, braucht es keine Bücher mehr. Du bist angekommen, dort, wo du herkommst und irgendwann einmal wieder zurückkehrst: Zur Mutter Erde. Ich gönne dies jedem gehetzten, erschöpften Menschen. Calispera, Freunde, calispera, das Schönste im Leben ist einfach und kostet nicht viel. Wer am wenigsten will, ist den Göttern am nächsten, meinte Sokrates. Wer will ihm da widersprechen?

 

HEIDILAND SUCHT THE NEXT SUPERCHRIS

Wenn ich wieder mal einen Schwächeanfall habe oder der kollektive Weltschmerz an mir zerrt, denke ich, ich sollte mich möglicherweise langsam damit befassen, meinen Nachlass zu regeln und einen Nachfolger zu suchen. Ich weiss auch schon wie. Castingshow – what else? Jeder, der bei Heidi Klum nicht in die Kränze kam, darf sich bei mir vorstellen. Heidi bekommt die Schaufensterpuppen und ich die wahren Schönheiten.

Bis vor Kurzem hatte ich ein gutes Gefühl beim Namen Heidi. Ich dachte an diese herrliche Geschichte von Johanna Spyri, an die Berge, an Zöpfchen, an feines weisses Brot und an ein kleines, freches, lebendiges Mädchen. Blöderweise steht heute derselbe Vorname für diese blonde, kalte, teutonische Knallcharge. Ich gebe es zu, das gestrenge, unschöne TV-Model »mit dem laubgesägten Gouvernantenprofil, die kleine Mädchen zum Weinen bringt« (Roger Willemsen), hat mich schon immer befremdet. Ich sehe nur Dollarzeichen in ihren Augen und Heidis Umgang mit den Möchtegernmodels, denen sie einen Traum verkaufen will, den es so gar nicht gibt, ist mehr als fragwürdig. Das wäre ja weiter nicht so wichtig, wenn nicht Tausende von ganz jungen Menschen diesen von ihr verbreiteten antiseptischen, desinfizierten Schönheitsidealen, die sie eh nie erreichen können, mehr krampfhaft als freudig nacheifern würden, und dann im Ernst noch glauben, dies sei der wahre, neue Beauty-Gospel. Ich kann dazu nur sagen: Bleibt euch selbst treu, schöne Schweizer- und Germaninnen!

Ja, die Sache mit der Schönheit ist eine Religion für sich. Jeder Mensch legt sich dafür mehr oder weniger ins Zeug. Für uns Männer hält sich der Aufwand meist in Grenzen: Das Kinn entstoppeln, ein bisschen zu den Hand- und Fussnägeln schauen, damit sie keine Trauerränder tragen, die Beisserchen und das Zahnfleisch schön putzen, etwas Handcreme und ein feines Schmöcki, dann vielleicht noch die eine oder andere Liane aus Augenbrauen, Nase oder Ohren zupfen. Geschätzter Wochenaufwand: zirka eine Stunde.

Die Frauen hingegen sind einem beachtlichen Entscheidungsprozess ausgeliefert, was sie alles an sich bearbeiten (lassen) wollen. Enthaarungsprozeduren querbeet, Haare tönen, Augenbrauen und Wimpern färben, Nägel feilen, lackieren, aufkleben und wieder ablösen, mit oder ohne Bildli drauf, Gesichtsmasken, Lippenstift, Lidschatten, straffende Gymnastik, um den drohenden Zellulitis-Blues hinauszuzögern, das gelegentliche Botoxli, eventuell sogar noch das eine oder andere Silikonhämpfeli …

Bei Frauen, die sich gezwungen sehen, das volle Programm inklusive wöchentliches Kleidershopping mitzumachen, kann das annähernd zur Lebensaufgabe werden. Abgesehen vom finanziellen Unterhalt der bemühten Schönheit, beschäftigt mich der Gedanke an die zeitlichen Aufwendungen. Für so einen Rundum-Service mit allem Drum und Dran gehen doch etliche Wochenstunden drauf. Irgendwo geht diese Zeit ab. Wem wird sie gestohlen? Sich selber? Dem Freund, den Kindern, dem Job oder dem Haushalt? Der Gartenarbeit oder der Lektüre? Oder gar dem Gemeinschaftswohl?

Während man es sich – was die fleischliche Fassade betrifft – vorbehaltlos wert ist, scheint eine andere Schönheit beschämend wenig Pflege verdient zu haben: Zwei, drei laue Frühsommerabende genügen, um unsere Paradiese in Müllhalden zu verwandeln. All die lauschigen Stellen am Aareufer, die mit viel Bagage noch einigermassen bequem zu erreichen sind, werden innert Stunden mit Getränkeflaschen und Foodbehältnissen bestückt. Man bringt zwar die Kraft auf, die vollen Taschen hinzutragen, aber für den Abtransport des Leergutes ist man zu schwach. Die Vorher-Nachher-Eindrücke sind schockierend. Und man sieht Menschen an den Stränden sitzen und liegen, die ihre in mehrstündiger Akribie polierten Karrosserien präsentieren. Gepflegte Frauen und Männer hinterlassen ein Bild der Verwahrlosung. Sie nehmen in Kauf, dass sich planschende und sändelnde Kinder möglicherweise ihre Füsschen an geöffneten Konservendosen zerschneiden oder sich in eine Glasscherbe legen. Und vor allem scheinen sie blind für die Schönheit der Natur zu sein. Vermutlich wurden sie nur vom kühlen Nass angelockt und nicht vom Zauber des Ortes. Sonst wären sie bemüht, ihn mit Respekt zu behandeln.

Ein guter Wanderer hinterlässt bekanntlich keine Spuren. Um die Schönheiten anderer zu sehen, sei es Mensch, Tier oder Natur, braucht es eben kein geschminktes Auge, sondern ein gepflegtes Herz. Vielleicht sollte man dort ein bisschen sälbeln. Wenn es dann noch heisst, dass jährlich 6,4 Millionen (!) Tonnen Abfall in die Weltmeere gekippt und auf jedem Quadratkilometer mittlerweile 46000 Stück Plastikmüll verteilt werden, reichen wohl Salben nicht mehr.