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Marxistische Blätter 6_2017

Kommentar

Hoffnungsschimmer in düsterer Lage

Lothar Geisler

Aktuelles

Chronik eines angekündigten Massenmordes

Zur strategischen Lage des Koreakonfliktes

Klaus Wagener

Das Referendum im ölreichen Irak und der ausbleibende Frieden

Helmut Hammerbauer

»FREIHANDEL« – Der Widerstand geht weiter

Wolfgang Reinicke-Abel

Staatsverschuldung als Herrschaftsstrategie

Mohssen Massarrat

Thema: Klasse • Demokratie • Arbeiterbewegung

Editorial

Klassenverhältnisse heute

Heinz Bierbaum

»Es gibt keine Gesellschaft, es gibt nur Individuen«

Domenico Losurdo

Weltgewerkschaftsbund – seit über 70 Jahren aktiv gegen Ausbeutung und Krieg

Oliver Jonischkeit

TiSA und die Rechte der Transportarbeiter

Wolfgang Reinicke-Abel

Gramsci, Vygotskij und die Bewegung der ägyptischen Arbeiter

Brecht De Smet

Bolivien – Die Linke an der Macht

Linda Farthing

Mitbestimmung und Globalisierung – das Beispiel Volkswagen

Uwe Fritsch, Jörg Köther und Mark Seeger

Klinikpersonal entlasten

Der Kampf um gesetzliche Regelungen und Tarifverträge

Jan von Hagen

Gewerkschaftlicher Widerstand gegen Macron

Georg Polikeit

Das Jahrhundert des Kampfes für einen neuen postkapitalistischen Entwicklungsweg

Pierre Laurent

Organisierte Arbeiter – der politische »Ground Zero« der USA?

Bruce Bostick

G20 in der Diskussion

Hamburger Wetter

Mischa Aschmoneit

G20 und das Unrecht des Stärkeren

Bernhard Trautvetter

Positionen

Die »aggressivsten Kräfte« – wer sind sie heute?

Zur Bedeutung der Kapitalismus­kritik in der antifaschistischen Geschichtsarbeit

Ulrich Sander

Mit Luther den Kapitalismus überwinden?

Wolfgang Jantzen

Rezensionen

Jörg Miehe: Vom Schwinden der Arbeiterklasse (Herbert Münchow)

Frank Deppe: 1917 | 2017. Revolution & Gegenrevolution (Raimund Ernst)

Alfred Kosing: Aufstieg und Untergang des realen Sozialismus –Zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution (Nina Hager)

Jörg Wollenberg: Krieg der Erinnerungen – von Ahrensbök über New York nach Auschwitz und zurück (Ludwig Elm)

Reinhard Haller: Die Macht der Kränkung (Michael Stiels-Glenn)

Es schrieben diesmal

Impressum

Kommentar

Hoffnungsschimmer in düsterer Lage

Lothar Geisler

Die Bundestagswahl 2017 prägte ein Widerspruch: Vorher »Gääähn-Wahlkampf« ohne den Hauch ernsthafter »Wechselstimmung«. Hinterher Katzenjammer und Alarmismus. CDU/CSU und SPD mit historisch niedrigsten Ergebnissen. Die Partei der Besserverdienenden wieder drin. Sicher ist bei der komplizierten Regierungsbildung nur, dass arbeitende Menschen von Schwarz-Gelb mit etwas Grünstich wenig Gutes zu erwarten haben. Von »tektonischer Plattenverschiebung« ist die Rede und von »Rechtsruck«. Weil die AfD jetzt im Bundestag sitzt. Mitgegründet von abtrünnigen CDU-Stahlhelmern, gepusht von Mäzenen und Medien und gespeist aus der enttäuschten Wählerschaft aller »Volksparteien« plus mobil gemachter Nichtwähler*innen. Ohne Frage: ein »gäriger Haufen«, getrieben von viel völkisch-faschistoider Hefe, sozialer Demagogie und faktenresistentem Sendungsbewusstsein, die man nicht unterschätzen sollte. Vom Himmel gefallen sind sie allerdings so wenig, wie die Nazis vor 1933, deren Ideen samt organisierten Trägern nach 1945 nie ganz weg waren. Zumindest nicht in der westdeutschen Teilrepublik. Aber bedeutet »Rechtsruck« erhöhte faschistische Gefahr? Mitnichten. Mehr Sorgen muss uns der »Rechtsruck« der etablierten Parteien machen, wenn sie auf noch mehr Demokratie-Abbau, sprich »Sicherheitspolitik« setzen, ohne auch nur ansatzweise an »soziale Sicherheit für alle« zu denken, was das beste Mittel im Kampf gegen die AfD wäre.

Schaut man genauer auf die Wahlergebnisse der »Sonstigen« stellt man zumindest zweierlei fest: Wähler-Unmut und Suche nach Alternativen zur herrschenden Politik wurden in erstaunlichem Maße in gut zwei Dutzend »Retorten-Parteien« kanalisiert und damit wahlpolitisch neutralisiert. Und: Im Ranking der »Sonstigen« steht die DKP mit weniger als 12.000 Zweitstimmen ziemlich am Ende der Bedeutungsskala. Auch die MLPD dümpelt seit Jahren bei unter 30.000 WählerInnen. Zuletzt war die DKP bei Bundestagswahlen 1983 wählbar und erhielt damals ca. 65.000 Zweitstimmen (0,2%). Die vom DKP-Parteitag demokratisch beschlossene Orientierung auf eine möglichst flächendeckende Kandidatur konnte 2017 nicht umgesetzt werden, a) weil die DKP im Osten zu wenig an den Hacken hat und sich b) im Westen einige DKP-Bezirksvorstände gegen die Eigenkandidatur stellten. Die dadurch provozierte Bewährungskrise der DKP ist noch lange nicht ausgestanden.

Also: kein Silberstreif am Horizont? Keinerlei Hoffnungsschimmer? Ich finde nicht. Der Jubelausbruch, der am Wahlabend auf die Ankündigung von Martin Schulz folgte (»Wir gehen in die Opposition!«), kam aus tiefster, geschundener Sozialdemokraten-Seele. Wie realistisch Hoffnungen auf eine Erneuerung, besser Re-Sozialdemokratisierung der SPD sind, wird sich zeigen. Noch ist weder glaubwürdiges Personal, noch Programmatisches in Sicht. Hoffnung setzen darf man zumindest auch darauf, dass die bundesdeutschen Gewerkschaften jetzt wieder auf mehr autonome, widerständige (Klassen-)Interessenvertretung setzen, ohne Gängelband der SPD bzw. Rücksichtnahme auf deren Regierungsgeschäft. Hoffnung macht vor allem, dass die Partei Die LINKE ihre Verluste im Osten (minus 270.000 Stimmen), durch Zugewinne im Westen (rund 800.000 Stimmen) mehr als wettgemacht hat. Hauptsache, sie lernt ihre Lektion aus beidem und widersteht den Sirenen-Gesängen von Frau Nahles.

Aktuelles

Chronik eines angekündigten Massenmordes

Zur strategischen Lage des Koreakonfliktes

Klaus Wagener

»Rocket Man is on a Suicide Mission«, verkündete Donald Trump in seiner ersten Rede vor der UNO, nachdem er das »verkommene Regime in Nordkorea« für den »Hungertod von Millionen Nordkoreanern«, für »die Inhaftierung, Folter und Unterdrückung von Unzähligen«, und natürlich den Tod des amerikanischen Studenten Otto Warmbier und der Entführung eines »süßen japanischen Mädchens« verantwortlich gemacht hatte. Nordkoreas »unverantwortliches Streben nach Atomwaffen und ballistischen Raketen« bedrohe »die gesamte Welt mit einem unvorstellbaren Verlust von menschlichem Leben«. Es sei »ein Skandal«, dass einige Nationen mit einem solchen Regime nicht nur Handel trieben, sondern ein Land »bewaffneten, belieferten und finanziell unterstützten, das die Welt mit einem nuklearen Konflikt bedroht«. Niemand auf der Welt könne ein Interesse daran haben, dass »diese Bande Krimineller sich mit Atomwaffen und Raketen« bewaffne. Wenn nun die geduldigen Vereinigten Staaten dazu gezwungen würden, sich selbst oder ihre Bündnispartner zu verteidigen, habe man »keine andere Wahl als Nordkorea völlig zu zerstören (totally destroy North Korea)«.

»Totally destroy North Korea«? Die Ankündigung eines Massenmordes an 25 Mio. Menschen vor der UNO, der Welt-Staatengemeinschaft, die sich nach zwei furchtbaren Weltkriegen zum Ziel gesetzt hatte, jede Wiederholung des Grauens zu verhindern? Es ist schon bemerkenswert, wie der politische Führer eines Landes, dessen Expansionismus, Interventionismus und Massenmorde in den vergangenen 120 Jahren zig Millionen Menschen zum Opfer fielen, und das in den letzten Jahren ganze Länder verwüstete, hier die Chuzpe besitzt, sich als Retter der Weltgemeinschaft aufzuspielen. Wie nicht anders zu erwarten, ließ die Reaktion aus Pjöngjang nicht lange auf sich warten. Und der obligatorische Gegen-Tweet des Präsidenten ebenso wenig. Mag sein, dass diese Form von »Fire and Fury«-Kriegsrhetorik an der jeweiligen Heimatfront überzeugend wirkt. Nur ist sie im Falle Trump der politisch-militärischen Praxis des Imperiums durchaus adäquat, im Fall der DVRK allerdings könnte man sich einen effizienteren Propagandamodus vorstellen.

Drohszenario

Leider geht es nicht nur um einen Krieg der Worte. Das Pentagon hat ein gewaltiges Drohszenario mit mehreren Flugzeugträgern, riesigen Invasionsmanövern und strategischen Bombern aufgezogen. Provokative Flüge des strategischen B-1B Bombers wurden gestartet, Raketenabwehrsysteme mit weitreichenden Radaranlagen wurden installiert, die UNO mobilisiert, China zu Sanktionen gedrängt. Bislang alles vergeblich. Während zu den nordkoreanischen Bomben- und Raketentests höchst unterschiedliche Einschätzungen gehandelt werden, die allerdings auch bei der »positivsten« Annahme eine auch nur näherungsweise realistische Erstschlagsfähigkeit ausschließen – der Oberbefehlshaber der US-Nuklearstreitmacht, General John E. Hyten bestätigte immerhin den Wasserstoffbombentest –, dürfte das Zerstörungspotenzial des US-Imperiums kaum in Zweifel stehen. Mit dem Zeigefinger auf das vergleichsweise winzige nordkoreanische Atomprogramm zeigend, hat die Obama-Administration mit dem Haushaltsbudget 2016 ein umfassendes nukleares Aufrüstungsprogramm der gesamten atomaren Triade, Interkontinentalraketen, strategische U-Boote und Bomber, taktische Flugkörper und Marschflugkörper, auf den Weg gebracht. Diese atomare Erblast des Friedensnobelpreisträgers wird den ohnehin mit 20 Bio. Dollar verschuldeten US-Staatshaushalt eine weitere Billion Dollar kosten. Strategisch geht es darum, die atomare Komponente von einer operativ weitgehend nutzlosen Abschreckung zu einer real einsetzbaren Waffe in einem limitierten Kriegsszenario zu verwandeln (vergl. »Futur Strategic Strike Forces«, US-DoD, 4/2004). Das Ziel sind »hochpräzise, tief eindringende, weitgehend verkleinerte«, nukleare Gefechtsköpfe, die in der Lage sind »tief eingegrabene, gehärtete Ziele, verbunkerte, unterirdische militärische Kommandozentralen eingeschlossen, zu zerstören«. (http://thebulletin.org/mini-nukes-still-bad-choice-united-states10693). Die Entwicklung bspw. von »Mini Nukes« oder »tailored Nukes« (die natürlich Nordkorea ebenfalls unterstellt wird) oder einem »Robust Nuclear Earth Penetrator« dient vor allem diesem Ziel. Ähnliches, wie taktische Gefechtsköpfe, ist aber schon im aktuellen US-Arsenal vorhanden. Es geht, grob gesprochen, um eine Verdreifachung des Zerstörungspotenzials. Die Gefahren, welche die Zielstellung eines »limitierten atomaren Krieges«, was immer das heißen soll, beinhaltet, brauchen an dieser Stelle ja kaum erörtert zu werden. Der eigentliche Adressat eines solchen massiven und aggressiven Rüstungsvorhabens heißt naturgemäß nicht Nordkorea.

Nichtsdestotrotz hat sich eine Konstellation ergeben, die sich in gewisser Weise derjenigen nähert, die sich in Fernost nach dem Zweiten Weltkrieg ergeben hat. Und es ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass der koreanischen Halbinsel auf tragische Weise eine ähnliche Rolle zufällt, wie sie sie schon einmal, vor fast 70 Jahren, hat spielen müssen, diesmal allerdings in einer Art Koreakrieg 2.0, mit dem tatsächlichen Einsatz taktischer Atomwaffen.

Koreakrieg 1950–1953

Auch die Haltung der koreanischen Führung ist nicht zu verstehen, ohne einen Blick in die Geschichte zu werfen. Im Gegensatz zu Europa hatten die strategischen Zirkel der USA eine sozialintegrationistische Strategie (Marshallplan) für Ost- bzw. Südost-Asien nicht ins Kalkül gezogen. Ähnlich wie auch nicht für Lateinamerika und später Greater Middle East und Afrika. Die US-Administration setzte in Korea nach dem Sieg über Japan alternativlos auf Repression. Ihre skrupellose Marionette hieß Rhee Syng-man. Nach 35 Jahren unter brutaler japanischer Besatzung wurde das US-gestützte Rhee-Regime von vielen Südkoreanern als eine Fortsetzung der Fremdherrschaft, nur diesmal unter den Bajonetten des US-Statthalters General John R. Hodge, empfunden. Die anti-japanische Befreiungsbewegung und die sich nun bildenden Volkskomitees wurden beiseitegeschoben, schließlich verboten und stattdessen wurden mit Kollaborateuren und anfangs sogar mit dem japanischen Generalgouverneur für Korea, Abe Nobuyuki, zusammengearbeitet. Der militant antikommunistische Rhee wurde vom OSS 1945 mit einem Pass ausgestattet und aus den USA nach Korea exportiert. Im August 1946 wurde das reaktionäre Rhee-­Regime installiert. Es stand für die Interessen der reichen Oberschicht, der Großgrundbesitzer, Kollaborateure, Schieber und Besatzungsprofiteure. Statt um eine Landreform, um die Gleichstellung der Frauen, wie im Norden, ging es dem Rhee-Regime um den Erhalt der Reichenprivilegien. Rhee konnte sich nur durch Unterstützung des US-Machtapparates und durch brutalen Terror halten. Einem Terror dem Hunderttausende, zum Teil wahllos und summarisch, zum Opfer fielen. Ein Terror, an dem sich auch US-Truppen beteiligten, und der sich im Krieg unter den Augen der UN-Truppen noch verschärft fortsetzte, wobei die Massaker natürlich den »Kommunisten« in die Schuhe geschoben wurden.

Das gängige Narrativ, demzufolge nordkoreanische Truppen völlig überraschend mit einer »unprovozierten Aggression« in Südkorea eingefallen sind und es nur durch das beherzte Eingreifen der unter UNO-Flagge operierenden US-Streitkräften gelungen ist, Freedom and Democracy für die Südkoreaner zu erhalten, kann als eine der wirksamsten Propagandaleistungen des US-Machtapparates und der von ihm gesteuerten Medien gewertet werden. Die Wirklichkeit sah wie immer etwas anders aus.

Rhee hatte am 30. Mai 1950 seine Mehrheit in der Nationalversammlung verloren. Aber er hatte seit Jahren leidenschaftlich für eine militärische Eroberung des Nordens getrommelt. Seine 100 000 Mann-Armee war vom US-Militär gedrillt und ausgerüstet worden. Nicht nur bei Rhee, sondern auch in den USA galt die übliche Überzeugung, dass das »kommunistische Regime« marode und instabil sei und bei einem Angriff sofort zusammenbrechen würde. Pjöngjang verzeichnete bis zum 25. Juni 1950 2.617 militärische Aktionen gegen den Norden. Es ging um die Erzeugung eines Quasi-Kriegszustandes. Am 23. Juni 1950 wurde die »UN-Observer Group« von der Demarkationslinie abgezogen. »Neutrale Beobachter«, wenn man die UNO zum damaligen Zeitpunkt als neutral bezeichnen will, gab es nicht mehr. Am 26. Juni 1950 wurde, auch in der US-Presse, die Einnahme der nordkoreanischen Stadt Haeju, durch südkoreanische Truppen gemeldet. Aber schon am 25. Juni 1950 erreichten die USA eine Verurteilung Nordkoreas in der UNO. (Die SU boykottierte zum damaligen Zeitpunkt die UNO wegen der China/Taiwan-Frage.) Zwei Tage später rollte die US-Invasion zugunsten des Rhee-Regimes an. Das Imperium brachte seine militärisch-industriellen Kapazitäten zur Geltung. (Der Verdacht, bei Korea könne es sich um eine frühe Variante der »Afghanistan-Falle« handeln, ist nicht völlig von der Hand zu weisen.)

Der Bombenkrieg

Zwar erzielte die Koreanische Volksarmee (KVA) schnelle Erfolge. Am 28. Juni 1950 wurde Seoul befreit. Aber wie schon im Zweiten Weltkrieg führten die USA einen Luftkrieg mit einer unvorstellbaren Brutalität, vor allem gegen die Zivilbevölkerung. Die terroristische Kriegsführung des Oberkommandierenden Douglas McArthur und des Chefs des US-Air Command, Curtis LeMay (»Es gibt keine unschuldigen Zivilisten«), dürfte allenfalls mit der eines Guderian oder eines von Manstein während des »Russlandfeldzuges« vergleichbar sein. Auch und gerade dann noch, als die Dinge politisch und auf dem Schlachtfeld schon längst entschieden sind.

McArthur wollte, angesichts der militärischen Stärke der DVRK und der chinesischen Kriegsfreiwilligen, wiederholt den Einsatz der Bombe auch gegen China. Und LeMay wollte 1948 den Dritten Weltkrieg mit 133 Atombomben gegen 70 sowjetische Städte in 30 Tagen gewinnen.

Die US-Air-Force warf in drei Jahren 635.000t Bomben und 32.000t Napalm auf vorwiegend Nordkorea. (Im gesamten Pazifikraum während des II Weltkrieges waren es 503.000t). LeMay resümierte 1984: »In einem Zeitraum von ungefähr drei Jahren löschten wir 20 Prozent der Bevölkerung aus.«

Oder der spätere US-Außenminister Dean Rusk, ebenfalls ein Kriegsfalke: Die USA bombardierten »alles was sich bewegte in Nordkorea, jeder Ziegelstein der noch auf einem anderen stand«. (https://www.washingtonpost.com/opinions/the-us-war-crime-north-korea-wont-forget/2015/03/20) Und als es keine urbanen Ziele mehr gab, bombardierte die Air Force Straßen, Brücken, Kraftwerke, Bahnhöfe, Schienenstränge, Kanäle, Dämme, Farmland, eben alles, was es an Infrastruktur gab. »Totally destroy North Korea« ist keine Erfindung von Donald Trump. Das weiß man auch in Pjöngjang.

… so gut wie tot

Die wachsende Stärke der Sowjetunion und der VR China, sowie die Niederlage der USA in Vietnam verschafften Nordkorea eine relative Sicherheit vor dem Zugriff des Imperiums. Diese Sicherheit bekam mit dem Besuch Nixons in Peking 1972 und dem Seitenwechsel der Pekinger Führer erste Risse, nach 1991 war ihre letzte Basis gefallen. Der proletarische Internationalismus ist auf staatlicher Ebene Geschichte und Nordkorea hat keine relevanten Erdöl- oder Erdgasvorräte, die es für Moskau oder gar Peking vor dem Zugriff des Imperiums zu bewahren gilt. Wie der Ex-SACEUR, General Wesley Clark, berichtete, hat Paul Wolfowitz 1991 nach »Desert Storm« ihm gegenüber klargemacht, dass nun die USA ihr Militär im Mittleren Osten einsetzen können, ohne dass »die Sowjets uns stoppen werden«. »Wir haben fünf oder zehn Jahre, um mit den alten Sowjet-Klientelregimes aufzuräumen – Syrien, Iran, Irak –, bevor die nächste entstehende Supermacht uns herausfordern wird.« Das Pentagon, so Clark, hatte Interventionen »in sieben Ländern in fünf Jahren« geplant.

Die Führung in Pjöngjang dürfte sehr genau registriert haben, was in Jugoslawien, Sierra Leone, Haiti, Irak, Afghanistan, Jemen, Somalia, Libyen und Syrien passiert ist, um nur die wichtigsten US-Ziele zu nennen. Ohne atomare Bewaffnung, so dürfte ihre Logik lauten, sind wir so gut wie tot. Und man kann angesichts der Lage kaum behaupten, dass sie damit so falsch liegen.

Der Durchbruch

Für die »Kalten Krieger« in Langley und im Pentagon (»Kalter Krieg« war schon immer ein Euphemismus) bedeutete die hochemotionalisierte Konfrontation des Koreakrieges den Durchbruch. Trotz der geostrategischen Konfrontation mit der in absehbarer Zeit atombewaffneten Roten Armee konnte der Einstieg in den offenen Interventions- und Terrorkrieg erreicht werden. Das Imperium versuchte auf der Basis drückender Luftüberlegenheit und vernichtender Bomberattacken (»Shock and Awe«) den nach Unabhängigkeit strebenden Völkern sein abschreckendes Vernichtungspotenzial zu demonstrieren. (Gleiches gilt übrigens für das brutale Abschlachten von mehr als 1 Mio. »Kommunisten« in Indonesien 1965.) Da der Griff nach der Bombe für McArthur und Co. wegen nichtkalkulierbarer Risiken scheiterte (die SU befand sich in einer ähnlichen atomaren Entwicklungsstufe wie Nordkorea heute), musste der Ausweg in regional begrenzten konventionellen Kriegen, Proxykriegen, Kommandounternehmen, Fals-flag-Operationen und geheimdienstlichen, verdeckten Aktionen gesucht werden. Diese militärisch-geheimdienstliche Kriegführung war Teil einer umfassenden (politischen, propagandistischen, ökonomischen, ideologischen und kulturellen) Containmentstrategie, die ein weiteres Vordringen des »Kommunismus« verhindern sollte. Ziel war nicht der unmittelbare, militärische »Endsieg« gegen den Kommunismus, wie ihn militärische Rambos wie McArthur, Le May, oder auch Atomstrategen wie Herman Kahn im Sinn hatten, sondern die langfristige Eindämmung und Zersetzung. Der Zeithorizont hatte sich von 30 Tagen auf Jahrzehnte gestreckt. Jahrzehnte, in denen der gehätschelte US-Macht-, Medien- und Kriegsapparat zum dominierenden operativen Faktor des Imperiums werden sollte.

Während des Korea-Krieges konnten die Spitzensteuersätze der Einkommenssteuer auf über 90 Prozent, der Unternehmenssteuer auf 53 Prozent heraufgeschraubt werden. Die US-Militärausgaben schossen in die Höhe bis auf fast 18 Prozent des BIP. Mit dem Rückenwind des Krieges konnten FBI, CIA und Pentagon die nun alles beherrschende Kommunistenparanoia entfachen, die durch eine bis heute tief verankerte, antikommunistische Grundeinstellung nicht nur in den USA, sondern in fast allen entwickelten kapitalistischen Staaten hochwirksam ist. Die Erfolge der Roten Armee, der chinesischen Volksbefreiungsarmee, und nun auch der Koreanischen Volksarmee illustrierten die psychologisch-emotionale Grundstruktur dieser Paranoia, die nicht mehr das marode Versagen, sondern die hinterhältige Stärke der »Commies« betonte. Dies wurde angereichert mit Zusatzelementen wie Gehirnwäsche, Massenindoktrination, Gefangenenfolter und Geiselhinrichtungen. Im Gegensatz zu Vietnam wurde das Propagandanarrativ des US-Machtapparates zu Korea im Westen bis heute kaum wirksam in Frage gestellt. Im Gegensatz zu seinem Bild »Guernica« (1937) ist Pablo Picassos »Massaker in Korea« (1951) kaum bekannt.

Koreakrieg 2.0?

Während des Koreakrieges 1950–1953 befand sich das Imperium im Aufstieg. Die wirtschafts- und machtpolitische Dynamik ließ die Spekulation auf einen Sieg gegen den ökonomisch schwachen Sozialismus in einem langfristigen Containmentprozess plausibel erscheinen. Der Einsatz der Bombe erschien unnötig, ja kontraproduktiv. Diese Annahme muss heute nicht mehr gelten. Das überdehnte Imperium befindet sich unaufhaltsam im Niedergang. Die ökonomische Dynamik ist nach Ostasien »globalisiert« worden. Wenn nun auch das Dollar-Privileg in Frage steht, ist es eine Frage der Zeit, wann auch die machtpolitische Option fraglich wird. Eine Lage der schwindenden Optionen ist naturgemäß gefährlich.

Der Koreakrieg 1950–1953 brachte dem Imperium den Durchbruch in Richtung Führbarkeit eines konventionellen, regionalen Interventionskrieges. Der aktuelle Konflikt birgt das Risiko, ein ähnliches Ergebnis, aber in Richtung eines führbaren, regional begrenzten Atomeinsatzes, machbar erscheinen zu lassen. Eines »preemptive Strikes«, wie er in der »National Security Strategy« (9/2002) und anderen Dokumenten formuliert wurde und für dessen materielle Basis Obama ein Billionen-Projekt auf den Weg brachte. Sowohl Verteidigungsminister James Mattis als auch Stabschef Joseph Dunford haben die »unfassliche« Dimension der Tragik eines Krieges betont, als auch die Entschlossenheit der USA zur »totalen Vernichtung« (»total annihilation«, Mattis) deutlich gemacht. Klartext: Es fehlt nur noch der Casus Belli.

Literatur

Groehler, Olaf: Der Koreakrieg 1950 bis 1953. Berlin. 1980.

Blum, William: Killing Hope. US Military and CIA Interventions since WWII. London 2014.

Das Referendum im ölreichen Irak und der ausbleibende Frieden

Helmut Hammerbauer

Noch vor kurzem zogen sich im Irak und Syrien die Arrondierungskämpfe in den verschiedenen Landesteilen hin. Ein begleitender interessenpolitischer Teil davon war das kurdische Referendum. Im Zuge der militärischen Geländegewinne der Kurden im Nordirak schien dessen Durchführung mit der erwarteten Zustimmung als weitere Ausgangsposition gegenüber Bagdad sehr günstig zu sein. Der IS bedrohte seit dem Angriff auf Mossul und Kirkuk das Ölgeschäft in der halbautonomen Kurdenregion. Nachdem sich die irakische Armee sehr bald fluchtartig vor ihm zurückgezogen hatte, besetzte die kurdische Peschmerga diese lukrativen Gebiete außerhalb der kurdischen Region. Bereits im Vorfeld der nordirakischen Offensive hatte die kurdische Autonomieregierung in Erbil und das US-Kriegsministerium ein Militärabkommen unterzeichnet. Dafür stellte die Peschmerga über 50.000 Kämpfer für die Offensive. Um nach der Eroberung bessere Aufteilungsbedingungen in den angrenzenden Provinzen Ninive und Kirkuk zu bekommen, wurde auch ermöglicht, US-Militärbasen einzurichten. Der erfolgreiche Kampf gegen den »Islamischen Staat« im kurdischen Nordirak ist allerdings noch kein nationaler Befreiungskampf.

Die herrschende bürgerliche Klassenfraktion um Massud Barzani erlebt zurzeit eine sozial-ökonomische Reproduktionskrise. Da liegt es nahe, wieder die nationalistische Karte zu ziehen und mit den niederen Klassen und allen Parteien »Einheit« zu demonstrieren. Die kurdische Oligarchie trachtet auf der Basis ihrer Öl-Rentenökonomie danach, ihre Verhandlungschancen mit Bagdad um die umstrittenen Ölgebiete im Nordirak zu verbessern. Die versprochenen »blühenden Landschaften« in der kurdischen Autonomie sind bei gesunkenem Ölpreis nicht eingetreten, um so begehrlicher wird jedoch das schwarze Gold. Während die islamisch-sunnitische Flanke, zuletzt als IS, deutlich geschwächt ist, tritt der Barzani-Clan als Speerspitze im Kampf ums »angestammte« Öl auch außerhalb des Autonomiegebietes hervor. Ein offensives Auftreten, das seine Wirkung auf die Kurden in der Türkei, im Iran und in Nordsyrien nicht verfehlt.

Mit der erneut hohen Zustimmung sollte verdeutlicht werden, dass die allermeisten Kurden in der nordirakischen Region zuvörderst nach einem eigenen Staat streben, zumindest bestehen sie auf der weitestgehenden föderativen Autonomie, in der ihre Eigenständigkeit, die Erhaltung ihrer Milizen und die Kontrolle über Kirkuk bestehen bleiben. Mit dem Referendum im September 2017 unterstrichen sie nochmals ihr Hauptziel, betonten jedoch gleichzeitig, dass das Referendum und sein Ergebnis keine Teilung und keine Unabhängigkeitserklärung bedeuten.

Während Barzani und seine KDP sowie die konkurrierende PUK eher die völlige Abtrennung für gangbar halten, bleiben die Kräfte der Gorran-Bewegung bis hin zur PKK skeptisch bis ablehnend. Das Referendum stellt deshalb auch den harten Kampf innerhalb der Kurden um den richtigen Weg zur Selbstbestimmung und zugleich den um die Pfründe aus der Ölrente zwischen den verschiedenen Klassenfraktionen in der kurdischen Nationalität dar. Darüber hinaus ist man sich innerhalb der unterschiedlichen ethno-politischen Strömungen im ganzen Irak bisher nicht einig, ob es ein föderativer Staatsaufbau oder ein Land mit einer starken zentralen Regierung sein soll.

Es handelt sich somit um eine innerkurdische Konfliktebene und eine äußere zwischen der kurdischen Region, und damit dem Staatsgebiet Iraks, und den imperialistischen Hauptländern, insbesondere den USA. Wenn beide Ebenen beachtet werden, können die Interessen der Agierenden, die sich teilweise verbinden und zugleich miteinander konkurrieren, auf ihre objektive Bedingtheit hin beurteilt werden und damit das jeweilige politische Operieren.

Auf der ersten Ebene geht es vor allem um das ölreiche Gebiet Kirkuk, das seit der Teilung des Osmanischen Reiches umstritten ist. Der legendäre Kurdenführer Mullah Mustafa Barsani bezeichnete das Öl als »Fluch«, das die Zukunft der Kurden »verdorben« habe. Verschärft wurde dieser Konflikt nach der Übernahme des Irak 2003. Die laut der Verfassung vorgeschriebene Volksabstimmung zum Anschluss der Provinz Kirkuk wurde nie umgesetzt. Für die absehbare Zukunft schwelt der Streit weiter bei gleichzeitiger Verstärkung der Probleme für die staatliche Integrität des Iraks.

Zudem ergibt es sich aus imperialismustheoretischer Sicht, den innerirakischen Konflikt um die Kurdenfrage in die geopolitischen Ziele der USA und anderer imperialistischer Länder einzuordnen.

Washingtons »Greater Middle East«-Projekt, das seit dem Amtsantritt Georg W. Bushs 2001 unter »New Middle East« firmiert und auf die Beherrschung der Region zielt, ist festgefahren. Jedoch wird keine Gelegenheit ausgelassen, es wieder voranzutreiben. Es beinhaltet den Irak und die Region in konfessionalistische und ethnische Kleinstaaten zu teilen und zu zersplittern. Gegenwärtig bevorzugen die USA offensichtlich eher den von ihnen geschwächten Irak.

In diesem Zusammenhang fungieren Abstimmungen um einen kurdischen Nationalstaat, mit dessen Bildung ständig von kurdischen Kräften im Nordirak gedroht wird, dessen Realisierung aber kurzerhand nicht möglich ist. Mit der Folge: Die Konflikte und Unruhen spitzen sich zu, die alten antikurdischen Reaktionsmuster unter den in- und ausländischen Beteiligten und die demonstrativen Gesten der »Verbündeten« werden erneut bestätigt und verfestigt wie in Folge des Referendums zu sehen war. Hier deutlich erkennbar am Kampf um das ethnisch gemischte Kirkuk. Es dürfte auch im Sinne der USA sein, dass die Lage längerfristig unruhig bleibt, weil sie den in der Region Engagierten wie Russland, aber auch den Regionalmächten und den großen EU-Staaten, den Irak und Syrien bei einer Neuordnung nicht alleine überlassen möchten.

Gegenwärtig hat es angeblich der Regierungs-Chef Abadi in der Hand, das immer wieder aufflammende Auseinanderbrechen des Iraks noch zu verhindern. Dazu wird er den Kurden weitere Zugeständnisse machen müssen, die ein eigenes Ministerium für Naturressourcen gegründet haben. Der Streitpunkt wird in Zukunft der zwischen Bundes- und Regionalregierung Kurdistans um die ›umstrittenen Territorien‹ bleiben.

Das unverzichtbare Öl

Dem Irak stehen nach wie vor noch weitere ungelöste Probleme ins Haus: Es bestehen Pläne zur Aufteilung der benachbarten Provinz der Kurden, Nineveh, in mehrere Provinzen.

Übergreifend steht man vor der Notwendigkeit für konkreter Maßnahmen zur gesellschaftlichen und nationalen Aussöhnung und zur Schaffung eines gesellschaftlichen Friedens sowie zur Abwehr aller Bestrebungen zur Teilung des Irak zu treffen.

Mossul könnte als Teil eines arabisch-sunnitischen Kerngebietes die kurdischen und schiitischen Milizen als Gegner, vielleicht sogar als Besatzer betrachten. Mossul wird weiter von der irakischen Zentralregierung als Teil des Iraks beansprucht und nicht, wie man es in Südkurdistan sieht, als kurdisches Gebiet. Rundum liegen ertragreiche Ölfelder, in der Stadt befinden sich bedeutende Öl-Raffinerien. Keine Regierung in Bagdad wird freiwillig auf den wachsenden Ertrag aus dem Öl verzichten …

Finanz- und Rohstoffanalysten der Credit Suisse warnten hinsichtlich des Iraks schon vor Jahren:

»Wie schon seit jeher stellt die geopolitische Lage die größte Gefahr für das Ölangebot dar. So gefährdet zum Beispiel die zunehmende religiös motivierte Gewalt im Irak erneut die 150 Milliarden Barrel an nachgewiesenen Ölvorräten des zweitgrößten Produzenten der OPEC. (…) Die Preise für Brent sind wieder unter 110 US-Dollar gesunken und der ölproduzierende Süden ist von den Gewaltausbrüchen verschont geblieben. (…) Anleger sind in Sorge, dass bei einer Fortdauer der Gewalt sogar bescheidenere Produktionsprognosen nur Wunschträume bleiben könnten.«

Diese Sorgen des Finanzkapitals konnten inzwischen zum Teil entkräftet werden.

Für die internationalen Investoren formulierte der Präsident vonGoldwyn Global Strategies‹ vorsorglich das Credo: »Das bedeutet, dass die Vereinigten Staaten auch in Zukunft Sorge tragen werden, die Seewege für alle Formen des Handels und die Vielfalt der globalen Energieversorgung offen zu halten.«[1]

Was die Energiepolitik im heutigen Irak betrifft, so existieren mehrere regionale staatliche Ölgesellschaften und nicht mehr eine. Möglich sind inzwischen so genannte »Produktionsteilungsabkommen« (production sharing agreement, PSA) für die Ölkonzerne, die bei diesen Verträgen die Erschließung und Ausbeutung des Erdöls übernehmen und einen Teil der geförderten Menge erhalten. Damit ist das Öl nicht mehr alleine im Besitz des Staates, sondern die Konzerne kontrollieren faktisch die Produktion. Da bisher kein nationales Ölgesetz existiert, scheint die kurdische Regionalregierung ein Einfallstor für diesbezügliche Schritte mit den internationalen Konzernen zu öffnen. Dies entspricht der ursprünglichen Absicht der letzten US-Besatzungsmacht zur Umgestaltung der Ölförderung für die Investoren.

Gegenwärtig sieht es auf den ersten Blick so aus, als seien Länder wie die USA, die zur ›Nummer Eins‹ der Öl- und Gasproduzenten aufgerückt sind, weniger auf das Öl im Nahen Osten angewiesen.

Der Marktpreis liegt seit Jahren bis zur Hälfte niedriger als früher und es herrscht seit längerem Überangebot. Es kann zunächst festgehalten werden, dass die Länder der erdölexportierenden Region weiterhin in ein engmaschiges Netz neokolonialer Abhängigkeit mit den internationalen Ölkonzernen verstrickt bleiben werden und anti-neoliberale »Allüren« der Regimes und Bevölkerungen gegen deren Interessen so weit wie möglich verhindert werden.

Die vorausschauende energiepolitische Sicherung der Vorräte im Nahen und Mittleren Osten durch die imperialistischen Staaten und Monopole – notfalls mit militärischen Nachdruck – wird weder durch die zeitweise (zyklische) Schwankung des Weltmarktpreises des Rohstoffs Erdöl noch durch den forcierten Fracking-Boom (USA u.a.) grundsätzlich in Frage gestellt. Die Frage, wer den Rohstoff Erdöl(-gas) besitzt und wer darüber verfügt – gleich in welcher Region der Welt – sollte nie unterschätzt werden. Es geht trotz zeitweiser Abschwächung aggressiver Formen des Zwangs unvermindert um den Zugriff auf die Rohstoffe und die Konkurrenz um den beherrschenden Einfluss in den jeweiligen Rohstoffländern. Dabei sind dem Imperialismus ständige Raub- und Revanchekriege immanent, bis hin zum Einsatz von Atomwaffen. Das vorübergehende Ausbleiben direkter Interventionen kann im Rahmen der systembedingten klassengebundenen Dialektik von Krieg und Frieden langfristig nur bedeuten, um ihre unverzichtbare gesellschaftliche Aufhebung zu kämpfen.

Die »National Energy Policy Development Group« der Regierung Bush stellte im einleitenden Überblick ihres Reports – dieser ist bis heute strategisch gültig – fest: »Gleichzeitig erkennen wir an, dass ein bedeutender Anteil unserer Ressourcen aus Übersee kommt. Energiesicherheit muss die Priorität bei der Handels- und Außenpolitik der USA sein.«[2] Es ist also eher mit anhaltenden Bestrebungen zu rechnen, die Länder mit dem größten Ölvorkommen in Hinsicht auf die Kontrolle der Ölproduktion in möglichst großer Abhängigkeit zu halten und sie ständig mit Kriegseinsätzen zu bedrohen. Länder wie der Irak besitzen die großen Reserven bei kostengünstiger Förderung für die unvermeidlich auftretenden Knappheitsszenarien im Rahmen der weltweit ungebrochen herrschenden anarchischen Produktionsweise.

Permanente geostrategische Intervention

Soll im gegenwärtigen weltweiten Krisenkapitalismus in diesem Sinne der Zugang für solche großen staatsmonopolistischen Komplexe wie den Energiemonopolen gesichert bleiben, dann wird auf den politischen Bühnen von Washington bis Berlin wie stets in einer Mischung aus direkter oder indirekter Intervention klassisch geopolitisch gehandelt. Die Unausweichlichkeit des Eingreifens, hier in internationaler Waffenbrüderschaft gegen den IS im zerrütteten Irak, wird durchexerziert. Die Zahl fremder Militärs und Spezialkräfte im Irak/Syrien und der Region nimmt wieder zu, möglicherweise auch von KSK-Kräften der Bundeswehr.[3]

Der Berliner Staatsoligarchie ging es im kurdischen Nordirak um einen weiteren als »verantwortungsbewusst« kaschierten Auslandseinsatz 100 Jahre nach dem Bau der Bagdadbahn im Interesse des deutschen Kapitals. … Es begann mit Waffenlieferungen (z.B. neben G36-Gewehren, die radioaktive Stoffe auslösende Milan-Rakete) an die kurdische Peschmerga-Milizen, der Ausbildung von irakisch-kurdischen Soldaten und der Einrichtung eines Ausbildungszentrums in Erbil im Nordirak. 150 bewaffnete Militärs wurden in die kurdische Autonomieregion entsandt. Die Bundeswehr ist entscheidend am Aufbau neuer westlicher Militärzentren im Nahen Osten im Krieg gegen Kräfte wie den IS beteiligt und das vermutlich auf längere Sicht, was sich bei der nächsten Mandatsverlängerung im Januar 2018 zeigen wird. Durch diese Unterstützung eines nichtstaatlichen Akteurs in einem Krisengebiet, mit der die Bundesregierung am Parlament vorbei in einen bewaffneten Konflikt intervenierte, brach sie gleich mit drei bisherigen militärischen Selbstbeschränkungen deutscher Politik.

Kurz darauf wurde unter dem Vorwand, dem Nato-Partner Frankreich bei seinem »Anti-Terror-Kampf« zu helfen, ein Einsatz der Luftwaffe der Bundeswehr im Rahmen der AWACs-Überwachungsflugzeuge direkt vor Ort über dem Irak und Syrien gestartet.

Beschrieben wie im Strategiepapier »Neue Macht. Neue Verantwortung« der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und des German Marshall Fund of the United States (GMF) hat die Bundesrepublik mit ihrem Irak-Einsatz in dieser Region ihren expansiven Neuanfang gemacht und wird dort, wie es im jüngsten Weißbuch der Bundesregierung vom Juli 2016 bezeichnend heißt, in Zukunft weiter »aktiv mitgestalten«. Bereits in einer wenig bekannten Denkschrift der SPD wurde die Einmischung in »nahe verbundene Weltregionen«, die man vorher den USA überlassen hatte, propagiert. In diesem Sinne fordert auch G. Steinberg von der genannten SWP die Wiederaufnahme einer eigenständigen Irak-Politik, »wo Klarheit über die deutschen Interessen herrschen sollte«, die begrenzt werden durch andere, »in erster Linie die USA«.[4] Der hier betonte nationale Akzent steht nicht in ausschließlichem Gegensatz zum geplanten Ausbau der EU-Militarisierung.

Für Norman Paech zeigen diese Machenschaften anschaulich, »dass die vielbeschwo­renen Werte dieser NATO-Gemeinschaft wie ›Freiheit, Menschenrechte, Selbstbestimmung, Solidarität‹ einmal mehr benutzt werden, um die wahren Gründe: Öl, Absatzmärkte und geostrategische Erwägungen zu verschleiern«.[5] Darum ist die Bundesregierung, deutsches Kapital und Militär jetzt dabei, wenn es um kurdische Selbstbestimmung im Irak geht …

Es wird keine schnelle Friedenslösung im Nahen Osten geben, denn: »50 Prozent der Öl- und Gasreserven liegen unter dessen Boden (…). In diesem Konflikt geht es um die Frage, wer dominiert ein künftiges Syrien, es geht darum, Russland aus Syrien zu vertreiben, um Zugriff auf die strategischen Öl- und Gasreserven und schließlich um eine strategische Position des Westens gegen den Perspektivgegner China.«[6] Eine antiimperialistische Alternative, getragen von allen patriotischen, fortschrittlichen und demokratischen Kräften, die sich notwendigermaßen aus den inneren Bedingungen der arabischen Länder entwickeln müssen, ist nicht in Sicht.

Lösungsvorschläge von antiimperialistischer Seite

Gehen wir von diesem unerfreulichen Zustand des Kräfteverhältnisses für die Friedenskräfte aus, dann muss aus Sicht der Völker und Nationen im Nahen Osten jede Strategie zur Befriedung des Iraks beinhalten, dass die Aggression des sogenannten Westens (USA/EU) beendet, die ausländische Einmischung und Unterstützung militanter Infiltranten in Syrien und Irak vollständig eingestellt und unterbunden werden …

Die bisherige Form des Krieges gegen den IS ist äußerst fragwürdig. Er erzeugt überwiegend das Gegenteil von dem, wofür er ausgegeben wird. Erste Schritte zu einer wirksamen friedlichen Entwicklung im Irak skizziert J. Guilliard: »Nur mit Unterstützung einer Mehrheit der Sunniten kann Daesch, also der IS, – wie sein Vorgänger zwischen 2006 und 2008 – zurückgedrängt werden. Wer die Miliz tatsächlich besiegen will, muss daher dafür sorgen, dass die legitimen politische Anliegen der Sunniten erfüllt und deren Interessen in Bagdad adäquat vertreten werden. Er muss für die Bildung einer Regierung eintreten, die tatsächlich alle relevanten Kräfte vertritt, den Provinzen mehr Autonomie gewährt und eine gerechtere Verteilung der Ressourcen sicherstellt.«[7] Dieses Programm ist bisher nicht erfüllt.

Die deutsche Entscheidung zur Waffenlieferung in den Nordirak diente diesem nicht, was auch die Auseinandersetzung um die Kurden im Nordirak zeigt. Sie ist von ganz gegensätzlichen strategischen Zielen getragen. Es gilt den imperialistischen Einfluss, auch den eigenen, zu sichern – in Syrien in Konkurrenz zu Russland. Stramm nach dieser Maßgabe geht es nicht um »Konfliktbewältigung und Friedensförderung« wie in einem regierungsamtlichen Leitlinien-Papier vom Juni 2017 behauptet wird.

Das hiesige Kapital und seine Regierung möchten die neokoloniale Abhängigkeitsordnung im Irak und der Region »mitgestalten« und nicht hinter Frankreich und den USA im Wettlauf um die Hilfe für die »befreundeten« Kurden mit ihren erdölreichen Gebieten zurückstehen. So können die Bundeswehrsoldaten und Waffenlieferungen – insbesondere an die Kurden unter M. Barzani – die Spaltung des Iraks nicht vermindern und nicht viel mehr »Befriedung« bringen, als in Afghanistan, Pakistan, Syrien und Libyen. Sie dienen allein kurzfristig den Bedürfnissen und Interessen in der Rivalität mit anderen Konkurrenten. Dazu braucht es nicht immer, wie 2011 in Libyen, einer vollständigen offenen NATO-Intervention, sondern in diesem Fall der hybriden Kriegsführung, einschließlich der üblichen verschleiernden Medienberichte über die konkreten Kampfhandlungen.

Nicht unbedeutend für den Irak sind die derzeitigen Versuche einer politischen Lösung der Konflikte in Syrien durch Friedensverhandlungen. Sie müssen auch die syrische Regierung einbeziehen und alle bedeutsamen Kräfte und Gruppen, einschließlich der Kurden und die Regelung ihres weiteren internen Status. Dazu ist es notwendig, soweit noch nicht geschehen, die Unterstützung sowohl des geschwächten IS als auch aller islamistischen Milizen vollständig einzustellen.

Für den Friedensforscher Werner Ruf ist das bei den sehr konträren Akteuren der Kern des Problems. »Dies erklärt, weshalb die Friedensbemühungen der UN, die sogenannten Genfer Initiativen, insgesamt erfolglos geblieben sind.«[8] Für Ende Oktober kündigte der UN-Gesandte für Syrien, Staffan De Mistura, eine neue Verhandlungsrunde an und sprach sich dabei gegen die Aufteilung Syriens aus.

Es gilt, dem Verständnis eines demokratischen und gerechten Friedens zum Durchbruch zu verhelfen, der im Gegensatz zum Droh- und Gewaltfrieden herrschender Großmächte steht. Diese brachten bereits in der Vergangenheit die ganze Region mit ihrer neokolonial gehemmten und dadurch vereinseitigten Entwicklung der Produktivkräfte in eine desolate Lage. Sie bieten keinerlei Voraussetzung für eine dauerhafte Friedenslösung: »Wenn ernsthaft Frieden gewollt wäre, müssten die Waffenexporte in die Region sofort und vollkommen eingestellt werden, denn die Waffen sind auch wichtige Handelsgüter. (…) Es müsste endlich Artikel 2.7 der UN-Charta respektiert werden, der jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes verbietet. Es müssten private militärische Unternehmen, die vor allem im Irak für Kriegsverbrechen verantwortlich sind, weltweit verboten werden und die Welt müsste Abschied nehmen von der neoliberalen Ordnung, die weltweit Elend und Perspektivlosigkeit produziert und Gewaltakteuren wie dem IS die soziale Basis für ihre Rekrutierung liefert.«[9]

[1] Goldwyn, Dave, L.: Making an Energy Boom. Work for the U.S., http://www.nytimes.com/2012/11/ 13/business/energy-environment/making-an-energy-boom-work-for-us.html.

[2] Cheney, Dick et al.: Reliable, Affordable, and Environmentally Sound. Energy for America’s Future. Report of the National Energy Policy Development Group, Washington 2001.

[3] http://www.imi-online.de/2016/02/10/ksk-im-irak.

[4] Steinberg, Guido (Hrsg.): Deutsche Nah-, Mittelost- und Nordafrikapolitik, Interessen, Strategien, Handlungsoptionen, SWP-Studien 2009 / S. 15, Mai 2009, S. 5/6.

[5] Paech, Norman: Stifter des Chaos, junge welt v. 11.8.2015.

[6] https://isw-muenchen.de/2016/01/nato-sicherheits-konferenz-fordert-zu-protesten-heraus/.

[7] Guilliard, Joachim: Unter Belagerung, junge welt v. 1.6.2016.

[8] Der Terror und die Religion, Werner Ruf im Interview mit Jens Wernicke, http://www.nachdenkseiten.de/?p=34791, vgl. auch Wolfgang Gehrcke u. Christiane Reymann: Genfer Gespräche, Scheitern oder Hoffnung? Junge welt v. 25.7.2017.

[9] Werner Ruf, ebenda.